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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797.

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Aber hört weiter, Kameraden! Sind wir erst
wahre Christen, das ist, vernünftige Menschen,
und sehen wir ein, daß die Hauptsittengesetze,
welche Christus vortrug, Sittengesetze der all-
gemeinen Vernunft, oder der moralischen Harmo-
nie sind, die wir, wie Christus, durch unsere be-
sondere Vernunft auffinden und als verbindlich an-
erkennen, und bemühen wir uns ernstlich, sie durch
den Einfluß unseres Willens auszuüben, um das
im Kleinen zu werden, was Gott im Großen ist,
thätig, weise, gütig und gerecht, und dieß soweit
unsere Kräfte zureichen, zum Besten des Einzelnen
und des Ganzen: o dann können wir alle Pfaffen
und Kirchen und Kirchenlehren entbehren, und uns
kann es gleichviel seyn, ob Christus dieß oder
jenes war: denn der Werth seiner Lehre hängt nicht
von seiner Person, sondern von der Uebereinstim-
mung mit der Vernunft ab. u. s. w."

Vorträge von dieser Art über Moral, Religion,
Menschen-Rechte, Staat, Politik u. dgl. hört
man in den Gasthöfen und Schenken Frankreichs
jezt beynahe ohne Unterlaß: und wo solche Vor-
träge auf solche Art gehört werden, da höre ich lie-
ber zu, als daß ich sie durch Dreinreden oder Wi-
dersprechen stöhren sollte. Ich schwieg also gleich,
und ließ Joseph und Maria fahren, sobald ich merk-
te, daß meine Apologie wenig fruchten würde.

Aber hoͤrt weiter, Kameraden! Sind wir erſt
wahre Chriſten, das iſt, vernuͤnftige Menſchen,
und ſehen wir ein, daß die Hauptſittengeſetze,
welche Chriſtus vortrug, Sittengeſetze der all-
gemeinen Vernunft, oder der moraliſchen Harmo-
nie ſind, die wir, wie Chriſtus, durch unſere be-
ſondere Vernunft auffinden und als verbindlich an-
erkennen, und bemuͤhen wir uns ernſtlich, ſie durch
den Einfluß unſeres Willens auszuuͤben, um das
im Kleinen zu werden, was Gott im Großen iſt,
thaͤtig, weiſe, guͤtig und gerecht, und dieß ſoweit
unſere Kraͤfte zureichen, zum Beſten des Einzelnen
und des Ganzen: o dann koͤnnen wir alle Pfaffen
und Kirchen und Kirchenlehren entbehren, und uns
kann es gleichviel ſeyn, ob Chriſtus dieß oder
jenes war: denn der Werth ſeiner Lehre haͤngt nicht
von ſeiner Perſon, ſondern von der Uebereinſtim-
mung mit der Vernunft ab. u. ſ. w.“

Vortraͤge von dieſer Art uͤber Moral, Religion,
Menſchen-Rechte, Staat, Politik u. dgl. hoͤrt
man in den Gaſthoͤfen und Schenken Frankreichs
jezt beynahe ohne Unterlaß: und wo ſolche Vor-
traͤge auf ſolche Art gehoͤrt werden, da hoͤre ich lie-
ber zu, als daß ich ſie durch Dreinreden oder Wi-
derſprechen ſtoͤhren ſollte. Ich ſchwieg alſo gleich,
und ließ Joſeph und Maria fahren, ſobald ich merk-
te, daß meine Apologie wenig fruchten wuͤrde.

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[56/0060] Aber hoͤrt weiter, Kameraden! Sind wir erſt wahre Chriſten, das iſt, vernuͤnftige Menſchen, und ſehen wir ein, daß die Hauptſittengeſetze, welche Chriſtus vortrug, Sittengeſetze der all- gemeinen Vernunft, oder der moraliſchen Harmo- nie ſind, die wir, wie Chriſtus, durch unſere be- ſondere Vernunft auffinden und als verbindlich an- erkennen, und bemuͤhen wir uns ernſtlich, ſie durch den Einfluß unſeres Willens auszuuͤben, um das im Kleinen zu werden, was Gott im Großen iſt, thaͤtig, weiſe, guͤtig und gerecht, und dieß ſoweit unſere Kraͤfte zureichen, zum Beſten des Einzelnen und des Ganzen: o dann koͤnnen wir alle Pfaffen und Kirchen und Kirchenlehren entbehren, und uns kann es gleichviel ſeyn, ob Chriſtus dieß oder jenes war: denn der Werth ſeiner Lehre haͤngt nicht von ſeiner Perſon, ſondern von der Uebereinſtim- mung mit der Vernunft ab. u. ſ. w.“ Vortraͤge von dieſer Art uͤber Moral, Religion, Menſchen-Rechte, Staat, Politik u. dgl. hoͤrt man in den Gaſthoͤfen und Schenken Frankreichs jezt beynahe ohne Unterlaß: und wo ſolche Vor- traͤge auf ſolche Art gehoͤrt werden, da hoͤre ich lie- ber zu, als daß ich ſie durch Dreinreden oder Wi- derſprechen ſtoͤhren ſollte. Ich ſchwieg alſo gleich, und ließ Joſeph und Maria fahren, ſobald ich merk- te, daß meine Apologie wenig fruchten wuͤrde.

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/60>, abgerufen am 02.05.2024.