wir nun überlegten, was wir machen sollten, wurde mein Kamerad den Gottesacker und die Kirche ge- wahr, und that den Vorschlag, hier zu übernach- ten. Wir gingen hin, fanden sie aber verschlossen, und hatten das Herz nicht, sie mit Gewalt zu öff- nen, um die Bauren nicht zu allarmiren. Wir ent- schlossen uns daher kurz und gut, und krochen ins Veinhaus, rüttelten uns auf den Gebeinen etwas zurecht, und schliefen ziemlich gut bis zum andern Morgen.
Vorzeiten würde ich mich gefürchtet haben, eine Nacht an so einem Orte zuzubringen, aber damals galt mir es völlig gleich. Die Todten haben mir meine Freyheit gewiß auch so wenig übel genom- men, als es die Gänse übel nehmen, wenn jemand auf ihren ausgerupften Federn sich hinstreckt. Ueber- bleibsel sind Ueberbleibsel: diese von außen und etwas bequemer, jene von innen und etwas hart; aber wie der Hunger das beßte Gewürz der Spei- sen ist, so ist Müdigkeit die beßte Förderung des Schlafes.
Die Bauren in diesen Gegenden haben die Ge- wohnheit, die Rinde eines gewissen Baumes, dessen Namen mir entfallen ist, aufzuritzen, wie man in einigen Gegenden die Birken aufrizt, und reiben den herausdringenden Ansatz klein, vermi- schen ihn dann mit Wein, und dieser wird dadurch
wir nun uͤberlegten, was wir machen ſollten, wurde mein Kamerad den Gottesacker und die Kirche ge- wahr, und that den Vorſchlag, hier zu uͤbernach- ten. Wir gingen hin, fanden ſie aber verſchloſſen, und hatten das Herz nicht, ſie mit Gewalt zu oͤff- nen, um die Bauren nicht zu allarmiren. Wir ent- ſchloſſen uns daher kurz und gut, und krochen ins Veinhaus, ruͤttelten uns auf den Gebeinen etwas zurecht, und ſchliefen ziemlich gut bis zum andern Morgen.
Vorzeiten wuͤrde ich mich gefuͤrchtet haben, eine Nacht an ſo einem Orte zuzubringen, aber damals galt mir es voͤllig gleich. Die Todten haben mir meine Freyheit gewiß auch ſo wenig uͤbel genom- men, als es die Gaͤnſe uͤbel nehmen, wenn jemand auf ihren ausgerupften Federn ſich hinſtreckt. Ueber- bleibſel ſind Ueberbleibſel: dieſe von außen und etwas bequemer, jene von innen und etwas hart; aber wie der Hunger das beßte Gewuͤrz der Spei- ſen iſt, ſo iſt Muͤdigkeit die beßte Foͤrderung des Schlafes.
Die Bauren in dieſen Gegenden haben die Ge- wohnheit, die Rinde eines gewiſſen Baumes, deſſen Namen mir entfallen iſt, aufzuritzen, wie man in einigen Gegenden die Birken aufrizt, und reiben den herausdringenden Anſatz klein, vermi- ſchen ihn dann mit Wein, und dieſer wird dadurch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0388"n="384"/>
wir nun uͤberlegten, was wir machen ſollten, wurde<lb/>
mein Kamerad den Gottesacker und die Kirche ge-<lb/>
wahr, und that den Vorſchlag, hier zu uͤbernach-<lb/>
ten. Wir gingen hin, fanden ſie aber verſchloſſen,<lb/>
und hatten das Herz nicht, ſie mit Gewalt zu oͤff-<lb/>
nen, um die Bauren nicht zu allarmiren. Wir ent-<lb/>ſchloſſen uns daher kurz und gut, und krochen ins<lb/>
Veinhaus, ruͤttelten uns auf den Gebeinen etwas<lb/>
zurecht, und ſchliefen ziemlich gut bis zum andern<lb/>
Morgen.</p><lb/><p>Vorzeiten wuͤrde ich mich gefuͤrchtet haben, eine<lb/>
Nacht an ſo einem Orte zuzubringen, aber damals<lb/>
galt mir es voͤllig gleich. Die Todten haben mir<lb/>
meine Freyheit gewiß auch ſo wenig uͤbel genom-<lb/>
men, als es die Gaͤnſe uͤbel nehmen, wenn jemand<lb/>
auf ihren ausgerupften Federn ſich hinſtreckt. Ueber-<lb/>
bleibſel ſind Ueberbleibſel: dieſe von außen und<lb/>
etwas bequemer, jene von innen und etwas hart;<lb/>
aber wie der Hunger das beßte Gewuͤrz der Spei-<lb/>ſen iſt, ſo iſt Muͤdigkeit die beßte Foͤrderung des<lb/>
Schlafes.</p><lb/><p>Die Bauren in dieſen Gegenden haben die Ge-<lb/>
wohnheit, die Rinde eines gewiſſen Baumes,<lb/>
deſſen Namen mir entfallen iſt, aufzuritzen, wie<lb/>
man in einigen Gegenden die Birken aufrizt, und<lb/>
reiben den herausdringenden Anſatz klein, vermi-<lb/>ſchen ihn dann mit Wein, und dieſer wird dadurch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[384/0388]
wir nun uͤberlegten, was wir machen ſollten, wurde
mein Kamerad den Gottesacker und die Kirche ge-
wahr, und that den Vorſchlag, hier zu uͤbernach-
ten. Wir gingen hin, fanden ſie aber verſchloſſen,
und hatten das Herz nicht, ſie mit Gewalt zu oͤff-
nen, um die Bauren nicht zu allarmiren. Wir ent-
ſchloſſen uns daher kurz und gut, und krochen ins
Veinhaus, ruͤttelten uns auf den Gebeinen etwas
zurecht, und ſchliefen ziemlich gut bis zum andern
Morgen.
Vorzeiten wuͤrde ich mich gefuͤrchtet haben, eine
Nacht an ſo einem Orte zuzubringen, aber damals
galt mir es voͤllig gleich. Die Todten haben mir
meine Freyheit gewiß auch ſo wenig uͤbel genom-
men, als es die Gaͤnſe uͤbel nehmen, wenn jemand
auf ihren ausgerupften Federn ſich hinſtreckt. Ueber-
bleibſel ſind Ueberbleibſel: dieſe von außen und
etwas bequemer, jene von innen und etwas hart;
aber wie der Hunger das beßte Gewuͤrz der Spei-
ſen iſt, ſo iſt Muͤdigkeit die beßte Foͤrderung des
Schlafes.
Die Bauren in dieſen Gegenden haben die Ge-
wohnheit, die Rinde eines gewiſſen Baumes,
deſſen Namen mir entfallen iſt, aufzuritzen, wie
man in einigen Gegenden die Birken aufrizt, und
reiben den herausdringenden Anſatz klein, vermi-
ſchen ihn dann mit Wein, und dieſer wird dadurch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/388>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.