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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797.

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und Leidenschaft nicht recht mehr unterscheiden kön-
nen. Du siehst dieß an allen verwöhnten hitzigen
Leuten. Erst verleitet sie ihr Temperament, sich
über das Lästige und Zuviele der despotischen Con-
venienz hinauszusetzen. Ihre Sinnlichkeit befin-
det sich bey dieser Lebensart behaglich. Sie gehen
weiter, werden zügellos, und beruhigen sich durch
die sophistische Stimme der Leidenschaft. Endlich
überschreiten sie die natürlichen Pflichten, und be-
täuben, um sich auch dabey zu beruhigen, die
ächte Stimme der Vernunft, und sophistisiren
Moral und alles, was mit der Erhaltung der ver-
nünftigen Natur des Menschen in Verbindung
steht, fort, und werden Scheusale. Betrachte den
Wollüstling, den Trunkenbold, den Geizhals, den
Tyrannen: und du wirst finden, daß ich recht habe.

Ich: Noch sehe ich nicht ein, wohin dein Rä-
sonnement führen soll.

Landrin: Höre nur weiter! Alle Pflicht ent-
steht aus Kontrakt: wer seine Schuldigkeit kennen
lernen will, muß diesen auch genau kennen lernen.
Nun frage ich dich: was ist besser, Freyheit oder
Sklaverey?

Ich: Freyheit allerdings!

Landrin: Kann aber ein einzelner Mensch
frey seyn?

Ich: Auf keine Weise.


und Leidenſchaft nicht recht mehr unterſcheiden koͤn-
nen. Du ſiehſt dieß an allen verwoͤhnten hitzigen
Leuten. Erſt verleitet ſie ihr Temperament, ſich
uͤber das Laͤſtige und Zuviele der deſpotiſchen Con-
venienz hinauszuſetzen. Ihre Sinnlichkeit befin-
det ſich bey dieſer Lebensart behaglich. Sie gehen
weiter, werden zuͤgellos, und beruhigen ſich durch
die ſophiſtiſche Stimme der Leidenſchaft. Endlich
uͤberſchreiten ſie die natuͤrlichen Pflichten, und be-
taͤuben, um ſich auch dabey zu beruhigen, die
aͤchte Stimme der Vernunft, und ſophiſtiſiren
Moral und alles, was mit der Erhaltung der ver-
nuͤnftigen Natur des Menſchen in Verbindung
ſteht, fort, und werden Scheuſale. Betrachte den
Wolluͤſtling, den Trunkenbold, den Geizhals, den
Tyrannen: und du wirſt finden, daß ich recht habe.

Ich: Noch ſehe ich nicht ein, wohin dein Raͤ-
ſonnement fuͤhren ſoll.

Landrin: Hoͤre nur weiter! Alle Pflicht ent-
ſteht aus Kontrakt: wer ſeine Schuldigkeit kennen
lernen will, muß dieſen auch genau kennen lernen.
Nun frage ich dich: was iſt beſſer, Freyheit oder
Sklaverey?

Ich: Freyheit allerdings!

Landrin: Kann aber ein einzelner Menſch
frey ſeyn?

Ich: Auf keine Weiſe.


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[327/0331] und Leidenſchaft nicht recht mehr unterſcheiden koͤn- nen. Du ſiehſt dieß an allen verwoͤhnten hitzigen Leuten. Erſt verleitet ſie ihr Temperament, ſich uͤber das Laͤſtige und Zuviele der deſpotiſchen Con- venienz hinauszuſetzen. Ihre Sinnlichkeit befin- det ſich bey dieſer Lebensart behaglich. Sie gehen weiter, werden zuͤgellos, und beruhigen ſich durch die ſophiſtiſche Stimme der Leidenſchaft. Endlich uͤberſchreiten ſie die natuͤrlichen Pflichten, und be- taͤuben, um ſich auch dabey zu beruhigen, die aͤchte Stimme der Vernunft, und ſophiſtiſiren Moral und alles, was mit der Erhaltung der ver- nuͤnftigen Natur des Menſchen in Verbindung ſteht, fort, und werden Scheuſale. Betrachte den Wolluͤſtling, den Trunkenbold, den Geizhals, den Tyrannen: und du wirſt finden, daß ich recht habe. Ich: Noch ſehe ich nicht ein, wohin dein Raͤ- ſonnement fuͤhren ſoll. Landrin: Hoͤre nur weiter! Alle Pflicht ent- ſteht aus Kontrakt: wer ſeine Schuldigkeit kennen lernen will, muß dieſen auch genau kennen lernen. Nun frage ich dich: was iſt beſſer, Freyheit oder Sklaverey? Ich: Freyheit allerdings! Landrin: Kann aber ein einzelner Menſch frey ſeyn? Ich: Auf keine Weiſe.

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/331>, abgerufen am 18.05.2024.