und Leidenschaft nicht recht mehr unterscheiden kön- nen. Du siehst dieß an allen verwöhnten hitzigen Leuten. Erst verleitet sie ihr Temperament, sich über das Lästige und Zuviele der despotischen Con- venienz hinauszusetzen. Ihre Sinnlichkeit befin- det sich bey dieser Lebensart behaglich. Sie gehen weiter, werden zügellos, und beruhigen sich durch die sophistische Stimme der Leidenschaft. Endlich überschreiten sie die natürlichen Pflichten, und be- täuben, um sich auch dabey zu beruhigen, die ächte Stimme der Vernunft, und sophistisiren Moral und alles, was mit der Erhaltung der ver- nünftigen Natur des Menschen in Verbindung steht, fort, und werden Scheusale. Betrachte den Wollüstling, den Trunkenbold, den Geizhals, den Tyrannen: und du wirst finden, daß ich recht habe.
Ich: Noch sehe ich nicht ein, wohin dein Rä- sonnement führen soll.
Landrin: Höre nur weiter! Alle Pflicht ent- steht aus Kontrakt: wer seine Schuldigkeit kennen lernen will, muß diesen auch genau kennen lernen. Nun frage ich dich: was ist besser, Freyheit oder Sklaverey?
Ich: Freyheit allerdings!
Landrin: Kann aber ein einzelner Mensch frey seyn?
Ich: Auf keine Weise.
und Leidenſchaft nicht recht mehr unterſcheiden koͤn- nen. Du ſiehſt dieß an allen verwoͤhnten hitzigen Leuten. Erſt verleitet ſie ihr Temperament, ſich uͤber das Laͤſtige und Zuviele der deſpotiſchen Con- venienz hinauszuſetzen. Ihre Sinnlichkeit befin- det ſich bey dieſer Lebensart behaglich. Sie gehen weiter, werden zuͤgellos, und beruhigen ſich durch die ſophiſtiſche Stimme der Leidenſchaft. Endlich uͤberſchreiten ſie die natuͤrlichen Pflichten, und be- taͤuben, um ſich auch dabey zu beruhigen, die aͤchte Stimme der Vernunft, und ſophiſtiſiren Moral und alles, was mit der Erhaltung der ver- nuͤnftigen Natur des Menſchen in Verbindung ſteht, fort, und werden Scheuſale. Betrachte den Wolluͤſtling, den Trunkenbold, den Geizhals, den Tyrannen: und du wirſt finden, daß ich recht habe.
Ich: Noch ſehe ich nicht ein, wohin dein Raͤ- ſonnement fuͤhren ſoll.
Landrin: Hoͤre nur weiter! Alle Pflicht ent- ſteht aus Kontrakt: wer ſeine Schuldigkeit kennen lernen will, muß dieſen auch genau kennen lernen. Nun frage ich dich: was iſt beſſer, Freyheit oder Sklaverey?
Ich: Freyheit allerdings!
Landrin: Kann aber ein einzelner Menſch frey ſeyn?
Ich: Auf keine Weiſe.
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und Leidenſchaft nicht recht mehr unterſcheiden koͤn-
nen. Du ſiehſt dieß an allen verwoͤhnten hitzigen
Leuten. Erſt verleitet ſie ihr Temperament, ſich
uͤber das Laͤſtige und Zuviele der deſpotiſchen Con-
venienz hinauszuſetzen. Ihre Sinnlichkeit befin-
det ſich bey dieſer Lebensart behaglich. Sie gehen
weiter, werden zuͤgellos, und beruhigen ſich durch
die ſophiſtiſche Stimme der Leidenſchaft. Endlich
uͤberſchreiten ſie die natuͤrlichen Pflichten, und be-
taͤuben, um ſich auch dabey zu beruhigen, die
aͤchte Stimme der Vernunft, und ſophiſtiſiren
Moral und alles, was mit der Erhaltung der ver-
nuͤnftigen Natur des Menſchen in Verbindung
ſteht, fort, und werden Scheuſale. Betrachte den
Wolluͤſtling, den Trunkenbold, den Geizhals, den
Tyrannen: und du wirſt finden, daß ich recht habe.
Ich: Noch ſehe ich nicht ein, wohin dein Raͤ-
ſonnement fuͤhren ſoll.
Landrin: Hoͤre nur weiter! Alle Pflicht ent-
ſteht aus Kontrakt: wer ſeine Schuldigkeit kennen
lernen will, muß dieſen auch genau kennen lernen.
Nun frage ich dich: was iſt beſſer, Freyheit oder
Sklaverey?
Ich: Freyheit allerdings!
Landrin: Kann aber ein einzelner Menſch
frey ſeyn?
Ich: Auf keine Weiſe.
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/331>, abgerufen am 22.11.2024.
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