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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797.

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lange wird man sich an die Wirkungen dieser sau-
bern Religion, z. B. an die Hinrichtung des
Jean Calas zu Toulouse u. s. w. erinnern. --


scher Egoismus bey Hofe herrschend, und durch den Hof bey
der Nation: denn wie der Hirt, so seine Heerde.
Die Jesuiten, als sie aufkamen, bemerkten diesen
Zustand, und als schlaue Köpfe, die sich in die Zeit und die
Menschen zu schicken wußten, maßen sie, um Eingang zu
finden, ihre Moral der vorgefundenen Politik an. Sie mach-
ten nur die Kissen, worauf die Politik ohne Gewissensbisse
königlich überlisten, wüthen, morden, rauben, und dennoch
christlichsanft ruhen, ja, sogar als Heilige von hinnen schei-
den konnte. Ihre Lehre über den Probabilismus, nebst
dem Grundsatz, daß der Zweck die Mittel heilige, waren das
Prov[pfmess]er, durch dessen Hulfe sie das abge[f]e[i]mteste System
der Menschen- und Dinge-Behandlung auf den Stamm der
positiven Religion propften, und dadurch heiligten. Dieß
System fröhnte der Politik und den Leidenschaften der Großen
zu sehr, als daß es nicht hätte Hofsystem werden sollen. Es
ward es, und die Jesuiten beherrschten von nun an die Gei-
ster- und Körperwelt, im Cabinet wie im Beichtstuhl. Den
Erfolg davon lehrt die Geschichte. Man herrschte mit heili-
ger Beruhigung jezt unumschränkt, so weit List und Kraft
es zuließ, ohne Rücksicht auf Recht, Vernunft, Achtung,
Haltbarkeit und Verträge. Der Listigste war der Beste; und
Christus, Sakramente, Gnade und Beichtväter waren die
Mittel, die gröbsten Vergehungen zu tilgen, und den Länder-
und Völker-Rauber, Verräther, Mörder und Schinder zum
Heiligen umzustempeln. Die Moralität und der Werth der
Menschen lag jezt mehr außer ihnen, als in ihnen. Eine
Bartholomäusnacht ward ein verdienstliches Werk
durch den Mund und die Hand des absolvirenden Beichtvaters.
Allein was den Königen zu Gute kam, kam deren Unter-
thanen es nicht minder. Sündige keck, beichte reumüthig,
und du wirst selig -- ward der Grundsatz aller jesuitisch-
katholischer Christen. Die Politik verstieß systematisch gegen
die Grundsätze der allgemeinen Moral: und wie konnte man
erwarten, daß die Moral der Unterthanen die Politik der
Beherrscher noch achten sollte! Friede umarmt nur Gerechtig-
keit: und mit dem Maaße, womit Andere uns messen, messen
wir ihnen wieder: respektiren sie unsere und Anderer Recht[e]

lange wird man ſich an die Wirkungen dieſer ſau-
bern Religion, z. B. an die Hinrichtung des
Jean Calas zu Toulouſe u. ſ. w. erinnern. —


ſcher Egoismus bey Hofe herrſchend, und durch den Hof bey
der Nation: denn wie der Hirt, ſo ſeine Heerde.
Die Jeſuiten, als ſie aufkamen, bemerkten dieſen
Zuſtand, und als ſchlaue Köpfe, die ſich in die Zeit und die
Menſchen zu ſchicken wußten, maßen ſie, um Eingang zu
finden, ihre Moral der vorgefundenen Politik an. Sie mach-
ten nur die Kiſſen, worauf die Politik ohne Gewiſſensbiſſe
königlich überliſten, wüthen, morden, rauben, und dennoch
chriſtlichſanft ruhen, ja, ſogar als Heilige von hinnen ſchei-
den konnte. Ihre Lehre über den Probabilismus, nebſt
dem Grundſatz, daß der Zweck die Mittel heilige, waren das
Prov[pfmeſſ]er, durch deſſen Hulfe ſie das abge[f]e[i]mteſte Syſtem
der Menſchen- und Dinge-Behandlung auf den Stamm der
poſitiven Religion propften, und dadurch heiligten. Dieß
Syſtem fröhnte der Politik und den Leidenſchaften der Großen
zu ſehr, als daß es nicht hätte Hofſyſtem werden ſollen. Es
ward es, und die Jeſuiten beherrſchten von nun an die Gei-
ſter- und Körperwelt, im Cabinet wie im Beichtſtuhl. Den
Erfolg davon lehrt die Geſchichte. Man herrſchte mit heili-
ger Beruhigung jezt unumſchränkt, ſo weit Liſt und Kraft
es zuließ, ohne Rückſicht auf Recht, Vernunft, Achtung,
Haltbarkeit und Verträge. Der Liſtigſte war der Beſte; und
Chriſtus, Sakramente, Gnade und Beichtväter waren die
Mittel, die gröbſten Vergehungen zu tilgen, und den Länder-
und Völker-Rauber, Verräther, Mörder und Schinder zum
Heiligen umzuſtempeln. Die Moralität und der Werth der
Menſchen lag jezt mehr außer ihnen, als in ihnen. Eine
Bartholomäusnacht ward ein verdienſtliches Werk
durch den Mund und die Hand des abſolvirenden Beichtvaters.
Allein was den Königen zu Gute kam, kam deren Unter-
thanen es nicht minder. Sündige keck, beichte reumüthig,
und du wirſt ſelig — ward der Grundſatz aller jeſuitiſch-
katholiſcher Chriſten. Die Politik verſtieß ſyſtematiſch gegen
die Grundſätze der allgemeinen Moral: und wie konnte man
erwarten, daß die Moral der Unterthanen die Politik der
Beherrſcher noch achten ſollte! Friede umarmt nur Gerechtig-
keit: und mit dem Maaße, womit Andere uns meſſen, meſſen
wir ihnen wieder: reſpektiren ſie unſere und Anderer Recht[e]
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[233/0237] lange wird man ſich an die Wirkungen dieſer ſau- bern Religion, z. B. an die Hinrichtung des Jean Calas zu Toulouſe u. ſ. w. erinnern. — *) *) ſcher Egoismus bey Hofe herrſchend, und durch den Hof bey der Nation: denn wie der Hirt, ſo ſeine Heerde. Die Jeſuiten, als ſie aufkamen, bemerkten dieſen Zuſtand, und als ſchlaue Köpfe, die ſich in die Zeit und die Menſchen zu ſchicken wußten, maßen ſie, um Eingang zu finden, ihre Moral der vorgefundenen Politik an. Sie mach- ten nur die Kiſſen, worauf die Politik ohne Gewiſſensbiſſe königlich überliſten, wüthen, morden, rauben, und dennoch chriſtlichſanft ruhen, ja, ſogar als Heilige von hinnen ſchei- den konnte. Ihre Lehre über den Probabilismus, nebſt dem Grundſatz, daß der Zweck die Mittel heilige, waren das Provpfmeſſer, durch deſſen Hulfe ſie das abgefeimteſte Syſtem der Menſchen- und Dinge-Behandlung auf den Stamm der poſitiven Religion propften, und dadurch heiligten. Dieß Syſtem fröhnte der Politik und den Leidenſchaften der Großen zu ſehr, als daß es nicht hätte Hofſyſtem werden ſollen. Es ward es, und die Jeſuiten beherrſchten von nun an die Gei- ſter- und Körperwelt, im Cabinet wie im Beichtſtuhl. Den Erfolg davon lehrt die Geſchichte. Man herrſchte mit heili- ger Beruhigung jezt unumſchränkt, ſo weit Liſt und Kraft es zuließ, ohne Rückſicht auf Recht, Vernunft, Achtung, Haltbarkeit und Verträge. Der Liſtigſte war der Beſte; und Chriſtus, Sakramente, Gnade und Beichtväter waren die Mittel, die gröbſten Vergehungen zu tilgen, und den Länder- und Völker-Rauber, Verräther, Mörder und Schinder zum Heiligen umzuſtempeln. Die Moralität und der Werth der Menſchen lag jezt mehr außer ihnen, als in ihnen. Eine Bartholomäusnacht ward ein verdienſtliches Werk durch den Mund und die Hand des abſolvirenden Beichtvaters. Allein was den Königen zu Gute kam, kam deren Unter- thanen es nicht minder. Sündige keck, beichte reumüthig, und du wirſt ſelig — ward der Grundſatz aller jeſuitiſch- katholiſcher Chriſten. Die Politik verſtieß ſyſtematiſch gegen die Grundſätze der allgemeinen Moral: und wie konnte man erwarten, daß die Moral der Unterthanen die Politik der Beherrſcher noch achten ſollte! Friede umarmt nur Gerechtig- keit: und mit dem Maaße, womit Andere uns meſſen, meſſen wir ihnen wieder: reſpektiren ſie unſere und Anderer Rechte

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/237>, abgerufen am 27.11.2024.