daß er nicht zu Hause sey; und auf meine Frage, ob er bald kommen würde, antwortete mir das noch immer hübsche Weibchen, daß er unter einer ganzen Dekade, d. i. in 10 Tagen, nicht wieder käme. Ich ging also weg, ohne an Lobstein weiter zu denken, und begab mich auf das Wirths- haus zum tiefen Keller, wo ich vorzeiten bekannt geworden war. Der Wirth war indessen gestorben, und die Tochter hatte geheurathet. Ihr Mann war ein hübscher junger Mann, der mit mir von den alten Zeiten plauderte. Ich fragte so nach diesem und jenem, und kam endlich auf den Dok- tor Lobstein. Ja, sagte der Wirth, der steckt fest: der sizt auf dem Gemeinhaus! Ich erschrack, daß auch Lobstein einsitzen sollte, fragte nach der Ursache, und hörte folgende.
Lobstein war gleich bey dem Anfange der Revolution mit dem neuen Systeme nicht zufrie- den. Er war einer von jenen geduldigen Schafen, welche sich um Jesu Christi willen traktiren lassen, wie man nur verlangt. Er hielt dafür, daß dieser Zeit Leiden nicht werth seyen der Herrlichkeit, die an uns soll offenbaret werden, und daß man folg- lich ohne große Sünde sich keiner Schmach noch Bedrückung entziehen dürfe. Zudem sey Ludwig XVI. König und Obrigkeit, und es sey doch nach dem klaren Ausspruch Pauli (Röm. XIII. 1.)
daß er nicht zu Hauſe ſey; und auf meine Frage, ob er bald kommen wuͤrde, antwortete mir das noch immer huͤbſche Weibchen, daß er unter einer ganzen Dekade, d. i. in 10 Tagen, nicht wieder kaͤme. Ich ging alſo weg, ohne an Lobſtein weiter zu denken, und begab mich auf das Wirths- haus zum tiefen Keller, wo ich vorzeiten bekannt geworden war. Der Wirth war indeſſen geſtorben, und die Tochter hatte geheurathet. Ihr Mann war ein huͤbſcher junger Mann, der mit mir von den alten Zeiten plauderte. Ich fragte ſo nach dieſem und jenem, und kam endlich auf den Dok- tor Lobſtein. Ja, ſagte der Wirth, der ſteckt feſt: der ſizt auf dem Gemeinhaus! Ich erſchrack, daß auch Lobſtein einſitzen ſollte, fragte nach der Urſache, und hoͤrte folgende.
Lobſtein war gleich bey dem Anfange der Revolution mit dem neuen Syſteme nicht zufrie- den. Er war einer von jenen geduldigen Schafen, welche ſich um Jeſu Chriſti willen traktiren laſſen, wie man nur verlangt. Er hielt dafuͤr, daß dieſer Zeit Leiden nicht werth ſeyen der Herrlichkeit, die an uns ſoll offenbaret werden, und daß man folg- lich ohne große Suͤnde ſich keiner Schmach noch Bedruͤckung entziehen duͤrfe. Zudem ſey Ludwig XVI. Koͤnig und Obrigkeit, und es ſey doch nach dem klaren Ausſpruch Pauli (Roͤm. XIII. 1.)
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daß er nicht zu Hauſe ſey; und auf meine Frage,
ob er bald kommen wuͤrde, antwortete mir das
noch immer huͤbſche Weibchen, daß er unter einer
ganzen Dekade, d. i. in 10 Tagen, nicht wieder
kaͤme. Ich ging alſo weg, ohne an Lobſtein
weiter zu denken, und begab mich auf das Wirths-
haus zum tiefen Keller, wo ich vorzeiten bekannt
geworden war. Der Wirth war indeſſen geſtorben,
und die Tochter hatte geheurathet. Ihr Mann
war ein huͤbſcher junger Mann, der mit mir von
den alten Zeiten plauderte. Ich fragte ſo nach
dieſem und jenem, und kam endlich auf den Dok-
tor Lobſtein. Ja, ſagte der Wirth, der ſteckt
feſt: der ſizt auf dem Gemeinhaus! Ich erſchrack,
daß auch Lobſtein einſitzen ſollte, fragte nach der
Urſache, und hoͤrte folgende.
Lobſtein war gleich bey dem Anfange der
Revolution mit dem neuen Syſteme nicht zufrie-
den. Er war einer von jenen geduldigen Schafen,
welche ſich um Jeſu Chriſti willen traktiren laſſen,
wie man nur verlangt. Er hielt dafuͤr, daß dieſer
Zeit Leiden nicht werth ſeyen der Herrlichkeit, die
an uns ſoll offenbaret werden, und daß man folg-
lich ohne große Suͤnde ſich keiner Schmach noch
Bedruͤckung entziehen duͤrfe. Zudem ſey Ludwig
XVI. Koͤnig und Obrigkeit, und es ſey doch nach
dem klaren Ausſpruch Pauli (Roͤm. XIII. 1.)
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/232>, abgerufen am 23.11.2024.
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