Ich ging aus, und mein erster Gang war nach der Kathedralkirche, oder dem berühmten Münster. Allein wie fand ich da Alles verändert! Der ganze Münster war ausgeleert: alle Heiligen-Bilder, alle Wappen, alle prunkvollen Grabschriften, alle Altäre, kurz, Alles, was ehemals die Augen der Betrachter auf sich gezogen hatte, war weg! Man hatte aus dem Münster den Tempel der Ver- nunft gemacht, d. i. denjenigen Ort, wo man zusammenkam, republikanische Reden anzuhören u. s. w.
Es ist doch wahrlich Schade, sagte ich, um die herrlichen Kunstwerke, die hier zerstöhrt sind! Was, erwiederte ein Mann, der neben mir stand, Schade um Kunstwerke, welche den Aberglauben und den Despotismus predigten?
Ich: Dem Vernünftigen predigen die Werke der Kunst niemals Aberglauben und Despotismus: weit eher Abscheu dagegen.
Er: Um Vergebung, Citoyen, was nennst Du ein Werk der Kunst?
Ich: Ein Werk, das die Natur veredelt ge- treu ausdrückt.
Er: Was ist denn ein religiöses Kunst- werk?
Ich: (stockend) Das ist -- ist --
Ich ging aus, und mein erſter Gang war nach der Kathedralkirche, oder dem beruͤhmten Muͤnſter. Allein wie fand ich da Alles veraͤndert! Der ganze Muͤnſter war ausgeleert: alle Heiligen-Bilder, alle Wappen, alle prunkvollen Grabſchriften, alle Altaͤre, kurz, Alles, was ehemals die Augen der Betrachter auf ſich gezogen hatte, war weg! Man hatte aus dem Muͤnſter den Tempel der Ver- nunft gemacht, d. i. denjenigen Ort, wo man zuſammenkam, republikaniſche Reden anzuhoͤren u. ſ. w.
Es iſt doch wahrlich Schade, ſagte ich, um die herrlichen Kunſtwerke, die hier zerſtoͤhrt ſind! Was, erwiederte ein Mann, der neben mir ſtand, Schade um Kunſtwerke, welche den Aberglauben und den Deſpotismus predigten?
Ich: Dem Vernuͤnftigen predigen die Werke der Kunſt niemals Aberglauben und Deſpotismus: weit eher Abſcheu dagegen.
Er: Um Vergebung, Citoyen, was nennſt Du ein Werk der Kunſt?
Ich: Ein Werk, das die Natur veredelt ge- treu ausdruͤckt.
Er: Was iſt denn ein religioͤſes Kunſt- werk?
Ich: (ſtockend) Das iſt — iſt —
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Ich ging aus, und mein erſter Gang war nach
der Kathedralkirche, oder dem beruͤhmten Muͤnſter.
Allein wie fand ich da Alles veraͤndert! Der ganze
Muͤnſter war ausgeleert: alle Heiligen-Bilder,
alle Wappen, alle prunkvollen Grabſchriften, alle
Altaͤre, kurz, Alles, was ehemals die Augen der
Betrachter auf ſich gezogen hatte, war weg! Man
hatte aus dem Muͤnſter den Tempel der Ver-
nunft gemacht, d. i. denjenigen Ort, wo man
zuſammenkam, republikaniſche Reden anzuhoͤren
u. ſ. w.
Es iſt doch wahrlich Schade, ſagte ich, um
die herrlichen Kunſtwerke, die hier zerſtoͤhrt ſind!
Was, erwiederte ein Mann, der neben mir ſtand,
Schade um Kunſtwerke, welche den Aberglauben
und den Deſpotismus predigten?
Ich: Dem Vernuͤnftigen predigen die Werke
der Kunſt niemals Aberglauben und Deſpotismus:
weit eher Abſcheu dagegen.
Er: Um Vergebung, Citoyen, was nennſt
Du ein Werk der Kunſt?
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treu ausdruͤckt.
Er: Was iſt denn ein religioͤſes Kunſt-
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Ich: (ſtockend) Das iſt — iſt —
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/194>, abgerufen am 27.11.2024.
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