Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

ihren elenden kurzen Lumpen zudecken, und da diese
ganz voll Ungeziefer waren, so wurden sie von die-
sem beynahe lebendig gefressen.

Ich stund da, und wußte nicht, was ich vor
Mitleid und Aerger sagen sollte. Ich fragte end-
lich nach der Krankenpflege, erfuhr aber, daß hier
außer ein bissel Kommißbrod nichts vorfalle. An
Arzney fehlte es beynahe ganz!

Ich wollte, wie man weiß, den Unteroffizier
Koggel sehen, aber weder Feldscheer noch Kran-
kenwärter konnte mir sagen, in welchem Zimmer
ich ihn treffen könnte. So sehr fehlte es an aller
besondern Aufsicht! Sogar hörte ich einen sagen:
"Wen hier der Teufel holt (er wollte sagen: wer
hier stirbt), ist geliefert: kein Guckuck frägt wei-
ter nach ihm." *)


*) Daß dieß im Ganzen wahr war, lehrt folgende Anekdote.
In der Gegend von Mans[ - 2 Zeichen fehlen]ld erfährt eine Mutter mehrerer
Kinder, ihr Mann sey im Lazarethe verstorben. Nicht mehr
im Stande, ihre Kinder allein zu ernahren, klagt sie ihre
Noth einem Gevatter und Betreundeten ihres Verstorbenen.
Dieser durch Mitleid gerührt, und aus Freundschaft gegen
den als todt Ersa ollnen, erbietet sich, sie zu heurathen, und
dann mit ihr für ihre Kinder zu sorgen. Man schreibt um
den Todtenschein, erhält ihn, und die Heurath geht vor sich.
Ueber Jahr und Tag steht die Mutter an der Waschwanne,
hört Yochen an der Thur, geht hin, und -- Gott, mit
welcher Bestürzung! -- erblickt ihren als todtbescheinigten
Mann an einer Krücke als Kruppel. Bist du's? --
Ist's dein Geist? -- Er war's -- hört, was vorgegangen
war, lobt den braven, mitleidigen Gevatter, la[ - 2 Zeichen fehlen] [ - 3 Zeichen fehlen]n voll

ihren elenden kurzen Lumpen zudecken, und da dieſe
ganz voll Ungeziefer waren, ſo wurden ſie von die-
ſem beynahe lebendig gefreſſen.

Ich ſtund da, und wußte nicht, was ich vor
Mitleid und Aerger ſagen ſollte. Ich fragte end-
lich nach der Krankenpflege, erfuhr aber, daß hier
außer ein biſſel Kommißbrod nichts vorfalle. An
Arzney fehlte es beynahe ganz!

Ich wollte, wie man weiß, den Unteroffizier
Koggel ſehen, aber weder Feldſcheer noch Kran-
kenwaͤrter konnte mir ſagen, in welchem Zimmer
ich ihn treffen koͤnnte. So ſehr fehlte es an aller
beſondern Aufſicht! Sogar hoͤrte ich einen ſagen:
„Wen hier der Teufel holt (er wollte ſagen: wer
hier ſtirbt), iſt geliefert: kein Guckuck fraͤgt wei-
ter nach ihm.“ *)


*) Daß dieß im Ganzen wahr war, lehrt folgende Anekdote.
In der Gegend von Mans[ – 2 Zeichen fehlen]ld erfaͤhrt eine Mutter mehrerer
Kinder, ihr Mann ſey im Lazarethe verſtorben. Nicht mehr
im Stande, ihre Kinder allein zu ernahren, klagt ſie ihre
Noth einem Gevatter und Betreundeten ihres Verſtorbenen.
Dieſer durch Mitleid geruͤhrt, und aus Freundſchaft gegen
den als todt Erſa ollnen, erbietet ſich, ſie zu heurathen, und
dann mit ihr fuͤr ihre Kinder zu ſorgen. Man ſchreibt um
den Todtenſchein, erhaͤlt ihn, und die Heurath geht vor ſich.
Ueber Jahr und Tag ſteht die Mutter an der Waſchwanne,
hoͤrt Yochen an der Thur, geht hin, und — Gott, mit
welcher Beſtuͤrzung! — erblickt ihren als todtbeſcheinigten
Mann an einer Kruͤcke als Kruppel. Biſt du's? —
Iſt's dein Geiſt? — Er war's — hoͤrt, was vorgegangen
war, lobt den braven, mitleidigen Gevatter, la[ – 2 Zeichen fehlen] [ – 3 Zeichen fehlen]n voll
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0258" n="246"/>
ihren elenden kurzen Lumpen zudecken, und da die&#x017F;e<lb/>
ganz voll Ungeziefer waren, &#x017F;o wurden &#x017F;ie von die-<lb/>
&#x017F;em beynahe lebendig gefre&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;tund da, und wußte nicht, was ich vor<lb/>
Mitleid und Aerger &#x017F;agen &#x017F;ollte. Ich fragte end-<lb/>
lich nach der Krankenpflege, erfuhr aber, daß hier<lb/>
außer ein bi&#x017F;&#x017F;el Kommißbrod nichts vorfalle. An<lb/>
Arzney fehlte es beynahe ganz!</p><lb/>
        <p>Ich wollte, wie man weiß, den Unteroffizier<lb/><hi rendition="#g">Koggel</hi> &#x017F;ehen, aber weder Feld&#x017F;cheer noch Kran-<lb/>
kenwa&#x0364;rter konnte mir &#x017F;agen, in welchem Zimmer<lb/>
ich ihn treffen ko&#x0364;nnte. So &#x017F;ehr fehlte es an aller<lb/>
be&#x017F;ondern Auf&#x017F;icht! Sogar ho&#x0364;rte ich einen &#x017F;agen:<lb/>
&#x201E;Wen hier der Teufel holt (er wollte &#x017F;agen: wer<lb/>
hier &#x017F;tirbt), i&#x017F;t geliefert: kein Guckuck fra&#x0364;gt wei-<lb/>
ter nach ihm.&#x201C; <note xml:id="note-0258" next="#note-0259" place="foot" n="*)">Daß dieß im Ganzen wahr war, lehrt folgende Anekdote.<lb/>
In der Gegend von Mans<gap unit="chars" quantity="2"/>ld erfa&#x0364;hrt eine Mutter mehrerer<lb/>
Kinder, ihr Mann &#x017F;ey im Lazarethe ver&#x017F;torben. Nicht mehr<lb/>
im Stande, ihre Kinder allein zu ernahren, klagt &#x017F;ie ihre<lb/>
Noth einem Gevatter und Betreundeten ihres Ver&#x017F;torbenen.<lb/>
Die&#x017F;er durch Mitleid geru&#x0364;hrt, und aus Freund&#x017F;chaft gegen<lb/>
den als todt Er&#x017F;a ollnen, erbietet &#x017F;ich, &#x017F;ie zu heurathen, und<lb/>
dann mit ihr fu&#x0364;r ihre Kinder zu &#x017F;orgen. Man &#x017F;chreibt um<lb/>
den Todten&#x017F;chein, erha&#x0364;lt ihn, und die Heurath geht vor &#x017F;ich.<lb/>
Ueber Jahr und Tag &#x017F;teht die Mutter an der Wa&#x017F;chwanne,<lb/>
ho&#x0364;rt Yochen an der Thur, geht hin, und &#x2014; Gott, mit<lb/>
welcher Be&#x017F;tu&#x0364;rzung! &#x2014; erblickt ihren als todtbe&#x017F;cheinigten<lb/>
Mann an einer Kru&#x0364;cke als Kruppel. Bi&#x017F;t du's? &#x2014;<lb/>
I&#x017F;t's dein Gei&#x017F;t? &#x2014; Er war's &#x2014; ho&#x0364;rt, was vorgegangen<lb/>
war, lobt den braven, mitleidigen Gevatter, la<gap unit="chars" quantity="2"/> <gap unit="chars" quantity="3"/>n voll</note></p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0258] ihren elenden kurzen Lumpen zudecken, und da dieſe ganz voll Ungeziefer waren, ſo wurden ſie von die- ſem beynahe lebendig gefreſſen. Ich ſtund da, und wußte nicht, was ich vor Mitleid und Aerger ſagen ſollte. Ich fragte end- lich nach der Krankenpflege, erfuhr aber, daß hier außer ein biſſel Kommißbrod nichts vorfalle. An Arzney fehlte es beynahe ganz! Ich wollte, wie man weiß, den Unteroffizier Koggel ſehen, aber weder Feldſcheer noch Kran- kenwaͤrter konnte mir ſagen, in welchem Zimmer ich ihn treffen koͤnnte. So ſehr fehlte es an aller beſondern Aufſicht! Sogar hoͤrte ich einen ſagen: „Wen hier der Teufel holt (er wollte ſagen: wer hier ſtirbt), iſt geliefert: kein Guckuck fraͤgt wei- ter nach ihm.“ *) *) Daß dieß im Ganzen wahr war, lehrt folgende Anekdote. In der Gegend von Mans__ld erfaͤhrt eine Mutter mehrerer Kinder, ihr Mann ſey im Lazarethe verſtorben. Nicht mehr im Stande, ihre Kinder allein zu ernahren, klagt ſie ihre Noth einem Gevatter und Betreundeten ihres Verſtorbenen. Dieſer durch Mitleid geruͤhrt, und aus Freundſchaft gegen den als todt Erſa ollnen, erbietet ſich, ſie zu heurathen, und dann mit ihr fuͤr ihre Kinder zu ſorgen. Man ſchreibt um den Todtenſchein, erhaͤlt ihn, und die Heurath geht vor ſich. Ueber Jahr und Tag ſteht die Mutter an der Waſchwanne, hoͤrt Yochen an der Thur, geht hin, und — Gott, mit welcher Beſtuͤrzung! — erblickt ihren als todtbeſcheinigten Mann an einer Kruͤcke als Kruppel. Biſt du's? — Iſt's dein Geiſt? — Er war's — hoͤrt, was vorgegangen war, lobt den braven, mitleidigen Gevatter, la__ ___n voll

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/258
Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/258>, abgerufen am 22.11.2024.