Die Kranken -- mir schaudert noch die Haut, wenn ich an das Uebermaaß alles des Elends denke, welches unsre armen Kranken auf dieser verfluchten Retirade überstehen mußten! -- Die Kranken also mehrten sich jeden Tag, so, daß endlich kaum Fuhren genug zu haben waren, sie wegzubringen. Das Uebel, welches unser Heer so schrecklich zer- störte, war, wie wir wissen, besonders die Ruhr: es lagen aber auch sehr viele an Gicht und andern arthri- tischen Zufällen. Die Ruhr mehrte sich durch den Nothgenuß des unreifen Obstes und Weins.
Unsre Läger sahen bey unserm Aufbruch auch hier noch immer aus, wie Begräbnißstätten, oder wie Spitalhöfe. Die eckelhaften blutigen Exkre- mente machten einen scheußlichen, und die da und dort liegenden Kranken und mit dem Tode erbärm- lich Ringenden einen schrecklichen Anblick. Jeden Tag hatte ich den deutlichsten Beweis für meinen alten Satz: daß der Mensch -- nach unsrer jetzi- gen bürgerlichen Einrichtung -- eigentlich wie bestimmt sey, lasterhaft und unglücklich zu werden, und daß wenigstens gewisse Vorschriften der Mo- ralphilosophie sich jezt oft nicht anwenden lassen, folglich jezt nichts weniger, als allgemein sind. *)
*) Was Rousseau in dieser Rücksicht, den Künsten und Wis- senschaften zur Last gelegt hat, ist bekannt: aber die Englände- rin, M. Wollstone[c]raft, sah tiefer und [ - 8 Zeichen fehlen]. Die
Die Kranken — mir ſchaudert noch die Haut, wenn ich an das Uebermaaß alles des Elends denke, welches unſre armen Kranken auf dieſer verfluchten Retirade uͤberſtehen mußten! — Die Kranken alſo mehrten ſich jeden Tag, ſo, daß endlich kaum Fuhren genug zu haben waren, ſie wegzubringen. Das Uebel, welches unſer Heer ſo ſchrecklich zer- ſtoͤrte, war, wie wir wiſſen, beſonders die Ruhr: es lagen aber auch ſehr viele an Gicht und andern arthri- tiſchen Zufaͤllen. Die Ruhr mehrte ſich durch den Nothgenuß des unreifen Obſtes und Weins.
Unſre Laͤger ſahen bey unſerm Aufbruch auch hier noch immer aus, wie Begraͤbnißſtaͤtten, oder wie Spitalhoͤfe. Die eckelhaften blutigen Exkre- mente machten einen ſcheußlichen, und die da und dort liegenden Kranken und mit dem Tode erbaͤrm- lich Ringenden einen ſchrecklichen Anblick. Jeden Tag hatte ich den deutlichſten Beweis fuͤr meinen alten Satz: daß der Menſch — nach unſrer jetzi- gen buͤrgerlichen Einrichtung — eigentlich wie beſtimmt ſey, laſterhaft und ungluͤcklich zu werden, und daß wenigſtens gewiſſe Vorſchriften der Mo- ralphiloſophie ſich jezt oft nicht anwenden laſſen, folglich jezt nichts weniger, als allgemein ſind. *)
*) Was Rouſſeau in dieſer Ruͤckſicht, den Kuͤnſten und Wiſ- ſenſchaften zur Laſt gelegt hat, iſt bekannt: aber die Englaͤnde- rin, M. Wollſtone[c]raft, ſah tiefer und [ – 8 Zeichen fehlen]. Die
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Die Kranken — mir ſchaudert noch die Haut,
wenn ich an das Uebermaaß alles des Elends denke,
welches unſre armen Kranken auf dieſer verfluchten
Retirade uͤberſtehen mußten! — Die Kranken
alſo mehrten ſich jeden Tag, ſo, daß endlich kaum
Fuhren genug zu haben waren, ſie wegzubringen.
Das Uebel, welches unſer Heer ſo ſchrecklich zer-
ſtoͤrte, war, wie wir wiſſen, beſonders die Ruhr: es
lagen aber auch ſehr viele an Gicht und andern arthri-
tiſchen Zufaͤllen. Die Ruhr mehrte ſich durch den
Nothgenuß des unreifen Obſtes und Weins.
Unſre Laͤger ſahen bey unſerm Aufbruch auch
hier noch immer aus, wie Begraͤbnißſtaͤtten, oder
wie Spitalhoͤfe. Die eckelhaften blutigen Exkre-
mente machten einen ſcheußlichen, und die da und
dort liegenden Kranken und mit dem Tode erbaͤrm-
lich Ringenden einen ſchrecklichen Anblick. Jeden
Tag hatte ich den deutlichſten Beweis fuͤr meinen
alten Satz: daß der Menſch — nach unſrer jetzi-
gen buͤrgerlichen Einrichtung — eigentlich wie
beſtimmt ſey, laſterhaft und ungluͤcklich zu werden,
und daß wenigſtens gewiſſe Vorſchriften der Mo-
ralphiloſophie ſich jezt oft nicht anwenden laſſen,
folglich jezt nichts weniger, als allgemein ſind. *)
*) Was Rouſſeau in dieſer Ruͤckſicht, den Kuͤnſten und Wiſ-
ſenſchaften zur Laſt gelegt hat, iſt bekannt: aber die Englaͤnde-
rin, M. Wollſtonecraft, ſah tiefer und ________. Die
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/207>, abgerufen am 21.11.2024.
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