Die venerische Krankheit war hier sehr im Gange. Sonderbar, daß man in katholischen Ge- genden der Liebe weit zügelloser fröhnet, als in protestantischen. Aber die Natur will ihr Recht haben, und kömmt sie erst zur Reife, dann holt sie das unbändig nach, was vorher, als sie noch un- reif war, die Kloster-Ascetik zwar zurückhielt, aber nicht unterdrückte. Dieß gilt auch für asce- tische Protestanten.
Naturam furca expellas, tamen usque recurret.
Bisher hatte man immer gehofft, das Mani- fest des Herzogs von Braunschweig würde eine gute Wirkung auf die Franzosen haben, und uns der Mühe überheben, in ihr Land selbst einzudrin- gen. Dieses war so zu sagen, die allgemeine Er- wartung fast aller Offiziere und Soldaten: denn diese alle waren schon jezt des Krieges müde.
Aber wie sehr sehen sich die guten Leute in ihrer Erwartung betrogen, als sie von der mächtigen Veränderung hörten, welche am 10ten August in Paris vorgefallen war! Die Begebenheit dieses für Frankreichs und seines Königes Schicksal so merkwürdigen Tages zerstörte alle ihre Erwar- tungen; und nun hieß es: "Jezt ist kein Mittel: wir müssen geradesweges nach Paris! die verfluch- ten Hunde, die Patrioten, müssen aufgehängt und gerädert werden." -- Das war nun schon so ge-
Die veneriſche Krankheit war hier ſehr im Gange. Sonderbar, daß man in katholiſchen Ge- genden der Liebe weit zuͤgelloſer froͤhnet, als in proteſtantiſchen. Aber die Natur will ihr Recht haben, und koͤmmt ſie erſt zur Reife, dann holt ſie das unbaͤndig nach, was vorher, als ſie noch un- reif war, die Kloſter-Aſcetik zwar zuruͤckhielt, aber nicht unterdruͤckte. Dieß gilt auch fuͤr aſce- tiſche Proteſtanten.
Naturam furca expellas, tamen usque recurret.
Bisher hatte man immer gehofft, das Mani- feſt des Herzogs von Braunſchweig wuͤrde eine gute Wirkung auf die Franzoſen haben, und uns der Muͤhe uͤberheben, in ihr Land ſelbſt einzudrin- gen. Dieſes war ſo zu ſagen, die allgemeine Er- wartung faſt aller Offiziere und Soldaten: denn dieſe alle waren ſchon jezt des Krieges muͤde.
Aber wie ſehr ſehen ſich die guten Leute in ihrer Erwartung betrogen, als ſie von der maͤchtigen Veraͤnderung hoͤrten, welche am 10ten Auguſt in Paris vorgefallen war! Die Begebenheit dieſes fuͤr Frankreichs und ſeines Koͤniges Schickſal ſo merkwuͤrdigen Tages zerſtoͤrte alle ihre Erwar- tungen; und nun hieß es: „Jezt iſt kein Mittel: wir muͤſſen geradesweges nach Paris! die verfluch- ten Hunde, die Patrioten, muͤſſen aufgehaͤngt und geraͤdert werden.“ — Das war nun ſchon ſo ge-
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Die veneriſche Krankheit war hier ſehr im
Gange. Sonderbar, daß man in katholiſchen Ge-
genden der Liebe weit zuͤgelloſer froͤhnet, als in
proteſtantiſchen. Aber die Natur will ihr Recht
haben, und koͤmmt ſie erſt zur Reife, dann holt ſie
das unbaͤndig nach, was vorher, als ſie noch un-
reif war, die Kloſter-Aſcetik zwar zuruͤckhielt,
aber nicht unterdruͤckte. Dieß gilt auch fuͤr aſce-
tiſche Proteſtanten.
Naturam furca expellas, tamen usque recurret.
Bisher hatte man immer gehofft, das Mani-
feſt des Herzogs von Braunſchweig wuͤrde eine
gute Wirkung auf die Franzoſen haben, und uns
der Muͤhe uͤberheben, in ihr Land ſelbſt einzudrin-
gen. Dieſes war ſo zu ſagen, die allgemeine Er-
wartung faſt aller Offiziere und Soldaten: denn
dieſe alle waren ſchon jezt des Krieges muͤde.
Aber wie ſehr ſehen ſich die guten Leute in ihrer
Erwartung betrogen, als ſie von der maͤchtigen
Veraͤnderung hoͤrten, welche am 10ten Auguſt in
Paris vorgefallen war! Die Begebenheit dieſes
fuͤr Frankreichs und ſeines Koͤniges Schickſal
ſo merkwuͤrdigen Tages zerſtoͤrte alle ihre Erwar-
tungen; und nun hieß es: „Jezt iſt kein Mittel:
wir muͤſſen geradesweges nach Paris! die verfluch-
ten Hunde, die Patrioten, muͤſſen aufgehaͤngt und
geraͤdert werden.“ — Das war nun ſchon ſo ge-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/111>, abgerufen am 23.11.2024.
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