sen hat: daß die natürliche Religion oder vielmehr die Moral schon vollkommen genug sey, auch die gemeinsten Leute zu recht guten Menschen und ge- treuen Unterthanen zu bilden -- was sonst angeseh- ne Theologen und Politiker nach ihrer Stubenge- lehrtheit läugneten. Einige derselben sind noch jezt hartnäckigt der Meinung: daß ohne positive Reli- gion das gemeine Wesen nicht bestehen könne, wie wenn dies da so recht blühend bestände, wo man recht viel positive Religion gehabt hat und noch hat -- in Italien, Portugal und Spanien! Ich weis nicht: es giebt gewisse Leute, die, trotz aller Belehrung der Geschichte und der Länder- und Völ- kerkunde, dennoch in Absicht auf positive Religion, wie mit sehenden Augen blind sind. Aber freilich um Licht zu sehen, muß man Licht haben, und wer dies hat, sieht durch den umnebelnden Wust durch und ist fest überzeugt: daß es wenig Ehre für den Urheber der Menschheit seyn würde, wenn man diese durch Wahn, Aberglauben und Irrthum weiter brin- gen könnte, als durch Wahrheiten, die das Gepräge der simpeln Natur an sich haben. Ich meyne: hat man die Menschen durch positive Religion bisher so palliativ gängeln konnen, warum sollte man sie durch die natürliche nicht ganz curativ führen und behan- deln können! Für Wahrheit sind wir doch mehr geschaffen als für Irrthum: mehr für Licht -- wenn
ſen hat: daß die natuͤrliche Religion oder vielmehr die Moral ſchon vollkommen genug ſey, auch die gemeinſten Leute zu recht guten Menſchen und ge- treuen Unterthanen zu bilden — was ſonſt angeſeh- ne Theologen und Politiker nach ihrer Stubenge- lehrtheit laͤugneten. Einige derſelben ſind noch jezt hartnaͤckigt der Meinung: daß ohne poſitive Reli- gion das gemeine Weſen nicht beſtehen koͤnne, wie wenn dies da ſo recht bluͤhend beſtaͤnde, wo man recht viel poſitive Religion gehabt hat und noch hat — in Italien, Portugal und Spanien! Ich weis nicht: es giebt gewiſſe Leute, die, trotz aller Belehrung der Geſchichte und der Laͤnder- und Voͤl- kerkunde, dennoch in Abſicht auf poſitive Religion, wie mit ſehenden Augen blind ſind. Aber freilich um Licht zu ſehen, muß man Licht haben, und wer dies hat, ſieht durch den umnebelnden Wuſt durch und iſt feſt uͤberzeugt: daß es wenig Ehre fuͤr den Urheber der Menſchheit ſeyn wuͤrde, wenn man dieſe durch Wahn, Aberglauben und Irrthum weiter brin- gen koͤnnte, als durch Wahrheiten, die das Gepraͤge der ſimpeln Natur an ſich haben. Ich meyne: hat man die Menſchen durch poſitive Religion bisher ſo palliativ gaͤngeln konnen, warum ſollte man ſie durch die natuͤrliche nicht ganz curativ fuͤhren und behan- deln koͤnnen! Fuͤr Wahrheit ſind wir doch mehr geſchaffen als fuͤr Irrthum: mehr fuͤr Licht — wenn
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ſen hat: daß die natuͤrliche Religion oder vielmehr
die Moral ſchon vollkommen genug ſey, auch die
gemeinſten Leute zu recht guten Menſchen und ge-
treuen Unterthanen zu bilden — was ſonſt angeſeh-
ne Theologen und Politiker nach ihrer Stubenge-
lehrtheit laͤugneten. Einige derſelben ſind noch jezt
hartnaͤckigt der Meinung: daß ohne poſitive Reli-
gion das gemeine Weſen nicht beſtehen koͤnne, wie
wenn dies da ſo recht bluͤhend beſtaͤnde, wo man
recht viel poſitive Religion gehabt hat und noch
hat — in Italien, Portugal und Spanien! Ich
weis nicht: es giebt gewiſſe Leute, die, trotz aller
Belehrung der Geſchichte und der Laͤnder- und Voͤl-
kerkunde, dennoch in Abſicht auf poſitive Religion,
wie mit ſehenden Augen blind ſind. Aber freilich
um Licht zu ſehen, muß man Licht haben, und wer
dies hat, ſieht durch den umnebelnden Wuſt durch
und iſt feſt uͤberzeugt: daß es wenig Ehre fuͤr den
Urheber der Menſchheit ſeyn wuͤrde, wenn man dieſe
durch Wahn, Aberglauben und Irrthum weiter brin-
gen koͤnnte, als durch Wahrheiten, die das Gepraͤge
der ſimpeln Natur an ſich haben. Ich meyne: hat
man die Menſchen durch poſitive Religion bisher ſo
palliativ gaͤngeln konnen, warum ſollte man ſie durch
die natuͤrliche nicht ganz curativ fuͤhren und behan-
deln koͤnnen! Fuͤr Wahrheit ſind wir doch mehr
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 427[429]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/431>, abgerufen am 22.11.2024.
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