Mit Zotologie hat man sich da beschäftiget, und zo- tologische Gedichte waren die Modelektüre, bis end- lich die Studenten-Komödie und mit ihr das Lesen der Komödien seinen rechten Anfang nahm. In Göttingen waren zu meiner Zeit zwar einige Anti- quarien, die Romane u. dergl. zum Verleihen hat- ten. -- Aber in Leipzig und Halle sind jetzt mehrere Büchereien, die einen reichen Vorrath für den Ro- manenleser enthalten. Man kann da Tag und Nacht lesen, und liest doch kaum den meßlichen Zuwachs dieser Stützen schwacher, weibischer Seelen durch. Da hab ich denn sehr viele gekannt, und kenne noch viele, die wöchentlich drei, vier und mehrere Bände Romane und Komödien durchlesen. Wie viel bei solcher unsinnig ämsiger Lektüre für andre Berufsarbeiten Zeit übrig bleibe, läßt sich denken, und wie sehr dadurch der Geschmack verdorben werde, lehrt die leidige Erfahrung. Ein fleißiger Romanleser scheut ernsthaftes wissenschaftliches Lesen eben so sehr, als einer, der saure Gurken gegessen, und sich die Zähne
ben, der ihn erreicht hat? Der Kranke bedarf des Arztes, so wie der Hungrige der Speisen. Vielleicht ist aber die Ulmer Lesebibliothek blos ein Zerstreuungs- mittel wider die Langeweile: und die soll ein Studie- render freilich nicht haben, ob er gleich auch einer von denen ist, die die Veränderung lieben. Est modus in rebus! --
Mit Zotologie hat man ſich da beſchaͤftiget, und zo- tologiſche Gedichte waren die Modelektuͤre, bis end- lich die Studenten-Komoͤdie und mit ihr das Leſen der Komoͤdien ſeinen rechten Anfang nahm. In Goͤttingen waren zu meiner Zeit zwar einige Anti- quarien, die Romane u. dergl. zum Verleihen hat- ten. — Aber in Leipzig und Halle ſind jetzt mehrere Buͤchereien, die einen reichen Vorrath fuͤr den Ro- manenleſer enthalten. Man kann da Tag und Nacht leſen, und lieſt doch kaum den meßlichen Zuwachs dieſer Stuͤtzen ſchwacher, weibiſcher Seelen durch. Da hab ich denn ſehr viele gekannt, und kenne noch viele, die woͤchentlich drei, vier und mehrere Baͤnde Romane und Komoͤdien durchleſen. Wie viel bei ſolcher unſinnig aͤmſiger Lektuͤre fuͤr andre Berufsarbeiten Zeit uͤbrig bleibe, laͤßt ſich denken, und wie ſehr dadurch der Geſchmack verdorben werde, lehrt die leidige Erfahrung. Ein fleißiger Romanleſer ſcheut ernſthaftes wiſſenſchaftliches Leſen eben ſo ſehr, als einer, der ſaure Gurken gegeſſen, und ſich die Zaͤhne
ben, der ihn erreicht hat? Der Kranke bedarf des Arztes, ſo wie der Hungrige der Speiſen. Vielleicht iſt aber die Ulmer Leſebibliothek blos ein Zerſtreuungs- mittel wider die Langeweile: und die ſoll ein Studie- render freilich nicht haben, ob er gleich auch einer von denen iſt, die die Veraͤnderung lieben. Eſt modus in rebus! —
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[284[294]/0296]
Mit Zotologie hat man ſich da beſchaͤftiget, und zo-
tologiſche Gedichte waren die Modelektuͤre, bis end-
lich die Studenten-Komoͤdie und mit ihr das Leſen
der Komoͤdien ſeinen rechten Anfang nahm. In
Goͤttingen waren zu meiner Zeit zwar einige Anti-
quarien, die Romane u. dergl. zum Verleihen hat-
ten. — Aber in Leipzig und Halle ſind jetzt mehrere
Buͤchereien, die einen reichen Vorrath fuͤr den Ro-
manenleſer enthalten. Man kann da Tag und Nacht
leſen, und lieſt doch kaum den meßlichen Zuwachs
dieſer Stuͤtzen ſchwacher, weibiſcher Seelen durch.
Da hab ich denn ſehr viele gekannt, und kenne noch
viele, die woͤchentlich drei, vier und mehrere Baͤnde
Romane und Komoͤdien durchleſen. Wie viel bei ſolcher
unſinnig aͤmſiger Lektuͤre fuͤr andre Berufsarbeiten
Zeit uͤbrig bleibe, laͤßt ſich denken, und wie ſehr
dadurch der Geſchmack verdorben werde, lehrt die
leidige Erfahrung. Ein fleißiger Romanleſer ſcheut
ernſthaftes wiſſenſchaftliches Leſen eben ſo ſehr, als
einer, der ſaure Gurken gegeſſen, und ſich die Zaͤhne
b)
b) ben, der ihn erreicht hat? Der Kranke bedarf des
Arztes, ſo wie der Hungrige der Speiſen. Vielleicht
iſt aber die Ulmer Leſebibliothek blos ein Zerſtreuungs-
mittel wider die Langeweile: und die ſoll ein Studie-
render freilich nicht haben, ob er gleich auch einer von
denen iſt, die die Veraͤnderung lieben. Eſt modus
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 284[294]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/296>, abgerufen am 24.11.2024.
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