unter, nichts ist mehr frisch, nichts lockt, ach, und wie sehnsüchtig hab' ich später jene Zeit wieder herbeigewünscht! Gefängnisse, welche dem meinigen gegenüber, hatten Blechkasten vor den Fensterchen, und sahen wie trostlos erblindet aus; wenn ich mitunter hinter ihnen sprechen, gar lachen hörte, so berührte es mich immer unheimlich. Mein freund- licher Wärter erwiderte mir auf Befragen achsel- zuckend, dort säßen schwere Verbrecher. Jch schau- erte, es überlief mich mit Grausen, so durch ein Verbrechen vom Tageslichte abgeschlossen zu sein. Lieber Gott, jetzt sitze ich schon seit vielen Monaten hinter solcher Blende, und doch bin ich noch derselbe, nur schwächer, doch lebe ich auch weiter, und das moralische Moment dieser Däm- merung kümmert mich nicht mehr; der Mensch lernt Alles, auch die Verbrechermaske tragen, und am Ende hält er sie für sein wirkliches Gesicht. Jch vergesse es jetzt schon manchmal völlig, daß ich kein Verbrecher bin, ich muß mich selbst daran erinnern, daß es nur höhere wechselnde Staats- rücksichten sind, welche mich in den Zustand gebracht, daß ich nur selbst in dem Verhältnisse dergestalt
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unter, nichts iſt mehr friſch, nichts lockt, ach, und wie ſehnſüchtig hab’ ich ſpäter jene Zeit wieder herbeigewünſcht! Gefängniſſe, welche dem meinigen gegenüber, hatten Blechkaſten vor den Fenſterchen, und ſahen wie troſtlos erblindet aus; wenn ich mitunter hinter ihnen ſprechen, gar lachen hörte, ſo berührte es mich immer unheimlich. Mein freund- licher Wärter erwiderte mir auf Befragen achſel- zuckend, dort ſäßen ſchwere Verbrecher. Jch ſchau- erte, es überlief mich mit Grauſen, ſo durch ein Verbrechen vom Tageslichte abgeſchloſſen zu ſein. Lieber Gott, jetzt ſitze ich ſchon ſeit vielen Monaten hinter ſolcher Blende, und doch bin ich noch derſelbe, nur ſchwächer, doch lebe ich auch weiter, und das moraliſche Moment dieſer Däm- merung kümmert mich nicht mehr; der Menſch lernt Alles, auch die Verbrechermaske tragen, und am Ende hält er ſie für ſein wirkliches Geſicht. Jch vergeſſe es jetzt ſchon manchmal völlig, daß ich kein Verbrecher bin, ich muß mich ſelbſt daran erinnern, daß es nur höhere wechſelnde Staats- rückſichten ſind, welche mich in den Zuſtand gebracht, daß ich nur ſelbſt in dem Verhältniſſe dergeſtalt
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unter, nichts iſt mehr friſch, nichts lockt, ach, und
wie ſehnſüchtig hab’ ich ſpäter jene Zeit wieder
herbeigewünſcht! Gefängniſſe, welche dem meinigen
gegenüber, hatten Blechkaſten vor den Fenſterchen,
und ſahen wie troſtlos erblindet aus; wenn ich
mitunter hinter ihnen ſprechen, gar lachen hörte,
ſo berührte es mich immer unheimlich. Mein freund-
licher Wärter erwiderte mir auf Befragen achſel-
zuckend, dort ſäßen ſchwere Verbrecher. Jch ſchau-
erte, es überlief mich mit Grauſen, ſo durch
ein Verbrechen vom Tageslichte abgeſchloſſen zu
ſein. Lieber Gott, jetzt ſitze ich ſchon ſeit vielen
Monaten hinter ſolcher Blende, und doch bin ich
noch derſelbe, nur ſchwächer, doch lebe ich auch
weiter, und das moraliſche Moment dieſer Däm-
merung kümmert mich nicht mehr; der Menſch
lernt Alles, auch die Verbrechermaske tragen, und
am Ende hält er ſie für ſein wirkliches Geſicht.
Jch vergeſſe es jetzt ſchon manchmal völlig, daß ich
kein Verbrecher bin, ich muß mich ſelbſt daran
erinnern, daß es nur höhere wechſelnde Staats-
rückſichten ſind, welche mich in den Zuſtand gebracht,
daß ich nur ſelbſt in dem Verhältniſſe dergeſtalt
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/89>, abgerufen am 26.11.2024.
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