Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Selbstaufopferung. Jene hat das ungeheure Alter-
thum geschaffen, diese ist mit dem Christenthume
eingetreten, und hat beinahe zweitausend Jahre Ge-
schichte erzeugt. Gegen sie hat sich ein dreister,
neuer Geist erhoben, der halb von ihr, halb vom
Alterthume stammt, Philosophieen haben sich gebil-
det, die auf eignem Fuße sich erheben, und eine
Selbstständigkeit neben der positiven Religion in
Anspruch nehmen, als selbstständige Staaten mit
ihr unterhandeln. Jede solche Pyilosophie ist un-
christlich, auch wenn sie zu christlichen Resultaten
kommt. Durch sie ist der Weltgedanke einer durch-
gehenden Selbstaufopferung erschüttert, und nun
mordet sich die Größe des andern Princips, der
Selbstsucht, wieder heraus, um neues Element zu
bringen, und vielleicht ein neues Dritte zu erzeugen,
und dieser Kampf ist unsre klägliche Zeit. Um so
kläglicher, da Niemand mit der getheilten Wahrheit
seines Herzens offen herausgeht, Jeder ein Geord-
netes lügt, um sich selbst zu beschönigen. So seid
Jhr alle beschränkte Menschen, weil Jhr furchtsam
oder frech abtheilt, Euer Herz hat keinen Muth
gegen Euer Gedächtniß, die Besseren halten zurück

Selbſtaufopferung. Jene hat das ungeheure Alter-
thum geſchaffen, dieſe iſt mit dem Chriſtenthume
eingetreten, und hat beinahe zweitauſend Jahre Ge-
ſchichte erzeugt. Gegen ſie hat ſich ein dreiſter,
neuer Geiſt erhoben, der halb von ihr, halb vom
Alterthume ſtammt, Philoſophieen haben ſich gebil-
det, die auf eignem Fuße ſich erheben, und eine
Selbſtſtändigkeit neben der poſitiven Religion in
Anſpruch nehmen, als ſelbſtſtändige Staaten mit
ihr unterhandeln. Jede ſolche Pyiloſophie iſt un-
chriſtlich, auch wenn ſie zu chriſtlichen Reſultaten
kommt. Durch ſie iſt der Weltgedanke einer durch-
gehenden Selbſtaufopferung erſchüttert, und nun
mordet ſich die Größe des andern Princips, der
Selbſtſucht, wieder heraus, um neues Element zu
bringen, und vielleicht ein neues Dritte zu erzeugen,
und dieſer Kampf iſt unſre klägliche Zeit. Um ſo
kläglicher, da Niemand mit der getheilten Wahrheit
ſeines Herzens offen herausgeht, Jeder ein Geord-
netes lügt, um ſich ſelbſt zu beſchönigen. So ſeid
Jhr alle beſchränkte Menſchen, weil Jhr furchtſam
oder frech abtheilt, Euer Herz hat keinen Muth
gegen Euer Gedächtniß, die Beſſeren halten zurück

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0282" n="274"/>
Selb&#x017F;taufopferung. Jene hat das ungeheure Alter-<lb/>
thum ge&#x017F;chaffen, die&#x017F;e i&#x017F;t mit dem Chri&#x017F;tenthume<lb/>
eingetreten, und hat beinahe zweitau&#x017F;end Jahre Ge-<lb/>
&#x017F;chichte erzeugt. Gegen &#x017F;ie hat &#x017F;ich ein drei&#x017F;ter,<lb/>
neuer Gei&#x017F;t erhoben, der halb von ihr, halb vom<lb/>
Alterthume &#x017F;tammt, Philo&#x017F;ophieen haben &#x017F;ich gebil-<lb/>
det, die auf eignem Fuße &#x017F;ich erheben, und eine<lb/>
Selb&#x017F;t&#x017F;tändigkeit neben der po&#x017F;itiven Religion in<lb/>
An&#x017F;pruch nehmen, als &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige Staaten mit<lb/>
ihr unterhandeln. Jede &#x017F;olche Pyilo&#x017F;ophie i&#x017F;t un-<lb/>
chri&#x017F;tlich, auch wenn &#x017F;ie zu chri&#x017F;tlichen Re&#x017F;ultaten<lb/>
kommt. Durch &#x017F;ie i&#x017F;t der Weltgedanke einer durch-<lb/>
gehenden Selb&#x017F;taufopferung er&#x017F;chüttert, und nun<lb/>
mordet &#x017F;ich die Größe des andern Princips, der<lb/>
Selb&#x017F;t&#x017F;ucht, wieder heraus, um neues Element zu<lb/>
bringen, und vielleicht ein neues Dritte zu erzeugen,<lb/>
und die&#x017F;er Kampf i&#x017F;t un&#x017F;re klägliche Zeit. Um &#x017F;o<lb/>
kläglicher, da Niemand mit der getheilten Wahrheit<lb/>
&#x017F;eines Herzens offen herausgeht, Jeder ein Geord-<lb/>
netes lügt, um &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu be&#x017F;chönigen. So &#x017F;eid<lb/>
Jhr alle be&#x017F;chränkte Men&#x017F;chen, weil Jhr furcht&#x017F;am<lb/>
oder frech abtheilt, Euer Herz hat keinen Muth<lb/>
gegen Euer Gedächtniß, die Be&#x017F;&#x017F;eren halten zurück<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[274/0282] Selbſtaufopferung. Jene hat das ungeheure Alter- thum geſchaffen, dieſe iſt mit dem Chriſtenthume eingetreten, und hat beinahe zweitauſend Jahre Ge- ſchichte erzeugt. Gegen ſie hat ſich ein dreiſter, neuer Geiſt erhoben, der halb von ihr, halb vom Alterthume ſtammt, Philoſophieen haben ſich gebil- det, die auf eignem Fuße ſich erheben, und eine Selbſtſtändigkeit neben der poſitiven Religion in Anſpruch nehmen, als ſelbſtſtändige Staaten mit ihr unterhandeln. Jede ſolche Pyiloſophie iſt un- chriſtlich, auch wenn ſie zu chriſtlichen Reſultaten kommt. Durch ſie iſt der Weltgedanke einer durch- gehenden Selbſtaufopferung erſchüttert, und nun mordet ſich die Größe des andern Princips, der Selbſtſucht, wieder heraus, um neues Element zu bringen, und vielleicht ein neues Dritte zu erzeugen, und dieſer Kampf iſt unſre klägliche Zeit. Um ſo kläglicher, da Niemand mit der getheilten Wahrheit ſeines Herzens offen herausgeht, Jeder ein Geord- netes lügt, um ſich ſelbſt zu beſchönigen. So ſeid Jhr alle beſchränkte Menſchen, weil Jhr furchtſam oder frech abtheilt, Euer Herz hat keinen Muth gegen Euer Gedächtniß, die Beſſeren halten zurück

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/282
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/282>, abgerufen am 17.05.2024.