Dritte war zerbrochen, matt, elend; der Vierte gleichgültig und sorglos. Wenn solche Unterhaltung nur früher gekommen wäre, die Empfängniß blieb doch gar zu taub in mir; jetzt gab's auch Schreib- material, aber ich hatte nichts mehr zu schreiben. So vergingen Wochen, und am Ende dacht' ich: 's war im kalten Loche, hinter der Blende drüben, nicht viel schlechter.
Heut vor acht Tagen kam der große Tag, dieser einzige Gedanke seit so vielen Monden: ich ward frei, stand allein und ungehindert auf der Straße, kein Führer hinter mir -- ach, und diese Freude aller Freuden kam zu spät, sie konnte mich nicht mehr recht bewältigen. Erst spät Abends, als ich im Mondschein durch die Straßen schlenderte, mei- ner neuen Freiheit genießend, brach plötzlich ein heißer Thränenstrom aus meinen Augen, und von da an fühlte ich mich den Menschen wieder näher, ich dachte wieder in ihrer Weise, schlug mir die Be- kümmerniß um meinen im Kerker zurückgelassenen Kameraden aus dem Sinn, bemerkte, daß ich keinen Kreuzer Geld besäße, und in der großen, weiten Freiheit nicht wüßte, wohin mein Haupt zu legen
Dritte war zerbrochen, matt, elend; der Vierte gleichgültig und ſorglos. Wenn ſolche Unterhaltung nur früher gekommen wäre, die Empfängniß blieb doch gar zu taub in mir; jetzt gab’s auch Schreib- material, aber ich hatte nichts mehr zu ſchreiben. So vergingen Wochen, und am Ende dacht’ ich: ’s war im kalten Loche, hinter der Blende drüben, nicht viel ſchlechter.
Heut vor acht Tagen kam der große Tag, dieſer einzige Gedanke ſeit ſo vielen Monden: ich ward frei, ſtand allein und ungehindert auf der Straße, kein Führer hinter mir — ach, und dieſe Freude aller Freuden kam zu ſpät, ſie konnte mich nicht mehr recht bewältigen. Erſt ſpät Abends, als ich im Mondſchein durch die Straßen ſchlenderte, mei- ner neuen Freiheit genießend, brach plötzlich ein heißer Thränenſtrom aus meinen Augen, und von da an fühlte ich mich den Menſchen wieder näher, ich dachte wieder in ihrer Weiſe, ſchlug mir die Be- kümmerniß um meinen im Kerker zurückgelaſſenen Kameraden aus dem Sinn, bemerkte, daß ich keinen Kreuzer Geld beſäße, und in der großen, weiten Freiheit nicht wüßte, wohin mein Haupt zu legen
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Dritte war zerbrochen, matt, elend; der Vierte
gleichgültig und ſorglos. Wenn ſolche Unterhaltung
nur früher gekommen wäre, die Empfängniß blieb
doch gar zu taub in mir; jetzt gab’s auch Schreib-
material, aber ich hatte nichts mehr zu ſchreiben.
So vergingen Wochen, und am Ende dacht’ ich:
’s war im kalten Loche, hinter der Blende drüben,
nicht viel ſchlechter.
Heut vor acht Tagen kam der große Tag, dieſer
einzige Gedanke ſeit ſo vielen Monden: ich ward
frei, ſtand allein und ungehindert auf der Straße,
kein Führer hinter mir — ach, und dieſe Freude
aller Freuden kam zu ſpät, ſie konnte mich nicht
mehr recht bewältigen. Erſt ſpät Abends, als ich
im Mondſchein durch die Straßen ſchlenderte, mei-
ner neuen Freiheit genießend, brach plötzlich ein heißer
Thränenſtrom aus meinen Augen, und von da an
fühlte ich mich den Menſchen wieder näher, ich
dachte wieder in ihrer Weiſe, ſchlug mir die Be-
kümmerniß um meinen im Kerker zurückgelaſſenen
Kameraden aus dem Sinn, bemerkte, daß ich keinen
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/180>, abgerufen am 27.11.2024.
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