Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

sich Alles in mir, und wird zur Last, der Geistes-
arme mag in solchem Falle sogar besser daran sein.
Einen kleinen Trost finde ich darin, die traurigen
Eindrücke in ein paar Verse zu gestalten, die also
gewonnene Form befreit gewissermaaßen, und der
also geordnete Zustand erhält wieder etwas von dem
Adel in Beziehung auf übrige Welt, wie man ihn
bei solcher Erniedrigung am meisten braucht. Mehr
als zwei oder drei behalte ich freilich nicht, und
ich möchte Dir gern einige ältere herschreiben, um
neue machen zu können, wenn Verse nur nicht so
viel Platz wegnähmen. Und ich kann mich nicht
entschließen, sie als Prosa ohne Absatz herzuschreiben,
es scheint mir dies eine grobe Beleidigung der Schön-
heit zu sein, eine Figur in schmutzigem Schlafrocke
auf dem Balle. Und wie rührend ist mir dies Be-
streben, Dir all das aufzuschreiben, da es wohl nie
vor Deine Augen gebracht wird! Diese Unendlich-
keit meines Gefängnisses ist eben der Tod selber;
in jetziger Weise kann es ein Lebenlang fortgehn;
wie beneidenswerth scheint mir derjenige, welcher zu
zwanzig Jahr Kerker verurtheilt ist, er kann doch
berechnen, ob ihm wahrscheinlicher Weise noch ein

V. 6

ſich Alles in mir, und wird zur Laſt, der Geiſtes-
arme mag in ſolchem Falle ſogar beſſer daran ſein.
Einen kleinen Troſt finde ich darin, die traurigen
Eindrücke in ein paar Verſe zu geſtalten, die alſo
gewonnene Form befreit gewiſſermaaßen, und der
alſo geordnete Zuſtand erhält wieder etwas von dem
Adel in Beziehung auf übrige Welt, wie man ihn
bei ſolcher Erniedrigung am meiſten braucht. Mehr
als zwei oder drei behalte ich freilich nicht, und
ich möchte Dir gern einige ältere herſchreiben, um
neue machen zu können, wenn Verſe nur nicht ſo
viel Platz wegnähmen. Und ich kann mich nicht
entſchließen, ſie als Proſa ohne Abſatz herzuſchreiben,
es ſcheint mir dies eine grobe Beleidigung der Schön-
heit zu ſein, eine Figur in ſchmutzigem Schlafrocke
auf dem Balle. Und wie rührend iſt mir dies Be-
ſtreben, Dir all das aufzuſchreiben, da es wohl nie
vor Deine Augen gebracht wird! Dieſe Unendlich-
keit meines Gefängniſſes iſt eben der Tod ſelber;
in jetziger Weiſe kann es ein Lebenlang fortgehn;
wie beneidenswerth ſcheint mir derjenige, welcher zu
zwanzig Jahr Kerker verurtheilt iſt, er kann doch
berechnen, ob ihm wahrſcheinlicher Weiſe noch ein

V. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0129" n="121"/>
&#x017F;ich Alles in mir, und wird zur La&#x017F;t, der Gei&#x017F;tes-<lb/>
arme mag in &#x017F;olchem Falle &#x017F;ogar be&#x017F;&#x017F;er daran &#x017F;ein.<lb/>
Einen kleinen Tro&#x017F;t finde ich darin, die traurigen<lb/>
Eindrücke in ein paar Ver&#x017F;e zu ge&#x017F;talten, die al&#x017F;o<lb/>
gewonnene Form befreit gewi&#x017F;&#x017F;ermaaßen, und der<lb/>
al&#x017F;o geordnete Zu&#x017F;tand erhält wieder etwas von dem<lb/>
Adel in Beziehung auf übrige Welt, wie man ihn<lb/>
bei &#x017F;olcher Erniedrigung am mei&#x017F;ten braucht. Mehr<lb/>
als zwei oder drei behalte ich freilich nicht, und<lb/>
ich möchte Dir gern einige ältere her&#x017F;chreiben, um<lb/>
neue machen zu können, wenn Ver&#x017F;e nur nicht &#x017F;o<lb/>
viel Platz wegnähmen. Und ich kann mich nicht<lb/>
ent&#x017F;chließen, &#x017F;ie als Pro&#x017F;a ohne Ab&#x017F;atz herzu&#x017F;chreiben,<lb/>
es &#x017F;cheint mir dies eine grobe Beleidigung der Schön-<lb/>
heit zu &#x017F;ein, eine Figur in &#x017F;chmutzigem Schlafrocke<lb/>
auf dem Balle. Und wie rührend i&#x017F;t mir dies Be-<lb/>
&#x017F;treben, Dir all das aufzu&#x017F;chreiben, da es wohl nie<lb/>
vor Deine Augen gebracht wird! Die&#x017F;e Unendlich-<lb/>
keit meines Gefängni&#x017F;&#x017F;es i&#x017F;t eben der Tod &#x017F;elber;<lb/>
in jetziger Wei&#x017F;e kann es ein Lebenlang fortgehn;<lb/>
wie beneidenswerth &#x017F;cheint mir derjenige, welcher zu<lb/>
zwanzig Jahr Kerker verurtheilt i&#x017F;t, er kann doch<lb/>
berechnen, ob ihm wahr&#x017F;cheinlicher Wei&#x017F;e noch ein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> 6</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0129] ſich Alles in mir, und wird zur Laſt, der Geiſtes- arme mag in ſolchem Falle ſogar beſſer daran ſein. Einen kleinen Troſt finde ich darin, die traurigen Eindrücke in ein paar Verſe zu geſtalten, die alſo gewonnene Form befreit gewiſſermaaßen, und der alſo geordnete Zuſtand erhält wieder etwas von dem Adel in Beziehung auf übrige Welt, wie man ihn bei ſolcher Erniedrigung am meiſten braucht. Mehr als zwei oder drei behalte ich freilich nicht, und ich möchte Dir gern einige ältere herſchreiben, um neue machen zu können, wenn Verſe nur nicht ſo viel Platz wegnähmen. Und ich kann mich nicht entſchließen, ſie als Proſa ohne Abſatz herzuſchreiben, es ſcheint mir dies eine grobe Beleidigung der Schön- heit zu ſein, eine Figur in ſchmutzigem Schlafrocke auf dem Balle. Und wie rührend iſt mir dies Be- ſtreben, Dir all das aufzuſchreiben, da es wohl nie vor Deine Augen gebracht wird! Dieſe Unendlich- keit meines Gefängniſſes iſt eben der Tod ſelber; in jetziger Weiſe kann es ein Lebenlang fortgehn; wie beneidenswerth ſcheint mir derjenige, welcher zu zwanzig Jahr Kerker verurtheilt iſt, er kann doch berechnen, ob ihm wahrſcheinlicher Weiſe noch ein V. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/129
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/129>, abgerufen am 22.11.2024.