Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

zend begann ich, denn die Stimme rostet in diesem
Mangel aller Uebung völlig. "Ruhe da!" schrie
die Wache unter dem Fenster, die Wache auf dem
Korridor -- ich hielt mich für verloren. Aber wahr-
scheinlich hatten mich just die Wachen gerettet, der
Zorn wachte auf und er fand leicht seinen Stoff,
so wurde der Heißhunger nach Gedanken für den
gefährlichen Augenblick beschwichtigt. -- Jhr wißt
es gar nicht da draußen, was Jhr habt, wenn Jhr
Euch über Mangel oder Langeweile beschwert; Eure
Thür ist offen, Eure Fenster sind's ebenfalls, Jhr
seht Menschen, Jhr seht Thiere, wenn Eure Ge-
danken gähnen, was wißt Jhr von Leid! Wenn
Euer Leben stocken will, denkt an das schreckliche
Nichts eines Gefängnisses!



Hat denn nicht der menschliche Geist Kraft genug
in sich, ohne Anknüpfung und äußere Mittel zu
bestehen? Jst der meine so besonders schwach? Ein
riesenmäßiges Gedächtniß wenigstens mag nöthig sein;
allerdings producirt mein Geist unablässig, aber weil
das Geschaffene auf keine Weise nach außen hin
Erscheinung und Gestalt empfangen kann, verwirrt

zend begann ich, denn die Stimme roſtet in dieſem
Mangel aller Uebung völlig. „Ruhe da!“ ſchrie
die Wache unter dem Fenſter, die Wache auf dem
Korridor — ich hielt mich für verloren. Aber wahr-
ſcheinlich hatten mich juſt die Wachen gerettet, der
Zorn wachte auf und er fand leicht ſeinen Stoff,
ſo wurde der Heißhunger nach Gedanken für den
gefährlichen Augenblick beſchwichtigt. — Jhr wißt
es gar nicht da draußen, was Jhr habt, wenn Jhr
Euch über Mangel oder Langeweile beſchwert; Eure
Thür iſt offen, Eure Fenſter ſind’s ebenfalls, Jhr
ſeht Menſchen, Jhr ſeht Thiere, wenn Eure Ge-
danken gähnen, was wißt Jhr von Leid! Wenn
Euer Leben ſtocken will, denkt an das ſchreckliche
Nichts eines Gefängniſſes!



Hat denn nicht der menſchliche Geiſt Kraft genug
in ſich, ohne Anknüpfung und äußere Mittel zu
beſtehen? Jſt der meine ſo beſonders ſchwach? Ein
rieſenmäßiges Gedächtniß wenigſtens mag nöthig ſein;
allerdings producirt mein Geiſt unabläſſig, aber weil
das Geſchaffene auf keine Weiſe nach außen hin
Erſcheinung und Geſtalt empfangen kann, verwirrt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0128" n="120"/>
zend begann ich, denn die Stimme ro&#x017F;tet in die&#x017F;em<lb/>
Mangel aller Uebung völlig. &#x201E;Ruhe da!&#x201C; &#x017F;chrie<lb/>
die Wache unter dem Fen&#x017F;ter, die Wache auf dem<lb/>
Korridor &#x2014; ich hielt mich für verloren. Aber wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich hatten mich ju&#x017F;t die Wachen gerettet, der<lb/>
Zorn wachte auf und er fand leicht &#x017F;einen Stoff,<lb/>
&#x017F;o wurde der Heißhunger nach Gedanken für den<lb/>
gefährlichen Augenblick be&#x017F;chwichtigt. &#x2014; Jhr wißt<lb/>
es gar nicht da draußen, was Jhr habt, wenn Jhr<lb/>
Euch über Mangel oder Langeweile be&#x017F;chwert; Eure<lb/>
Thür i&#x017F;t offen, Eure Fen&#x017F;ter &#x017F;ind&#x2019;s ebenfalls, Jhr<lb/>
&#x017F;eht Men&#x017F;chen, Jhr &#x017F;eht Thiere, wenn Eure Ge-<lb/>
danken gähnen, was wißt Jhr von Leid! Wenn<lb/>
Euer Leben &#x017F;tocken will, denkt an das &#x017F;chreckliche<lb/>
Nichts eines Gefängni&#x017F;&#x017F;es!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Hat denn nicht der men&#x017F;chliche Gei&#x017F;t Kraft genug<lb/>
in &#x017F;ich, ohne Anknüpfung und äußere Mittel zu<lb/>
be&#x017F;tehen? J&#x017F;t der meine &#x017F;o be&#x017F;onders &#x017F;chwach? Ein<lb/>
rie&#x017F;enmäßiges Gedächtniß wenig&#x017F;tens mag nöthig &#x017F;ein;<lb/>
allerdings producirt mein Gei&#x017F;t unablä&#x017F;&#x017F;ig, aber weil<lb/>
das Ge&#x017F;chaffene auf keine Wei&#x017F;e nach außen hin<lb/>
Er&#x017F;cheinung und Ge&#x017F;talt empfangen kann, verwirrt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0128] zend begann ich, denn die Stimme roſtet in dieſem Mangel aller Uebung völlig. „Ruhe da!“ ſchrie die Wache unter dem Fenſter, die Wache auf dem Korridor — ich hielt mich für verloren. Aber wahr- ſcheinlich hatten mich juſt die Wachen gerettet, der Zorn wachte auf und er fand leicht ſeinen Stoff, ſo wurde der Heißhunger nach Gedanken für den gefährlichen Augenblick beſchwichtigt. — Jhr wißt es gar nicht da draußen, was Jhr habt, wenn Jhr Euch über Mangel oder Langeweile beſchwert; Eure Thür iſt offen, Eure Fenſter ſind’s ebenfalls, Jhr ſeht Menſchen, Jhr ſeht Thiere, wenn Eure Ge- danken gähnen, was wißt Jhr von Leid! Wenn Euer Leben ſtocken will, denkt an das ſchreckliche Nichts eines Gefängniſſes! Hat denn nicht der menſchliche Geiſt Kraft genug in ſich, ohne Anknüpfung und äußere Mittel zu beſtehen? Jſt der meine ſo beſonders ſchwach? Ein rieſenmäßiges Gedächtniß wenigſtens mag nöthig ſein; allerdings producirt mein Geiſt unabläſſig, aber weil das Geſchaffene auf keine Weiſe nach außen hin Erſcheinung und Geſtalt empfangen kann, verwirrt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/128
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/128>, abgerufen am 07.05.2024.