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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

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bei aller sonstigen Enthaltsamkeit höchlich liebte, so
beruhigte er sich. Dort in der Nacht war's, wo
Joel zu mir trat -- der Einsiedler las eben bei
zwei Lichtern eine Messe, -- und mich seit undenk-
licher Zeit wieder einmal in deutscher Sprache an-
redete. "Laß uns heimkehren" sprach er "ich habe
wieder Sehnsucht nach Menschen; die Kosacken
kümmern sich nicht darum, ob wir bei ihnen sind,
ob nicht, unsere Pferde finden den Rückweg." --
Wir brachen auf, als die Karavane schlief, wir
ritten viele, viele Tage; als ich zum ersten Male
wieder deutsch rings um mich sprechen hörte, da
war der Frühling aufgeblüht, und mit den Lauten
und Blumen des Vaterlandes wachte meine alte
Welt wieder auf, die alten Träume und Wünsche
kamen wieder, der Starrschlummer war gebrochen,
ich streckte wieder die Arme aus nach dem Leben.
Aber ich war allein; Joel war in Gallizien geblie-
ben, es blieb mir nichts übrig, als zu singen und
zu hoffen. Meine Landsleute waren nicht so gast-
frei wie die Mongolen, ich war ohne Reisemittel,
und an einem warmen Frühlingstage mußte ich die
letzten Kräfte anstrengen, um ein Schloß zu erreichen,

bei aller ſonſtigen Enthaltſamkeit höchlich liebte, ſo
beruhigte er ſich. Dort in der Nacht war’s, wo
Joel zu mir trat — der Einſiedler las eben bei
zwei Lichtern eine Meſſe, — und mich ſeit undenk-
licher Zeit wieder einmal in deutſcher Sprache an-
redete. „Laß uns heimkehren“ ſprach er „ich habe
wieder Sehnſucht nach Menſchen; die Koſacken
kümmern ſich nicht darum, ob wir bei ihnen ſind,
ob nicht, unſere Pferde finden den Rückweg.“ —
Wir brachen auf, als die Karavane ſchlief, wir
ritten viele, viele Tage; als ich zum erſten Male
wieder deutſch rings um mich ſprechen hörte, da
war der Frühling aufgeblüht, und mit den Lauten
und Blumen des Vaterlandes wachte meine alte
Welt wieder auf, die alten Träume und Wünſche
kamen wieder, der Starrſchlummer war gebrochen,
ich ſtreckte wieder die Arme aus nach dem Leben.
Aber ich war allein; Joel war in Gallizien geblie-
ben, es blieb mir nichts übrig, als zu ſingen und
zu hoffen. Meine Landsleute waren nicht ſo gaſt-
frei wie die Mongolen, ich war ohne Reiſemittel,
und an einem warmen Frühlingstage mußte ich die
letzten Kräfte anſtrengen, um ein Schloß zu erreichen,

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[104/0112] bei aller ſonſtigen Enthaltſamkeit höchlich liebte, ſo beruhigte er ſich. Dort in der Nacht war’s, wo Joel zu mir trat — der Einſiedler las eben bei zwei Lichtern eine Meſſe, — und mich ſeit undenk- licher Zeit wieder einmal in deutſcher Sprache an- redete. „Laß uns heimkehren“ ſprach er „ich habe wieder Sehnſucht nach Menſchen; die Koſacken kümmern ſich nicht darum, ob wir bei ihnen ſind, ob nicht, unſere Pferde finden den Rückweg.“ — Wir brachen auf, als die Karavane ſchlief, wir ritten viele, viele Tage; als ich zum erſten Male wieder deutſch rings um mich ſprechen hörte, da war der Frühling aufgeblüht, und mit den Lauten und Blumen des Vaterlandes wachte meine alte Welt wieder auf, die alten Träume und Wünſche kamen wieder, der Starrſchlummer war gebrochen, ich ſtreckte wieder die Arme aus nach dem Leben. Aber ich war allein; Joel war in Gallizien geblie- ben, es blieb mir nichts übrig, als zu ſingen und zu hoffen. Meine Landsleute waren nicht ſo gaſt- frei wie die Mongolen, ich war ohne Reiſemittel, und an einem warmen Frühlingstage mußte ich die letzten Kräfte anſtrengen, um ein Schloß zu erreichen,

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/112>, abgerufen am 07.05.2024.