Eindruck gegeben, dies Stückchen übrig bleibendes Papier hat mir die Möglichkeit eines Ueberflusses verschafft, eines Ueberflusses, und ich bin ordentlich zufrieden gewesen im Verhältnisse zu der sonstigen Zeit. So macht das Verhältniß Alles in der Welt, so elastisch ist der Mensch. -- Bei alle den Ab- wechselungen meines vorigen Gefängnisses fiel doch die Länge der Abgeschlossenheit immer schwerer auf mich, laß mich Dir's offen gestehn: manchmal glaubte ich erdrückt zu werden, so einsam, verlassen, un- glücklich erschien ich mir, und die heißen, dichten Thränen brachen über mich herein. Ach, wie ein Kind habe ich geweint, manchmal Stunden lang; ich werd es nie vergessen, wie ich den Kopf an die Wand lehnte, und mich rücksichtslos dem schneiden- den Weh hingab, von der Welt ausgeschlossen zu sein Tag um Tag, Nacht um Nacht! -- Und wenn ich in einer gewissen Süßigkeit des ganz frei ge- lassenen Schmerzes erschöpft war, da trat ein Vers von Goethe so oft mir auf die Lippen, ach so oft, und brachte immer wieder neue Thränen. Durch- gefühlt, durchgeweint hab' ich jedes Wort, jede kleinste, mögliche Bedeutung desselben; es war das
Eindruck gegeben, dies Stückchen übrig bleibendes Papier hat mir die Möglichkeit eines Ueberfluſſes verſchafft, eines Ueberfluſſes, und ich bin ordentlich zufrieden geweſen im Verhältniſſe zu der ſonſtigen Zeit. So macht das Verhältniß Alles in der Welt, ſo elaſtiſch iſt der Menſch. — Bei alle den Ab- wechſelungen meines vorigen Gefängniſſes fiel doch die Länge der Abgeſchloſſenheit immer ſchwerer auf mich, laß mich Dir’s offen geſtehn: manchmal glaubte ich erdrückt zu werden, ſo einſam, verlaſſen, un- glücklich erſchien ich mir, und die heißen, dichten Thränen brachen über mich herein. Ach, wie ein Kind habe ich geweint, manchmal Stunden lang; ich werd es nie vergeſſen, wie ich den Kopf an die Wand lehnte, und mich rückſichtslos dem ſchneiden- den Weh hingab, von der Welt ausgeſchloſſen zu ſein Tag um Tag, Nacht um Nacht! — Und wenn ich in einer gewiſſen Süßigkeit des ganz frei ge- laſſenen Schmerzes erſchöpft war, da trat ein Vers von Goethe ſo oft mir auf die Lippen, ach ſo oft, und brachte immer wieder neue Thränen. Durch- gefühlt, durchgeweint hab’ ich jedes Wort, jede kleinſte, mögliche Bedeutung deſſelben; es war das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0100"n="92"/>
Eindruck gegeben, dies Stückchen übrig bleibendes<lb/>
Papier hat mir die Möglichkeit eines Ueberfluſſes<lb/>
verſchafft, eines Ueberfluſſes, und ich bin ordentlich<lb/>
zufrieden geweſen im Verhältniſſe zu der ſonſtigen<lb/>
Zeit. So macht das Verhältniß Alles in der Welt,<lb/>ſo elaſtiſch iſt der Menſch. — Bei alle den Ab-<lb/>
wechſelungen meines vorigen Gefängniſſes fiel doch<lb/>
die Länge der Abgeſchloſſenheit immer ſchwerer auf<lb/>
mich, laß mich Dir’s offen geſtehn: manchmal glaubte<lb/>
ich erdrückt zu werden, ſo einſam, verlaſſen, un-<lb/>
glücklich erſchien ich mir, und die heißen, dichten<lb/>
Thränen brachen über mich herein. Ach, wie ein<lb/>
Kind habe ich geweint, manchmal Stunden lang;<lb/>
ich werd es nie vergeſſen, wie ich den Kopf an die<lb/>
Wand lehnte, und mich rückſichtslos dem ſchneiden-<lb/>
den Weh hingab, von der Welt ausgeſchloſſen zu<lb/>ſein Tag um Tag, Nacht um Nacht! — Und wenn<lb/>
ich in einer gewiſſen Süßigkeit des ganz frei ge-<lb/>
laſſenen Schmerzes erſchöpft war, da trat ein Vers<lb/>
von Goethe ſo oft mir auf die Lippen, ach ſo oft,<lb/>
und brachte immer wieder neue Thränen. Durch-<lb/>
gefühlt, durchgeweint hab’ ich jedes Wort, jede<lb/>
kleinſte, mögliche Bedeutung deſſelben; es war das<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[92/0100]
Eindruck gegeben, dies Stückchen übrig bleibendes
Papier hat mir die Möglichkeit eines Ueberfluſſes
verſchafft, eines Ueberfluſſes, und ich bin ordentlich
zufrieden geweſen im Verhältniſſe zu der ſonſtigen
Zeit. So macht das Verhältniß Alles in der Welt,
ſo elaſtiſch iſt der Menſch. — Bei alle den Ab-
wechſelungen meines vorigen Gefängniſſes fiel doch
die Länge der Abgeſchloſſenheit immer ſchwerer auf
mich, laß mich Dir’s offen geſtehn: manchmal glaubte
ich erdrückt zu werden, ſo einſam, verlaſſen, un-
glücklich erſchien ich mir, und die heißen, dichten
Thränen brachen über mich herein. Ach, wie ein
Kind habe ich geweint, manchmal Stunden lang;
ich werd es nie vergeſſen, wie ich den Kopf an die
Wand lehnte, und mich rückſichtslos dem ſchneiden-
den Weh hingab, von der Welt ausgeſchloſſen zu
ſein Tag um Tag, Nacht um Nacht! — Und wenn
ich in einer gewiſſen Süßigkeit des ganz frei ge-
laſſenen Schmerzes erſchöpft war, da trat ein Vers
von Goethe ſo oft mir auf die Lippen, ach ſo oft,
und brachte immer wieder neue Thränen. Durch-
gefühlt, durchgeweint hab’ ich jedes Wort, jede
kleinſte, mögliche Bedeutung deſſelben; es war das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/100>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.