zu deutlich erkannte er, daß es nicht an Umgebung und Gesellschaft liege, wenn er die Zeit nicht hin- zubringen wisse, denn lesen und denken und denken und lesen kann man nur bei ruhigem Gemüthe. Er gestand sich's langsam, es fehle ihm Liebe, und zwar Constantie.
Wohl denn, rief er aus, als er eines Abends wieder mißvergnügt und unruhvoll aus dem Palais des Grafen schritt, wohl denn: das Herz hat mich gehindert, das Herz treibt mich jetzt, ich werd' ihm ewig folgen. -- Gleich als ob er einen großen Sieg errungen habe, als ob er von einer schweren Krank- heit durch einen plötzlichen Himmelsstrahl genesen sei, schritt er über die Straße, um von der andern Seite nach jenen letzten Fenstern zu schauen, wie er alle Abende gethan. Heut aber sah er mit leuchtenden Augen hinauf, und das Bild der trauernden Königin hatte sich verwandelt, und er glaubte das schöne Weib schon in den Armen zu halten. Alles drängte ihn, ihr zu sagen, was in seinem Herzen vorginge, sogleich, im Augenblicke, keine lange Nacht des Zweifels und Harrens sollte sich dazwischen legen. Und während er noch sann und dachte, wie das zu
10 *
zu deutlich erkannte er, daß es nicht an Umgebung und Geſellſchaft liege, wenn er die Zeit nicht hin- zubringen wiſſe, denn leſen und denken und denken und leſen kann man nur bei ruhigem Gemüthe. Er geſtand ſich’s langſam, es fehle ihm Liebe, und zwar Conſtantie.
Wohl denn, rief er aus, als er eines Abends wieder mißvergnügt und unruhvoll aus dem Palais des Grafen ſchritt, wohl denn: das Herz hat mich gehindert, das Herz treibt mich jetzt, ich werd’ ihm ewig folgen. — Gleich als ob er einen großen Sieg errungen habe, als ob er von einer ſchweren Krank- heit durch einen plötzlichen Himmelsſtrahl geneſen ſei, ſchritt er über die Straße, um von der andern Seite nach jenen letzten Fenſtern zu ſchauen, wie er alle Abende gethan. Heut aber ſah er mit leuchtenden Augen hinauf, und das Bild der trauernden Königin hatte ſich verwandelt, und er glaubte das ſchöne Weib ſchon in den Armen zu halten. Alles drängte ihn, ihr zu ſagen, was in ſeinem Herzen vorginge, ſogleich, im Augenblicke, keine lange Nacht des Zweifels und Harrens ſollte ſich dazwiſchen legen. Und während er noch ſann und dachte, wie das zu
10 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0235"n="225"/>
zu deutlich erkannte er, daß es nicht an Umgebung<lb/>
und Geſellſchaft liege, wenn er die Zeit nicht hin-<lb/>
zubringen wiſſe, denn leſen und denken und denken<lb/>
und leſen kann man nur bei ruhigem Gemüthe.<lb/>
Er geſtand ſich’s langſam, es fehle ihm Liebe, und<lb/>
zwar Conſtantie.</p><lb/><p>Wohl denn, rief er aus, als er eines Abends<lb/>
wieder mißvergnügt und unruhvoll aus dem Palais<lb/>
des Grafen ſchritt, wohl denn: das Herz hat mich<lb/>
gehindert, das Herz treibt mich jetzt, ich werd’ ihm<lb/>
ewig folgen. — Gleich als ob er einen großen Sieg<lb/>
errungen habe, als ob er von einer ſchweren Krank-<lb/>
heit durch einen plötzlichen Himmelsſtrahl geneſen ſei,<lb/>ſchritt er über die Straße, um von der andern Seite<lb/>
nach jenen letzten Fenſtern zu ſchauen, wie er alle<lb/>
Abende gethan. Heut aber ſah er mit leuchtenden<lb/>
Augen hinauf, und das Bild der trauernden Königin<lb/>
hatte ſich verwandelt, und er glaubte das ſchöne<lb/>
Weib ſchon in den Armen zu halten. Alles drängte<lb/>
ihn, ihr zu ſagen, was in ſeinem Herzen vorginge,<lb/>ſogleich, im Augenblicke, keine lange Nacht des<lb/>
Zweifels und Harrens ſollte ſich dazwiſchen legen.<lb/>
Und während er noch ſann und dachte, wie das zu<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#b">10 *</hi></fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[225/0235]
zu deutlich erkannte er, daß es nicht an Umgebung
und Geſellſchaft liege, wenn er die Zeit nicht hin-
zubringen wiſſe, denn leſen und denken und denken
und leſen kann man nur bei ruhigem Gemüthe.
Er geſtand ſich’s langſam, es fehle ihm Liebe, und
zwar Conſtantie.
Wohl denn, rief er aus, als er eines Abends
wieder mißvergnügt und unruhvoll aus dem Palais
des Grafen ſchritt, wohl denn: das Herz hat mich
gehindert, das Herz treibt mich jetzt, ich werd’ ihm
ewig folgen. — Gleich als ob er einen großen Sieg
errungen habe, als ob er von einer ſchweren Krank-
heit durch einen plötzlichen Himmelsſtrahl geneſen ſei,
ſchritt er über die Straße, um von der andern Seite
nach jenen letzten Fenſtern zu ſchauen, wie er alle
Abende gethan. Heut aber ſah er mit leuchtenden
Augen hinauf, und das Bild der trauernden Königin
hatte ſich verwandelt, und er glaubte das ſchöne
Weib ſchon in den Armen zu halten. Alles drängte
ihn, ihr zu ſagen, was in ſeinem Herzen vorginge,
ſogleich, im Augenblicke, keine lange Nacht des
Zweifels und Harrens ſollte ſich dazwiſchen legen.
Und während er noch ſann und dachte, wie das zu
10 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/235>, abgerufen am 29.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.