Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Tag für Tag einsam in jenen hohen schweigsa-
men Zimmern saß, trat oft verstohlen vor seine
Seele. Er glaubte sie in schwarzseidnem Gewande
mit aufgelös'tem Haare auf dem Fußteppich sitzen
zu sehen, das blendende Weiß der Arme und des
Busens sah verwundert auf die traurige Farbe des
Kleides, und das Gesicht hatte den erschütternden
Ausdruck einer verlass'nen Königin, die über Nacht
von allen denen verrathen worden ist, welche noch
am Abende ihren Winken gehorchten.

Er ging spät nach Hause, denn der Ort, wo
er ihr näher war, dünkte ihm doch noch besser, als
sein fernes einfames Zimmer; eine finstre, schwei-
gende Nacht hing wie ein schwarzer Mantel in
den Straßen. Die Fensterreihe der Fürstin, nach
welcher er aufblickte, war ohne Licht, nur in den
letzten Zimmern dämmerte eine schwache Helle. Lange
blieb er stehen, vielleicht hoffte er, die Gardinen wür-
den sich bewegen, und jene hohe Gestalt würde sich
zeigen, aber er wußte es selbst nicht, was er hoffte
und ob er hoffte. --

Es kamen mehr solche Abende, und sein Wesen
wurde immer unruhiger und ungeduldiger. Nur

Tag für Tag einſam in jenen hohen ſchweigſa-
men Zimmern ſaß, trat oft verſtohlen vor ſeine
Seele. Er glaubte ſie in ſchwarzſeidnem Gewande
mit aufgelöſ’tem Haare auf dem Fußteppich ſitzen
zu ſehen, das blendende Weiß der Arme und des
Buſens ſah verwundert auf die traurige Farbe des
Kleides, und das Geſicht hatte den erſchütternden
Ausdruck einer verlaſſ’nen Königin, die über Nacht
von allen denen verrathen worden iſt, welche noch
am Abende ihren Winken gehorchten.

Er ging ſpät nach Hauſe, denn der Ort, wo
er ihr näher war, dünkte ihm doch noch beſſer, als
ſein fernes einfames Zimmer; eine finſtre, ſchwei-
gende Nacht hing wie ein ſchwarzer Mantel in
den Straßen. Die Fenſterreihe der Fürſtin, nach
welcher er aufblickte, war ohne Licht, nur in den
letzten Zimmern dämmerte eine ſchwache Helle. Lange
blieb er ſtehen, vielleicht hoffte er, die Gardinen wür-
den ſich bewegen, und jene hohe Geſtalt würde ſich
zeigen, aber er wußte es ſelbſt nicht, was er hoffte
und ob er hoffte. —

Es kamen mehr ſolche Abende, und ſein Weſen
wurde immer unruhiger und ungeduldiger. Nur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0234" n="224"/>
Tag für Tag ein&#x017F;am in jenen hohen &#x017F;chweig&#x017F;a-<lb/>
men Zimmern &#x017F;aß, trat oft ver&#x017F;tohlen vor &#x017F;eine<lb/>
Seele. Er glaubte &#x017F;ie in &#x017F;chwarz&#x017F;eidnem Gewande<lb/>
mit aufgelö&#x017F;&#x2019;tem Haare auf dem Fußteppich &#x017F;itzen<lb/>
zu &#x017F;ehen, das blendende Weiß der Arme und des<lb/>
Bu&#x017F;ens &#x017F;ah verwundert auf die traurige Farbe des<lb/>
Kleides, und das Ge&#x017F;icht hatte den er&#x017F;chütternden<lb/>
Ausdruck einer verla&#x017F;&#x017F;&#x2019;nen Königin, die über Nacht<lb/>
von allen denen verrathen worden i&#x017F;t, welche noch<lb/>
am Abende ihren Winken gehorchten.</p><lb/>
          <p>Er ging &#x017F;pät nach Hau&#x017F;e, denn der Ort, wo<lb/>
er ihr näher war, dünkte ihm doch noch be&#x017F;&#x017F;er, als<lb/>
&#x017F;ein fernes einfames Zimmer; eine fin&#x017F;tre, &#x017F;chwei-<lb/>
gende Nacht hing wie ein &#x017F;chwarzer Mantel in<lb/>
den Straßen. Die Fen&#x017F;terreihe der Für&#x017F;tin, nach<lb/>
welcher er aufblickte, war ohne Licht, nur in den<lb/>
letzten Zimmern dämmerte eine &#x017F;chwache Helle. Lange<lb/>
blieb er &#x017F;tehen, vielleicht hoffte er, die Gardinen wür-<lb/>
den &#x017F;ich bewegen, und jene hohe Ge&#x017F;talt würde &#x017F;ich<lb/>
zeigen, aber er wußte es &#x017F;elb&#x017F;t nicht, was er hoffte<lb/>
und ob er hoffte. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Es kamen mehr &#x017F;olche Abende, und &#x017F;ein We&#x017F;en<lb/>
wurde immer unruhiger und ungeduldiger. Nur<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0234] Tag für Tag einſam in jenen hohen ſchweigſa- men Zimmern ſaß, trat oft verſtohlen vor ſeine Seele. Er glaubte ſie in ſchwarzſeidnem Gewande mit aufgelöſ’tem Haare auf dem Fußteppich ſitzen zu ſehen, das blendende Weiß der Arme und des Buſens ſah verwundert auf die traurige Farbe des Kleides, und das Geſicht hatte den erſchütternden Ausdruck einer verlaſſ’nen Königin, die über Nacht von allen denen verrathen worden iſt, welche noch am Abende ihren Winken gehorchten. Er ging ſpät nach Hauſe, denn der Ort, wo er ihr näher war, dünkte ihm doch noch beſſer, als ſein fernes einfames Zimmer; eine finſtre, ſchwei- gende Nacht hing wie ein ſchwarzer Mantel in den Straßen. Die Fenſterreihe der Fürſtin, nach welcher er aufblickte, war ohne Licht, nur in den letzten Zimmern dämmerte eine ſchwache Helle. Lange blieb er ſtehen, vielleicht hoffte er, die Gardinen wür- den ſich bewegen, und jene hohe Geſtalt würde ſich zeigen, aber er wußte es ſelbſt nicht, was er hoffte und ob er hoffte. — Es kamen mehr ſolche Abende, und ſein Weſen wurde immer unruhiger und ungeduldiger. Nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/234
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/234>, abgerufen am 17.05.2024.