Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

die Dichter die reichsten Menschen, darum sind sie
kleine Götter, die alle Tage eine Welt schaffen,
und sich mit dem Troste zu Bette legen: Siehe,
es war Alles sehr gut. Jm Sturm der Dinge
selbst sind wir die Beute der Dinge; ist es doch
ein Hauptglück des gegenwärtigsten Reizes, der
Liebe, sich ihrer zu erinnern. Ein jahrelang ersehn-
ter Kuß, im Fluge geraubt und erwiedert, macht ein
ganzes darauffolgendes Leben voll Gewöhnlichkeit
erträglich, während jener eigentliche Lebensaugen-
blick an sich kaum empfunden ward, und nur durch
die lange Erwartung vorher und die lange Erinne-
rung nachher ein beglückendes Ereigniß wurde.

So liegt in uns von Hause aus jener viel
gesuchte Sieg über das Aeußere.

Aber auch diese nachschaffende Fähigkeit war
getrübt in Valerius, er reizte sich mehr zum Ge-
nuß, als daß dieser Genuß ihn aufgesucht hätte.
Der Mittelpunkt seines Lebens war verschoben, und
Alles Uebrige dadurch in Unordnung gerathen.
So machte er sich Vorwürfe über diese ärmliche
Manier, wie er's nannte, nur das zu erkennen
und zu ergreifen, was vorüber sei, nicht der gegen-

die Dichter die reichſten Menſchen, darum ſind ſie
kleine Götter, die alle Tage eine Welt ſchaffen,
und ſich mit dem Troſte zu Bette legen: Siehe,
es war Alles ſehr gut. Jm Sturm der Dinge
ſelbſt ſind wir die Beute der Dinge; iſt es doch
ein Hauptglück des gegenwärtigſten Reizes, der
Liebe, ſich ihrer zu erinnern. Ein jahrelang erſehn-
ter Kuß, im Fluge geraubt und erwiedert, macht ein
ganzes darauffolgendes Leben voll Gewöhnlichkeit
erträglich, während jener eigentliche Lebensaugen-
blick an ſich kaum empfunden ward, und nur durch
die lange Erwartung vorher und die lange Erinne-
rung nachher ein beglückendes Ereigniß wurde.

So liegt in uns von Hauſe aus jener viel
geſuchte Sieg über das Aeußere.

Aber auch dieſe nachſchaffende Fähigkeit war
getrübt in Valerius, er reizte ſich mehr zum Ge-
nuß, als daß dieſer Genuß ihn aufgeſucht hätte.
Der Mittelpunkt ſeines Lebens war verſchoben, und
Alles Uebrige dadurch in Unordnung gerathen.
So machte er ſich Vorwürfe über dieſe ärmliche
Manier, wie er’s nannte, nur das zu erkennen
und zu ergreifen, was vorüber ſei, nicht der gegen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0106" n="96"/>
die Dichter die reich&#x017F;ten Men&#x017F;chen, darum &#x017F;ind &#x017F;ie<lb/>
kleine Götter, die alle Tage eine Welt &#x017F;chaffen,<lb/>
und &#x017F;ich mit dem Tro&#x017F;te zu Bette legen: Siehe,<lb/>
es war Alles &#x017F;ehr gut. Jm Sturm der Dinge<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind wir die Beute der Dinge; i&#x017F;t es doch<lb/>
ein Hauptglück des gegenwärtig&#x017F;ten Reizes, der<lb/>
Liebe, &#x017F;ich ihrer zu erinnern. Ein jahrelang er&#x017F;ehn-<lb/>
ter Kuß, im Fluge geraubt und erwiedert, macht ein<lb/>
ganzes darauffolgendes Leben voll Gewöhnlichkeit<lb/>
erträglich, während jener eigentliche Lebensaugen-<lb/>
blick an &#x017F;ich kaum empfunden ward, und nur durch<lb/>
die lange Erwartung vorher und die lange Erinne-<lb/>
rung nachher ein beglückendes Ereigniß wurde.</p><lb/>
          <p>So liegt in uns von Hau&#x017F;e aus jener viel<lb/>
ge&#x017F;uchte Sieg über das Aeußere.</p><lb/>
          <p>Aber auch die&#x017F;e nach&#x017F;chaffende Fähigkeit war<lb/>
getrübt in Valerius, er reizte &#x017F;ich mehr zum Ge-<lb/>
nuß, als daß die&#x017F;er Genuß ihn aufge&#x017F;ucht hätte.<lb/>
Der Mittelpunkt &#x017F;eines Lebens war ver&#x017F;choben, und<lb/>
Alles Uebrige dadurch in Unordnung gerathen.<lb/>
So machte er &#x017F;ich Vorwürfe über die&#x017F;e ärmliche<lb/>
Manier, wie er&#x2019;s nannte, nur das zu erkennen<lb/>
und zu ergreifen, was vorüber &#x017F;ei, nicht der gegen-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0106] die Dichter die reichſten Menſchen, darum ſind ſie kleine Götter, die alle Tage eine Welt ſchaffen, und ſich mit dem Troſte zu Bette legen: Siehe, es war Alles ſehr gut. Jm Sturm der Dinge ſelbſt ſind wir die Beute der Dinge; iſt es doch ein Hauptglück des gegenwärtigſten Reizes, der Liebe, ſich ihrer zu erinnern. Ein jahrelang erſehn- ter Kuß, im Fluge geraubt und erwiedert, macht ein ganzes darauffolgendes Leben voll Gewöhnlichkeit erträglich, während jener eigentliche Lebensaugen- blick an ſich kaum empfunden ward, und nur durch die lange Erwartung vorher und die lange Erinne- rung nachher ein beglückendes Ereigniß wurde. So liegt in uns von Hauſe aus jener viel geſuchte Sieg über das Aeußere. Aber auch dieſe nachſchaffende Fähigkeit war getrübt in Valerius, er reizte ſich mehr zum Ge- nuß, als daß dieſer Genuß ihn aufgeſucht hätte. Der Mittelpunkt ſeines Lebens war verſchoben, und Alles Uebrige dadurch in Unordnung gerathen. So machte er ſich Vorwürfe über dieſe ärmliche Manier, wie er’s nannte, nur das zu erkennen und zu ergreifen, was vorüber ſei, nicht der gegen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/106
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/106>, abgerufen am 14.10.2024.