Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

selbst wenn Du dagegen zu Felde zögest. Mit der Bi¬
bel geht es mir -- so weit ich sie kenne, -- auch
wunderlich. Als ein heiliges Buch, das an sich Ver¬
ehrung fordert, konnte ich sie lange nicht leiden, denn
ein Buch, meinte ich, bleibe doch ein Buch und könne
durch ein Buch in den Sand gestreckt werden; aber als
episches Gedicht steht sie mir unnennbar hoch und
ist mir außerordentlich lieb. "Da kam ein König in
Aegypten auf, der wußte nichts von Joseph." --
Kann das Verschlungenwerden durch die Zeit rührender
ausgedrückt werden?

-- Manche Stunden giebt es indeß noch, Freund,
wo ich mir selbst mit meinen überaus vernünftigen An¬
sichten wie ein bei der Gewerbschule angestellter Regie¬
rungsrath vorkomme. Ich habe an meinen Vater um
Versöhnung und Vergebung geschrieben, und denke meine
juristische Carriere wieder aufzunehmen. Meine Tollhei¬
ten in Paris kennt bei mir zu Lande Niemand.

Was Einem wohl das stete Ringen, Lesen, Den¬
ken, Recensiren, Recensirtwerden nützt? -- eben daß
man ringt, denkt, lies't etc. -- daß man etwas zu
thun hat, sowie das gemähte Gras wieder wächst, um
wieder gemäht zu werden. Was verstehst Du unter

ſelbſt wenn Du dagegen zu Felde zögeſt. Mit der Bi¬
bel geht es mir — ſo weit ich ſie kenne, — auch
wunderlich. Als ein heiliges Buch, das an ſich Ver¬
ehrung fordert, konnte ich ſie lange nicht leiden, denn
ein Buch, meinte ich, bleibe doch ein Buch und könne
durch ein Buch in den Sand geſtreckt werden; aber als
epiſches Gedicht ſteht ſie mir unnennbar hoch und
iſt mir außerordentlich lieb. „Da kam ein König in
Aegypten auf, der wußte nichts von Joſeph.“ —
Kann das Verſchlungenwerden durch die Zeit rührender
ausgedrückt werden?

— Manche Stunden giebt es indeß noch, Freund,
wo ich mir ſelbſt mit meinen überaus vernünftigen An¬
ſichten wie ein bei der Gewerbſchule angeſtellter Regie¬
rungsrath vorkomme. Ich habe an meinen Vater um
Verſöhnung und Vergebung geſchrieben, und denke meine
juriſtiſche Carrière wieder aufzunehmen. Meine Tollhei¬
ten in Paris kennt bei mir zu Lande Niemand.

Was Einem wohl das ſtete Ringen, Leſen, Den¬
ken, Recenſiren, Recenſirtwerden nützt? — eben daß
man ringt, denkt, lieſ't ꝛc. — daß man etwas zu
thun hat, ſowie das gemähte Gras wieder wächſt, um
wieder gemäht zu werden. Was verſtehſt Du unter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="77"/>
&#x017F;elb&#x017F;t wenn Du dagegen zu Felde zöge&#x017F;t. Mit der Bi¬<lb/>
bel geht es mir &#x2014; &#x017F;o weit ich &#x017F;ie kenne, &#x2014; auch<lb/>
wunderlich. Als ein heiliges Buch, das an &#x017F;ich Ver¬<lb/>
ehrung fordert, konnte ich &#x017F;ie lange nicht leiden, denn<lb/>
ein Buch, meinte ich, bleibe doch ein Buch und könne<lb/>
durch ein Buch in den Sand ge&#x017F;treckt werden; aber als<lb/>
epi&#x017F;ches Gedicht &#x017F;teht &#x017F;ie mir unnennbar hoch und<lb/>
i&#x017F;t mir außerordentlich lieb. &#x201E;Da kam ein König in<lb/>
Aegypten auf, der wußte nichts von Jo&#x017F;eph.&#x201C; &#x2014;<lb/>
Kann das Ver&#x017F;chlungenwerden durch die Zeit rührender<lb/>
ausgedrückt werden?</p><lb/>
        <p>&#x2014; Manche Stunden giebt es indeß noch, Freund,<lb/>
wo ich mir &#x017F;elb&#x017F;t mit meinen überaus vernünftigen An¬<lb/>
&#x017F;ichten wie ein bei der Gewerb&#x017F;chule ange&#x017F;tellter Regie¬<lb/>
rungsrath vorkomme. Ich habe an meinen Vater um<lb/>
Ver&#x017F;öhnung und Vergebung ge&#x017F;chrieben, und denke meine<lb/>
juri&#x017F;ti&#x017F;che Carri<hi rendition="#aq">è</hi>re wieder aufzunehmen. Meine Tollhei¬<lb/>
ten in Paris kennt bei mir zu Lande Niemand.</p><lb/>
        <p>Was Einem wohl das &#x017F;tete Ringen, Le&#x017F;en, Den¬<lb/>
ken, Recen&#x017F;iren, Recen&#x017F;irtwerden nützt? &#x2014; eben daß<lb/>
man ringt, denkt, lie&#x017F;'t &#xA75B;c. &#x2014; daß man etwas zu<lb/>
thun hat, &#x017F;owie das gemähte Gras wieder wäch&#x017F;t, um<lb/>
wieder gemäht zu werden. Was ver&#x017F;teh&#x017F;t Du unter<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0089] ſelbſt wenn Du dagegen zu Felde zögeſt. Mit der Bi¬ bel geht es mir — ſo weit ich ſie kenne, — auch wunderlich. Als ein heiliges Buch, das an ſich Ver¬ ehrung fordert, konnte ich ſie lange nicht leiden, denn ein Buch, meinte ich, bleibe doch ein Buch und könne durch ein Buch in den Sand geſtreckt werden; aber als epiſches Gedicht ſteht ſie mir unnennbar hoch und iſt mir außerordentlich lieb. „Da kam ein König in Aegypten auf, der wußte nichts von Joſeph.“ — Kann das Verſchlungenwerden durch die Zeit rührender ausgedrückt werden? — Manche Stunden giebt es indeß noch, Freund, wo ich mir ſelbſt mit meinen überaus vernünftigen An¬ ſichten wie ein bei der Gewerbſchule angeſtellter Regie¬ rungsrath vorkomme. Ich habe an meinen Vater um Verſöhnung und Vergebung geſchrieben, und denke meine juriſtiſche Carrière wieder aufzunehmen. Meine Tollhei¬ ten in Paris kennt bei mir zu Lande Niemand. Was Einem wohl das ſtete Ringen, Leſen, Den¬ ken, Recenſiren, Recenſirtwerden nützt? — eben daß man ringt, denkt, lieſ't ꝛc. — daß man etwas zu thun hat, ſowie das gemähte Gras wieder wächſt, um wieder gemäht zu werden. Was verſtehſt Du unter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/89
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/89>, abgerufen am 25.11.2024.