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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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ein buntes festliches Treiben hier eingekehrt, es geht
Alles geputzt, und doch ist Niemand vergnügt -- wir
leben auf einem Todtenacker, den man mit bunten
Blumen beworfen hat. Hyppolit steht knirschend wie
ein Todesengel da und ist vernichtend in Wort, Blick
und Geberde. Ich habe ihn nie so beißend witzig,
verständig, vornehm gesehen. Die kecke Fürstin richtet
oft das Wort an ihn, er wirft Dolche statt Worte zu¬
rück. Gestern fragte sie ihn nach Desdemona. Mit
einer fürchterlichen Kälte erwiderte er: Eine Schlange
hat ihr Leben vergiftet und sie von dem Ort vertrieben,
wo sie glücklich war -- jetzt ist sie wahnsinnig. Con¬
stantie erbleichte. Ich fragte ihn später, ob es gräßliche
Erfindung seines Grimmes sei. Nichts weiter, erwie¬
derte er, und reichte mir einen Brief. Er war aus
Wien und von Desdemona angefangen; sie schrieb mit
herzzerreißender Sehnsucht, ihre Liebe stand auf einer
Höhe, vor der ich selbst schwindelte -- die Fortsetzung
war von einer uns unbekannten Dame, welche Hyppo¬
lit mittheilte, daß Desdemona in ein hitziges Fieber
verfallen sei, und daß die Aerzte für ihr Leben und für
ihren Verstand Alles besorgten. Möge es Dir besser
ergehen als uns. Leb wohl.


ein buntes feſtliches Treiben hier eingekehrt, es geht
Alles geputzt, und doch iſt Niemand vergnügt — wir
leben auf einem Todtenacker, den man mit bunten
Blumen beworfen hat. Hyppolit ſteht knirſchend wie
ein Todesengel da und iſt vernichtend in Wort, Blick
und Geberde. Ich habe ihn nie ſo beißend witzig,
verſtändig, vornehm geſehen. Die kecke Fürſtin richtet
oft das Wort an ihn, er wirft Dolche ſtatt Worte zu¬
rück. Geſtern fragte ſie ihn nach Desdemona. Mit
einer fürchterlichen Kälte erwiderte er: Eine Schlange
hat ihr Leben vergiftet und ſie von dem Ort vertrieben,
wo ſie glücklich war — jetzt iſt ſie wahnſinnig. Con¬
ſtantie erbleichte. Ich fragte ihn ſpäter, ob es gräßliche
Erfindung ſeines Grimmes ſei. Nichts weiter, erwie¬
derte er, und reichte mir einen Brief. Er war aus
Wien und von Desdemona angefangen; ſie ſchrieb mit
herzzerreißender Sehnſucht, ihre Liebe ſtand auf einer
Höhe, vor der ich ſelbſt ſchwindelte — die Fortſetzung
war von einer uns unbekannten Dame, welche Hyppo¬
lit mittheilte, daß Desdemona in ein hitziges Fieber
verfallen ſei, und daß die Aerzte für ihr Leben und für
ihren Verſtand Alles beſorgten. Möge es Dir beſſer
ergehen als uns. Leb wohl.


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[47/0059] ein buntes feſtliches Treiben hier eingekehrt, es geht Alles geputzt, und doch iſt Niemand vergnügt — wir leben auf einem Todtenacker, den man mit bunten Blumen beworfen hat. Hyppolit ſteht knirſchend wie ein Todesengel da und iſt vernichtend in Wort, Blick und Geberde. Ich habe ihn nie ſo beißend witzig, verſtändig, vornehm geſehen. Die kecke Fürſtin richtet oft das Wort an ihn, er wirft Dolche ſtatt Worte zu¬ rück. Geſtern fragte ſie ihn nach Desdemona. Mit einer fürchterlichen Kälte erwiderte er: Eine Schlange hat ihr Leben vergiftet und ſie von dem Ort vertrieben, wo ſie glücklich war — jetzt iſt ſie wahnſinnig. Con¬ ſtantie erbleichte. Ich fragte ihn ſpäter, ob es gräßliche Erfindung ſeines Grimmes ſei. Nichts weiter, erwie¬ derte er, und reichte mir einen Brief. Er war aus Wien und von Desdemona angefangen; ſie ſchrieb mit herzzerreißender Sehnſucht, ihre Liebe ſtand auf einer Höhe, vor der ich ſelbſt ſchwindelte — die Fortſetzung war von einer uns unbekannten Dame, welche Hyppo¬ lit mittheilte, daß Desdemona in ein hitziges Fieber verfallen ſei, und daß die Aerzte für ihr Leben und für ihren Verſtand Alles beſorgten. Möge es Dir beſſer ergehen als uns. Leb wohl.

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/59>, abgerufen am 03.12.2024.