Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

Anacharsis plappern. Eins ist überaus liebenswürdig
an ihm: sein Sinn für jede Art von Poesie. Der
Mann verdaut mehr Verse in einem Niedersitzen als ich
einen ganzen Monat lang im Stande bin zu verbrau¬
chen, und hört Raisonnements über Poeterei an, bis der
Raisonneur heiser ist. Ich glaube, er hat viel geliebt;
er kostet das kleinste Lied durch und durch und hat wirk¬
lich ein so ausgebildetes Gefühl dafür, daß ihm nicht
die kleinste Andeutung oder Beziehung entgeht. Dies
ist denn auch das schöne Band, welches ihm seine Toch¬
ter fest am Herzen erhält. Ich glaube wirklich nicht,
daß er ihrer Neigung nur im Entferntesten in den Weg
treten würde, sie müßte denn auf einen ganz veralteten
jungen Mann fallen. Aber ich habe nichts als Besorg¬
niß mit der schönen Alberta. Seit einiger Zeit neigte
sie sich offenbar mit großer Vorliebe zum alterthümlichen
William, diesem altenglischen Stockjobber, wie Ihr ihn
zu nennen beliebt. Ich glaube, sein gläubiges Christen¬
thum fesselte die weiche furchtsame Seele. Da kam Hyp¬
polit, das reizende böse Geschick der Weiber, und nun
ist die Verwirrung vollständig. Es ist eine sehr schlimme
Sache mit Hyppolit. Wie oft hab' ich es ihm vorge¬
stellt, daß es gar kein Rechtsverhältniß sei, in das er

Anacharſis plappern. Eins iſt überaus liebenswürdig
an ihm: ſein Sinn für jede Art von Poeſie. Der
Mann verdaut mehr Verſe in einem Niederſitzen als ich
einen ganzen Monat lang im Stande bin zu verbrau¬
chen, und hört Raiſonnements über Poeterei an, bis der
Raiſonneur heiſer iſt. Ich glaube, er hat viel geliebt;
er koſtet das kleinſte Lied durch und durch und hat wirk¬
lich ein ſo ausgebildetes Gefühl dafür, daß ihm nicht
die kleinſte Andeutung oder Beziehung entgeht. Dies
iſt denn auch das ſchöne Band, welches ihm ſeine Toch¬
ter feſt am Herzen erhält. Ich glaube wirklich nicht,
daß er ihrer Neigung nur im Entfernteſten in den Weg
treten würde, ſie müßte denn auf einen ganz veralteten
jungen Mann fallen. Aber ich habe nichts als Beſorg¬
niß mit der ſchönen Alberta. Seit einiger Zeit neigte
ſie ſich offenbar mit großer Vorliebe zum alterthümlichen
William, dieſem altengliſchen Stockjobber, wie Ihr ihn
zu nennen beliebt. Ich glaube, ſein gläubiges Chriſten¬
thum feſſelte die weiche furchtſame Seele. Da kam Hyp¬
polit, das reizende böſe Geſchick der Weiber, und nun
iſt die Verwirrung vollſtändig. Es iſt eine ſehr ſchlimme
Sache mit Hyppolit. Wie oft hab' ich es ihm vorge¬
ſtellt, daß es gar kein Rechtsverhältniß ſei, in das er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0024" n="12"/>
Anachar&#x017F;is plappern. Eins i&#x017F;t überaus liebenswürdig<lb/>
an ihm: &#x017F;ein Sinn für jede Art von Poe&#x017F;ie. Der<lb/>
Mann verdaut mehr Ver&#x017F;e in einem Nieder&#x017F;itzen als ich<lb/>
einen ganzen Monat lang im Stande bin zu verbrau¬<lb/>
chen, und hört Rai&#x017F;onnements über Poeterei an, bis der<lb/>
Rai&#x017F;onneur hei&#x017F;er i&#x017F;t. Ich glaube, er hat viel geliebt;<lb/>
er ko&#x017F;tet das klein&#x017F;te Lied durch und durch und hat wirk¬<lb/>
lich ein &#x017F;o ausgebildetes Gefühl dafür, daß ihm nicht<lb/>
die klein&#x017F;te Andeutung oder Beziehung entgeht. Dies<lb/>
i&#x017F;t denn auch das &#x017F;chöne Band, welches ihm &#x017F;eine Toch¬<lb/>
ter fe&#x017F;t am Herzen erhält. Ich glaube wirklich nicht,<lb/>
daß er ihrer Neigung nur im Entfernte&#x017F;ten in den Weg<lb/>
treten würde, &#x017F;ie müßte denn auf einen ganz veralteten<lb/>
jungen Mann fallen. Aber ich habe nichts als Be&#x017F;org¬<lb/>
niß mit der &#x017F;chönen Alberta. Seit einiger Zeit neigte<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich offenbar mit großer Vorliebe zum alterthümlichen<lb/>
William, die&#x017F;em altengli&#x017F;chen Stockjobber, wie Ihr ihn<lb/>
zu nennen beliebt. Ich glaube, &#x017F;ein gläubiges Chri&#x017F;ten¬<lb/>
thum fe&#x017F;&#x017F;elte die weiche furcht&#x017F;ame Seele. Da kam Hyp¬<lb/>
polit, das reizende bö&#x017F;e Ge&#x017F;chick der Weiber, und nun<lb/>
i&#x017F;t die Verwirrung voll&#x017F;tändig. Es i&#x017F;t eine &#x017F;ehr &#x017F;chlimme<lb/>
Sache mit Hyppolit. Wie oft hab' ich es ihm vorge¬<lb/>
&#x017F;tellt, daß es gar kein Rechtsverhältniß &#x017F;ei, in das er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0024] Anacharſis plappern. Eins iſt überaus liebenswürdig an ihm: ſein Sinn für jede Art von Poeſie. Der Mann verdaut mehr Verſe in einem Niederſitzen als ich einen ganzen Monat lang im Stande bin zu verbrau¬ chen, und hört Raiſonnements über Poeterei an, bis der Raiſonneur heiſer iſt. Ich glaube, er hat viel geliebt; er koſtet das kleinſte Lied durch und durch und hat wirk¬ lich ein ſo ausgebildetes Gefühl dafür, daß ihm nicht die kleinſte Andeutung oder Beziehung entgeht. Dies iſt denn auch das ſchöne Band, welches ihm ſeine Toch¬ ter feſt am Herzen erhält. Ich glaube wirklich nicht, daß er ihrer Neigung nur im Entfernteſten in den Weg treten würde, ſie müßte denn auf einen ganz veralteten jungen Mann fallen. Aber ich habe nichts als Beſorg¬ niß mit der ſchönen Alberta. Seit einiger Zeit neigte ſie ſich offenbar mit großer Vorliebe zum alterthümlichen William, dieſem altengliſchen Stockjobber, wie Ihr ihn zu nennen beliebt. Ich glaube, ſein gläubiges Chriſten¬ thum feſſelte die weiche furchtſame Seele. Da kam Hyp¬ polit, das reizende böſe Geſchick der Weiber, und nun iſt die Verwirrung vollſtändig. Es iſt eine ſehr ſchlimme Sache mit Hyppolit. Wie oft hab' ich es ihm vorge¬ ſtellt, daß es gar kein Rechtsverhältniß ſei, in das er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/24
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/24>, abgerufen am 24.11.2024.