über Poesie und Weiber. Meine Dame ward auch be¬ wegter, zog einmal ihre Hand weg, nannte meine Theo¬ rieen männerfrech, ließ mich später die Fingerspitzen wie¬ der ergreifen, schwieg lange, sah mich forschend, durch¬ dringend an, stand dann plötzlich auf, strich mir wie Adelheid in Göthen's Götz dem Franz über das Gesicht und erlaubte mir den andern Tag wieder zu kommen, und ihr Gedichte mitzubringen.
Ich war in einer Art Sinnlichkeitsrausch. Wenn Du Dich darüber wunderst, so hab' ich Dir nicht ge¬ nug von der Schönheit des Weibes, nicht genug von dem stolz einhergehenden und doch von Bewegung im¬ mer in die Knie sinkenden Trotze ihres Wesens gesagt, was unwiderstehlich reizte. Eine stolze Blume, die sich des feuchten Thau's nicht erwehren kann, der ihre Blätter, die Augenlieder, erweicht und das Haupt beugt. Rechne dazu die reizendste, reichste Umgebung, welche der trägsten Phantasie schwellende Polster unterschob. Glaube ja nicht, daß die äußeren Umstände ohne gro¬ ßen Einfluß seien. Wer unter den gewöhnlichen engen bürgerlichen Verhältnissen, wo das Philisterhafte der Frau Mutter oder Frau Muhme mit beobachtet sein will, frei, mild, stark lieben will, muß einen viel grö¬
über Poeſie und Weiber. Meine Dame ward auch be¬ wegter, zog einmal ihre Hand weg, nannte meine Theo¬ rieen männerfrech, ließ mich ſpäter die Fingerſpitzen wie¬ der ergreifen, ſchwieg lange, ſah mich forſchend, durch¬ dringend an, ſtand dann plötzlich auf, ſtrich mir wie Adelheid in Göthen's Götz dem Franz über das Geſicht und erlaubte mir den andern Tag wieder zu kommen, und ihr Gedichte mitzubringen.
Ich war in einer Art Sinnlichkeitsrauſch. Wenn Du Dich darüber wunderſt, ſo hab' ich Dir nicht ge¬ nug von der Schönheit des Weibes, nicht genug von dem ſtolz einhergehenden und doch von Bewegung im¬ mer in die Knie ſinkenden Trotze ihres Weſens geſagt, was unwiderſtehlich reizte. Eine ſtolze Blume, die ſich des feuchten Thau's nicht erwehren kann, der ihre Blätter, die Augenlieder, erweicht und das Haupt beugt. Rechne dazu die reizendſte, reichſte Umgebung, welche der trägſten Phantaſie ſchwellende Polſter unterſchob. Glaube ja nicht, daß die äußeren Umſtände ohne gro¬ ßen Einfluß ſeien. Wer unter den gewöhnlichen engen bürgerlichen Verhältniſſen, wo das Philiſterhafte der Frau Mutter oder Frau Muhme mit beobachtet ſein will, frei, mild, ſtark lieben will, muß einen viel grö¬
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über Poeſie und Weiber. Meine Dame ward auch be¬
wegter, zog einmal ihre Hand weg, nannte meine Theo¬
rieen männerfrech, ließ mich ſpäter die Fingerſpitzen wie¬
der ergreifen, ſchwieg lange, ſah mich forſchend, durch¬
dringend an, ſtand dann plötzlich auf, ſtrich mir wie
Adelheid in Göthen's Götz dem Franz über das Geſicht
und erlaubte mir den andern Tag wieder zu kommen,
und ihr Gedichte mitzubringen.
Ich war in einer Art Sinnlichkeitsrauſch. Wenn
Du Dich darüber wunderſt, ſo hab' ich Dir nicht ge¬
nug von der Schönheit des Weibes, nicht genug von
dem ſtolz einhergehenden und doch von Bewegung im¬
mer in die Knie ſinkenden Trotze ihres Weſens geſagt,
was unwiderſtehlich reizte. Eine ſtolze Blume, die
ſich des feuchten Thau's nicht erwehren kann, der ihre
Blätter, die Augenlieder, erweicht und das Haupt beugt.
Rechne dazu die reizendſte, reichſte Umgebung, welche
der trägſten Phantaſie ſchwellende Polſter unterſchob.
Glaube ja nicht, daß die äußeren Umſtände ohne gro¬
ßen Einfluß ſeien. Wer unter den gewöhnlichen engen
bürgerlichen Verhältniſſen, wo das Philiſterhafte der
Frau Mutter oder Frau Muhme mit beobachtet ſein
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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/125>, abgerufen am 17.02.2025.
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