"Hier unser Freund behauptet, die Sache ließe sich erklären --"
Alander lachte.
"Nun, die Erklärung können wir uns ja einmal anhören. Schießen Sie los, Märchenphilosoph."
"Zunächst behaupte ich, daß die Geschichte von Aladdin und der Wunderlampe kein frei erfundenes Märchen ist, sondern auf einer Thatsache des mystischen Lebens beruht. Natürlich nicht in allen Einzelheiten. An Ausschmückungen mag es nicht fehlen. Aber der Kern der Sache scheint mir dieser. Ein afrikanischer Zauberer, sagt die Erzählung, erfährt von dem Vorhandensein einer Wunderlampe, welche die Eigenschaft hat, daß an ihren Besitz der Gehorsam eines mächtigen Geistes ge- knüpft ist. Um sie zu erreichen bedarf er der Hand eines Knaben; durch einen Zufall bleibt der Knabe im Besitze der Lampe und gewinnt dadurch Macht und Reichtum. Jm Lichte der Wissenschaft stellt sich die Sache folgendermaßen: Der Zauberer aus Afrika ist ein Mann, welcher Kenntnis der Hieroglyphen besitzt und aus einem aufgefundenen Papyros das Geheimnis der Lampe erfahren hat. Die Fundamental-Frage ist nun diese: 1. Jst es möglich, daß es Geister giebt, welche Dinge auszurichten vermögen, die den uns bekannten Naturgesetzen scheinbar widersprechen? 2. Jst es möglich, daß der Wille dieser Geister an den Besitz eines ein- fachen Gerätes, wie dieser Lampe, gebunden ist? Jch
Aladdins Wunderlampe.
„So ſollten wir doch einmal verſuchen —“
„Aber Helene, ich bitte Dich!“
„Hier unſer Freund behauptet, die Sache ließe ſich erklären —“
Alander lachte.
„Nun, die Erklärung können wir uns ja einmal anhören. Schießen Sie los, Märchenphiloſoph.“
„Zunächſt behaupte ich, daß die Geſchichte von Aladdin und der Wunderlampe kein frei erfundenes Märchen iſt, ſondern auf einer Thatſache des myſtiſchen Lebens beruht. Natürlich nicht in allen Einzelheiten. An Ausſchmückungen mag es nicht fehlen. Aber der Kern der Sache ſcheint mir dieſer. Ein afrikaniſcher Zauberer, ſagt die Erzählung, erfährt von dem Vorhandenſein einer Wunderlampe, welche die Eigenſchaft hat, daß an ihren Beſitz der Gehorſam eines mächtigen Geiſtes ge- knüpft iſt. Um ſie zu erreichen bedarf er der Hand eines Knaben; durch einen Zufall bleibt der Knabe im Beſitze der Lampe und gewinnt dadurch Macht und Reichtum. Jm Lichte der Wiſſenſchaft ſtellt ſich die Sache folgendermaßen: Der Zauberer aus Afrika iſt ein Mann, welcher Kenntnis der Hieroglyphen beſitzt und aus einem aufgefundenen Papyros das Geheimnis der Lampe erfahren hat. Die Fundamental-Frage iſt nun dieſe: 1. Jſt es möglich, daß es Geiſter giebt, welche Dinge auszurichten vermögen, die den uns bekannten Naturgeſetzen ſcheinbar widerſprechen? 2. Jſt es möglich, daß der Wille dieſer Geiſter an den Beſitz eines ein- fachen Gerätes, wie dieſer Lampe, gebunden iſt? Jch
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Aladdins Wunderlampe.
„So ſollten wir doch einmal verſuchen —“
„Aber Helene, ich bitte Dich!“
„Hier unſer Freund behauptet, die Sache ließe ſich
erklären —“
Alander lachte.
„Nun, die Erklärung können wir uns ja einmal
anhören. Schießen Sie los, Märchenphiloſoph.“
„Zunächſt behaupte ich, daß die Geſchichte von
Aladdin und der Wunderlampe kein frei erfundenes
Märchen iſt, ſondern auf einer Thatſache des myſtiſchen
Lebens beruht. Natürlich nicht in allen Einzelheiten. An
Ausſchmückungen mag es nicht fehlen. Aber der Kern
der Sache ſcheint mir dieſer. Ein afrikaniſcher Zauberer,
ſagt die Erzählung, erfährt von dem Vorhandenſein
einer Wunderlampe, welche die Eigenſchaft hat, daß an
ihren Beſitz der Gehorſam eines mächtigen Geiſtes ge-
knüpft iſt. Um ſie zu erreichen bedarf er der Hand
eines Knaben; durch einen Zufall bleibt der Knabe im
Beſitze der Lampe und gewinnt dadurch Macht und
Reichtum. Jm Lichte der Wiſſenſchaft ſtellt ſich die
Sache folgendermaßen: Der Zauberer aus Afrika iſt ein
Mann, welcher Kenntnis der Hieroglyphen beſitzt und
aus einem aufgefundenen Papyros das Geheimnis der
Lampe erfahren hat. Die Fundamental-Frage iſt nun
dieſe: 1. Jſt es möglich, daß es Geiſter giebt, welche
Dinge auszurichten vermögen, die den uns bekannten
Naturgeſetzen ſcheinbar widerſprechen? 2. Jſt es möglich,
daß der Wille dieſer Geiſter an den Beſitz eines ein-
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/70>, abgerufen am 16.02.2025.
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