Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Stäubchen.
Vaters, und ihm, den er gewählt. Jch liebe dich, doch
ich gehe in die Pflicht. Murre du nicht gegen Gottes
Ordnung -- o könnt' ich helfen dir und deinem Leid,
einen Trank dir geben zu vergessen -- um mich sorge
nicht, ich bin stark und kräftig und will leben, und du
bist ein Mann." -- Wie einen letzten Kuß fühlt' er's
brennen auf seinen Lippen -- in der Ferne sah er
einen Reiterzug verschwinden -- es war ihm, als hörte
er nächtliches Weinen -- in tiefem Schmerz stöhnte
er auf. --

Da verlosch der Sonnenstrahl am Fenster, in
welchem das Stäubchen tanzte, er aber stürzte nieder
vor dem Crucifix und griff nach der Geißel, die da-
neben hing, und die Mönche in den Nachbarzellen
sagten: "Der Bruder Kunibert treibt es heftig."

Lenore zuckte mit den Schultern. "Jch weiß nicht,"
sagte sie, "was Sie davon haben, immer solch traurige
Geschichten zu erzählen."

"Jch hatte Jhnen ja gesagt, es ist die Gabe des
Sonnenstäubchens, den Menschen das Jnnerste aufzu-
rühren in der Sehnsucht um das Unerreichbare. Kämpfen
nicht Pflicht und Liebe überall ihren unlöslichen Streit,
und ist's nicht etwas Großes um das Können, die
Bilder des Lebens aufzurollen der durchschauerten
Seele?"

"Das mag wohl über meinen Horizont gehen,"
sagte sie. "Jch finde es sehr unbequem und ungemüt-
lich, immer an Unangenehmes zu erinnern; so etwas
muß man vergessen --"

Stäubchen.
Vaters, und ihm, den er gewählt. Jch liebe dich, doch
ich gehe in die Pflicht. Murre du nicht gegen Gottes
Ordnung — o könnt’ ich helfen dir und deinem Leid,
einen Trank dir geben zu vergeſſen — um mich ſorge
nicht, ich bin ſtark und kräftig und will leben, und du
biſt ein Mann.“ — Wie einen letzten Kuß fühlt’ er’s
brennen auf ſeinen Lippen — in der Ferne ſah er
einen Reiterzug verſchwinden — es war ihm, als hörte
er nächtliches Weinen — in tiefem Schmerz ſtöhnte
er auf. —

Da verloſch der Sonnenſtrahl am Fenſter, in
welchem das Stäubchen tanzte, er aber ſtürzte nieder
vor dem Crucifix und griff nach der Geißel, die da-
neben hing, und die Mönche in den Nachbarzellen
ſagten: „Der Bruder Kunibert treibt es heftig.“

Lenore zuckte mit den Schultern. „Jch weiß nicht,“
ſagte ſie, „was Sie davon haben, immer ſolch traurige
Geſchichten zu erzählen.“

„Jch hatte Jhnen ja geſagt, es iſt die Gabe des
Sonnenſtäubchens, den Menſchen das Jnnerſte aufzu-
rühren in der Sehnſucht um das Unerreichbare. Kämpfen
nicht Pflicht und Liebe überall ihren unlöslichen Streit,
und iſt’s nicht etwas Großes um das Können, die
Bilder des Lebens aufzurollen der durchſchauerten
Seele?“

„Das mag wohl über meinen Horizont gehen,„
ſagte ſie. „Jch finde es ſehr unbequem und ungemüt-
lich, immer an Unangenehmes zu erinnern; ſo etwas
muß man vergeſſen —“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0038" n="32"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Stäubchen.</hi></fw><lb/>
Vaters, und ihm, den er gewählt. Jch liebe dich, doch<lb/>
ich gehe in die Pflicht. Murre du nicht gegen Gottes<lb/>
Ordnung &#x2014; o könnt&#x2019; ich helfen dir und deinem Leid,<lb/>
einen Trank dir geben zu verge&#x017F;&#x017F;en &#x2014; um mich &#x017F;orge<lb/>
nicht, ich bin &#x017F;tark und kräftig und will leben, und du<lb/>
bi&#x017F;t ein Mann.&#x201C; &#x2014; Wie einen letzten Kuß fühlt&#x2019; er&#x2019;s<lb/>
brennen auf &#x017F;einen Lippen &#x2014; in der Ferne &#x017F;ah er<lb/>
einen Reiterzug ver&#x017F;chwinden &#x2014; es war ihm, als hörte<lb/>
er nächtliches Weinen &#x2014; in tiefem Schmerz &#x017F;töhnte<lb/>
er auf. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Da verlo&#x017F;ch der Sonnen&#x017F;trahl am Fen&#x017F;ter, in<lb/>
welchem das Stäubchen tanzte, er aber &#x017F;türzte nieder<lb/>
vor dem Crucifix und griff nach der Geißel, die da-<lb/>
neben hing, und die Mönche in den Nachbarzellen<lb/>
&#x017F;agten: &#x201E;Der Bruder Kunibert treibt es heftig.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Lenore zuckte mit den Schultern. &#x201E;Jch weiß nicht,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte &#x017F;ie, &#x201E;was Sie davon haben, immer &#x017F;olch traurige<lb/>
Ge&#x017F;chichten zu erzählen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jch hatte Jhnen ja ge&#x017F;agt, es i&#x017F;t die Gabe des<lb/>
Sonnen&#x017F;täubchens, den Men&#x017F;chen das Jnner&#x017F;te aufzu-<lb/>
rühren in der Sehn&#x017F;ucht um das Unerreichbare. Kämpfen<lb/>
nicht Pflicht und Liebe überall ihren unlöslichen Streit,<lb/>
und i&#x017F;t&#x2019;s nicht etwas Großes um das Können, die<lb/>
Bilder des Lebens aufzurollen der durch&#x017F;chauerten<lb/>
Seele?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das mag wohl über meinen Horizont gehen,&#x201E;<lb/>
&#x017F;agte &#x017F;ie. &#x201E;Jch finde es &#x017F;ehr unbequem und ungemüt-<lb/>
lich, immer an Unangenehmes zu erinnern; &#x017F;o etwas<lb/>
muß man verge&#x017F;&#x017F;en &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0038] Stäubchen. Vaters, und ihm, den er gewählt. Jch liebe dich, doch ich gehe in die Pflicht. Murre du nicht gegen Gottes Ordnung — o könnt’ ich helfen dir und deinem Leid, einen Trank dir geben zu vergeſſen — um mich ſorge nicht, ich bin ſtark und kräftig und will leben, und du biſt ein Mann.“ — Wie einen letzten Kuß fühlt’ er’s brennen auf ſeinen Lippen — in der Ferne ſah er einen Reiterzug verſchwinden — es war ihm, als hörte er nächtliches Weinen — in tiefem Schmerz ſtöhnte er auf. — Da verloſch der Sonnenſtrahl am Fenſter, in welchem das Stäubchen tanzte, er aber ſtürzte nieder vor dem Crucifix und griff nach der Geißel, die da- neben hing, und die Mönche in den Nachbarzellen ſagten: „Der Bruder Kunibert treibt es heftig.“ Lenore zuckte mit den Schultern. „Jch weiß nicht,“ ſagte ſie, „was Sie davon haben, immer ſolch traurige Geſchichten zu erzählen.“ „Jch hatte Jhnen ja geſagt, es iſt die Gabe des Sonnenſtäubchens, den Menſchen das Jnnerſte aufzu- rühren in der Sehnſucht um das Unerreichbare. Kämpfen nicht Pflicht und Liebe überall ihren unlöslichen Streit, und iſt’s nicht etwas Großes um das Können, die Bilder des Lebens aufzurollen der durchſchauerten Seele?“ „Das mag wohl über meinen Horizont gehen,„ ſagte ſie. „Jch finde es ſehr unbequem und ungemüt- lich, immer an Unangenehmes zu erinnern; ſo etwas muß man vergeſſen —“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/38
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/38>, abgerufen am 04.12.2024.