Auf einmal wurde es hell um ihn am Waldesrand, die Steine funkelten wieder im Sonnenschein, und der Bach machte einen kühnen Sprung darüber. Beim letzten Abprall fühlte sich der Tropfen neu gerundet und schnell entschlossen sprang er zur Seite, bekam glücklich ein Farnkraut zu fassen und barg sich im kühlen Schatten eines großen Felsblocks. Den Stein umspannten die Wurzeln einer alten Fichte, die hier als Waldwärter in die Lüfte ragte.
"Das war Dein Glück, Tröpfchen," sagte das Farn- kraut. "Du kommst hier in eine sehr gebildete Ge- sellschaft."
"Glück? Dummes Zeug!" brummte der Felsblock. "Die Bildung macht's nicht, und wenn ich nicht hier wäre, thätest Du besser, Dein Glück wo anders zu suchen."
"Sie haben überhaupt keine Bildung," sagte die Fichte. "Darin eben liegt's, daß Sie mich nicht ver- stehen. Sie sind nur eine rohe, ungestaltete Masse, ein gewöhnlicher Kalkstein; Sie sind nicht einmal krystal- linisch, und das könnte man doch von Jhnen verlangen. Hätte ich das vor hundert Jahren gewußt, so hätte ich Jhnen niemals meine Wurzel gereicht."
"Man merkt es, daß Sie alt geworden sind," er- widerte der Stein.
"Das ist eben das Schöne an der Bildung, daß sie fortschreitet. Jch habe Figur, ich habe Wurzeln und Stamm und Nadeln, ich habe Tüpfelzellen und einen Kreislauf, ich atme Kohlensäure und ich erzeuge
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Tröpfchen.
Auf einmal wurde es hell um ihn am Waldesrand, die Steine funkelten wieder im Sonnenſchein, und der Bach machte einen kühnen Sprung darüber. Beim letzten Abprall fühlte ſich der Tropfen neu gerundet und ſchnell entſchloſſen ſprang er zur Seite, bekam glücklich ein Farnkraut zu faſſen und barg ſich im kühlen Schatten eines großen Felsblocks. Den Stein umſpannten die Wurzeln einer alten Fichte, die hier als Waldwärter in die Lüfte ragte.
„Das war Dein Glück, Tröpfchen,“ ſagte das Farn- kraut. „Du kommſt hier in eine ſehr gebildete Ge- ſellſchaft.“
„Glück? Dummes Zeug!“ brummte der Felsblock. „Die Bildung macht’s nicht, und wenn ich nicht hier wäre, thäteſt Du beſſer, Dein Glück wo anders zu ſuchen.“
„Sie haben überhaupt keine Bildung,“ ſagte die Fichte. „Darin eben liegt’s, daß Sie mich nicht ver- ſtehen. Sie ſind nur eine rohe, ungeſtaltete Maſſe, ein gewöhnlicher Kalkſtein; Sie ſind nicht einmal kryſtal- liniſch, und das könnte man doch von Jhnen verlangen. Hätte ich das vor hundert Jahren gewußt, ſo hätte ich Jhnen niemals meine Wurzel gereicht.“
„Man merkt es, daß Sie alt geworden ſind,“ er- widerte der Stein.
„Das iſt eben das Schöne an der Bildung, daß ſie fortſchreitet. Jch habe Figur, ich habe Wurzeln und Stamm und Nadeln, ich habe Tüpfelzellen und einen Kreislauf, ich atme Kohlenſäure und ich erzeuge
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Tröpfchen.
Auf einmal wurde es hell um ihn am Waldesrand,
die Steine funkelten wieder im Sonnenſchein, und der
Bach machte einen kühnen Sprung darüber. Beim letzten
Abprall fühlte ſich der Tropfen neu gerundet und ſchnell
entſchloſſen ſprang er zur Seite, bekam glücklich ein
Farnkraut zu faſſen und barg ſich im kühlen Schatten
eines großen Felsblocks. Den Stein umſpannten die
Wurzeln einer alten Fichte, die hier als Waldwärter in
die Lüfte ragte.
„Das war Dein Glück, Tröpfchen,“ ſagte das Farn-
kraut. „Du kommſt hier in eine ſehr gebildete Ge-
ſellſchaft.“
„Glück? Dummes Zeug!“ brummte der Felsblock.
„Die Bildung macht’s nicht, und wenn ich nicht hier
wäre, thäteſt Du beſſer, Dein Glück wo anders zu
ſuchen.“
„Sie haben überhaupt keine Bildung,“ ſagte die
Fichte. „Darin eben liegt’s, daß Sie mich nicht ver-
ſtehen. Sie ſind nur eine rohe, ungeſtaltete Maſſe, ein
gewöhnlicher Kalkſtein; Sie ſind nicht einmal kryſtal-
liniſch, und das könnte man doch von Jhnen verlangen.
Hätte ich das vor hundert Jahren gewußt, ſo hätte ich
Jhnen niemals meine Wurzel gereicht.“
„Man merkt es, daß Sie alt geworden ſind,“ er-
widerte der Stein.
„Das iſt eben das Schöne an der Bildung, daß ſie
fortſchreitet. Jch habe Figur, ich habe Wurzeln und
Stamm und Nadeln, ich habe Tüpfelzellen und einen
Kreislauf, ich atme Kohlenſäure und ich erzeuge
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/217>, abgerufen am 26.06.2024.
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