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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

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Auf der Seifenblase.
du's probieren? Ja? Sieh' dir mal das Ding
an."

Onkel Wendel zog einen kleinen Apparat aus der
Tasche. Jch erkannte einige Glasröhrchen in Metall-
fassung, mit Schrauben und feiner Skala. Er hielt mir
die Röhrchen unter die Nase und begann zu drehen. Jch
fühlte, daß ich etwas Ungewohntes einatmete.

"Ah, wie schön die da ist!" rief mein Knabe wieder,
auf eine neue Seifenblase deutend, die langsam von der
Fensterbrüstung herabschwebte.

"Nun sieh' dir mal die Seifenblase an," sagte Onkel
Wendel und drehte weiter.

Mir schien es, als ob sich die Seifenblase sichtlich
vergrößerte. Jch kam ihr näher und näher. Das Fenster
mit dem Knaben, der Tisch, vor dem wir saßen, die
Bäume des Gartens entfernten sich, wurden immer un-
deutlicher. Nur Onkel Wendel blieb neben mir; sein
Röhrchen hatte er in die Tasche gesteckt. Jetzt war
unsere bisherige Umgebung verschwunden. Wie eine matt-
weiße, riesige Glocke dehnte sich der Himmel über uns,
bis er sich am Horizont verlor. Wir standen auf der
spiegelnden Fläche eines weiten, gefrorenen Sees. Das
Eis war glatt und ohne Spalten; dennoch schien
es in einer leise wallenden Bewegung zu sein. Un-
deutliche Gestalten erhoben sich hie und da über die Fläche.

"Was geht hier vor!" rief ich erschrocken. "Wo sind
wir? Trägt uns auch das Eis?"

"Auf der Seifenblase sind wir," sagte Onkel Wendel
kaltblütig. "Was du für Eis hältst, ist die Oberfläche

Auf der Seifenblaſe.
du’s probieren? Ja? Sieh’ dir mal das Ding
an.“

Onkel Wendel zog einen kleinen Apparat aus der
Taſche. Jch erkannte einige Glasröhrchen in Metall-
faſſung, mit Schrauben und feiner Skala. Er hielt mir
die Röhrchen unter die Naſe und begann zu drehen. Jch
fühlte, daß ich etwas Ungewohntes einatmete.

„Ah, wie ſchön die da iſt!“ rief mein Knabe wieder,
auf eine neue Seifenblaſe deutend, die langſam von der
Fenſterbrüſtung herabſchwebte.

„Nun ſieh’ dir mal die Seifenblaſe an,“ ſagte Onkel
Wendel und drehte weiter.

Mir ſchien es, als ob ſich die Seifenblaſe ſichtlich
vergrößerte. Jch kam ihr näher und näher. Das Fenſter
mit dem Knaben, der Tiſch, vor dem wir ſaßen, die
Bäume des Gartens entfernten ſich, wurden immer un-
deutlicher. Nur Onkel Wendel blieb neben mir; ſein
Röhrchen hatte er in die Taſche geſteckt. Jetzt war
unſere bisherige Umgebung verſchwunden. Wie eine matt-
weiße, rieſige Glocke dehnte ſich der Himmel über uns,
bis er ſich am Horizont verlor. Wir ſtanden auf der
ſpiegelnden Fläche eines weiten, gefrorenen Sees. Das
Eis war glatt und ohne Spalten; dennoch ſchien
es in einer leiſe wallenden Bewegung zu ſein. Un-
deutliche Geſtalten erhoben ſich hie und da über die Fläche.

„Was geht hier vor!“ rief ich erſchrocken. „Wo ſind
wir? Trägt uns auch das Eis?“

„Auf der Seifenblaſe ſind wir,“ ſagte Onkel Wendel
kaltblütig. „Was du für Eis hältſt, iſt die Oberfläche

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[9/0015] Auf der Seifenblaſe. du’s probieren? Ja? Sieh’ dir mal das Ding an.“ Onkel Wendel zog einen kleinen Apparat aus der Taſche. Jch erkannte einige Glasröhrchen in Metall- faſſung, mit Schrauben und feiner Skala. Er hielt mir die Röhrchen unter die Naſe und begann zu drehen. Jch fühlte, daß ich etwas Ungewohntes einatmete. „Ah, wie ſchön die da iſt!“ rief mein Knabe wieder, auf eine neue Seifenblaſe deutend, die langſam von der Fenſterbrüſtung herabſchwebte. „Nun ſieh’ dir mal die Seifenblaſe an,“ ſagte Onkel Wendel und drehte weiter. Mir ſchien es, als ob ſich die Seifenblaſe ſichtlich vergrößerte. Jch kam ihr näher und näher. Das Fenſter mit dem Knaben, der Tiſch, vor dem wir ſaßen, die Bäume des Gartens entfernten ſich, wurden immer un- deutlicher. Nur Onkel Wendel blieb neben mir; ſein Röhrchen hatte er in die Taſche geſteckt. Jetzt war unſere bisherige Umgebung verſchwunden. Wie eine matt- weiße, rieſige Glocke dehnte ſich der Himmel über uns, bis er ſich am Horizont verlor. Wir ſtanden auf der ſpiegelnden Fläche eines weiten, gefrorenen Sees. Das Eis war glatt und ohne Spalten; dennoch ſchien es in einer leiſe wallenden Bewegung zu ſein. Un- deutliche Geſtalten erhoben ſich hie und da über die Fläche. „Was geht hier vor!“ rief ich erſchrocken. „Wo ſind wir? Trägt uns auch das Eis?“ „Auf der Seifenblaſe ſind wir,“ ſagte Onkel Wendel kaltblütig. „Was du für Eis hältſt, iſt die Oberfläche

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/15>, abgerufen am 25.04.2024.