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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

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Musen und Weise.
der Weisheit nennt, der muß doch die Weisen kennen.
Der Mann betrachtete mich aufmerksam.

"Was verstehen Sie überhaupt unter einem Weisen?"
fragte er mich.

"Jch verstehe darunter einen Mann," sagte ich,
"welcher die Welt kennt und in ihr lebt, aber nicht
nach ihr strebt; welcher die Wahrheit sucht, ohne auf
Ruhm zu hoffen; welcher die Menschen liebt und Gutes
wirkt, aber nach Lohn und Dank nicht fragt; welcher
niemand verachtet, weil er anders sei und anders
denke, als er; welcher glücklich ist, weil er frei ist,
milde, weil er gut, und bescheiden, weil er groß ist."

"Sie sagen mir da nichts Neues, lieber Herr," er-
widerte der Philosoph; "diese ethischen Qualitäten,
welche Sie aufzählen, erstreben wir alle in gewissem
Sinne; sie kommen durchaus nicht bloß irgend welchen
hervorragenden Geistern zu. Aber eben darum besagt
Jhre Definition zu viel. Sie werfen das Jdeal eines
Gelehrten und das Jdeal eines Menschen zusammen.
Das mochte zu einer Zeit statthaft sein, als die
griechischen Sophoi lebten, Bildung nur wenig Bevor-
zugten zukam und die ganze Wissenschaft in nichts
anderm bestand, als in ein wenig Lebensweisheit, ver-
quickt allenfalls mit einigen mystischen Spekulationen
a la Pythagoras. Aber heutzutage haben wir Teilung
der Arbeit einerseits, Gleichberechtigung der Menschen
andererseits. Weise sein, in Jhrem Sinne der Lebens-
weisheit, kann ein jeder, ohne gelehrt zu sein, und es
kann jemand sehr gelehrt sein, ohne eine Spur von

Muſen und Weiſe.
der Weisheit nennt, der muß doch die Weiſen kennen.
Der Mann betrachtete mich aufmerkſam.

„Was verſtehen Sie überhaupt unter einem Weiſen?“
fragte er mich.

„Jch verſtehe darunter einen Mann,“ ſagte ich,
„welcher die Welt kennt und in ihr lebt, aber nicht
nach ihr ſtrebt; welcher die Wahrheit ſucht, ohne auf
Ruhm zu hoffen; welcher die Menſchen liebt und Gutes
wirkt, aber nach Lohn und Dank nicht fragt; welcher
niemand verachtet, weil er anders ſei und anders
denke, als er; welcher glücklich iſt, weil er frei iſt,
milde, weil er gut, und beſcheiden, weil er groß iſt.“

„Sie ſagen mir da nichts Neues, lieber Herr,“ er-
widerte der Philoſoph; „dieſe ethiſchen Qualitäten,
welche Sie aufzählen, erſtreben wir alle in gewiſſem
Sinne; ſie kommen durchaus nicht bloß irgend welchen
hervorragenden Geiſtern zu. Aber eben darum beſagt
Jhre Definition zu viel. Sie werfen das Jdeal eines
Gelehrten und das Jdeal eines Menſchen zuſammen.
Das mochte zu einer Zeit ſtatthaft ſein, als die
griechiſchen Sophoi lebten, Bildung nur wenig Bevor-
zugten zukam und die ganze Wiſſenſchaft in nichts
anderm beſtand, als in ein wenig Lebensweisheit, ver-
quickt allenfalls mit einigen myſtiſchen Spekulationen
à la Pythagoras. Aber heutzutage haben wir Teilung
der Arbeit einerſeits, Gleichberechtigung der Menſchen
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kann jemand ſehr gelehrt ſein, ohne eine Spur von

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[130/0136] Muſen und Weiſe. der Weisheit nennt, der muß doch die Weiſen kennen. Der Mann betrachtete mich aufmerkſam. „Was verſtehen Sie überhaupt unter einem Weiſen?“ fragte er mich. „Jch verſtehe darunter einen Mann,“ ſagte ich, „welcher die Welt kennt und in ihr lebt, aber nicht nach ihr ſtrebt; welcher die Wahrheit ſucht, ohne auf Ruhm zu hoffen; welcher die Menſchen liebt und Gutes wirkt, aber nach Lohn und Dank nicht fragt; welcher niemand verachtet, weil er anders ſei und anders denke, als er; welcher glücklich iſt, weil er frei iſt, milde, weil er gut, und beſcheiden, weil er groß iſt.“ „Sie ſagen mir da nichts Neues, lieber Herr,“ er- widerte der Philoſoph; „dieſe ethiſchen Qualitäten, welche Sie aufzählen, erſtreben wir alle in gewiſſem Sinne; ſie kommen durchaus nicht bloß irgend welchen hervorragenden Geiſtern zu. Aber eben darum beſagt Jhre Definition zu viel. Sie werfen das Jdeal eines Gelehrten und das Jdeal eines Menſchen zuſammen. Das mochte zu einer Zeit ſtatthaft ſein, als die griechiſchen Sophoi lebten, Bildung nur wenig Bevor- zugten zukam und die ganze Wiſſenſchaft in nichts anderm beſtand, als in ein wenig Lebensweisheit, ver- quickt allenfalls mit einigen myſtiſchen Spekulationen à la Pythagoras. Aber heutzutage haben wir Teilung der Arbeit einerſeits, Gleichberechtigung der Menſchen andererſeits. Weiſe ſein, in Jhrem Sinne der Lebens- weisheit, kann ein jeder, ohne gelehrt zu ſein, und es kann jemand ſehr gelehrt ſein, ohne eine Spur von

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/136>, abgerufen am 03.05.2024.