Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Musen und Weise.
fuß an ihn, doch Solon, der sich nicht selbst für den
Weisesten hielt, gab ihn einem andern, dieser schickte
ihn wieder weiter, und so kam er denn zuletzt wieder
an mich. Da weihte ich ihn dem Gotte; denn Weisheit
kommt nur den Göttern zu, weshalb sich auch mein
Freund Pythagoras nicht einen Weisen, sondern einen
Philosophen, einen Liebhaber der Weisheit nannte.
Dieser Rundgang des Dreifußes aber zeigte uns, wen
wir zu unserer Zeit für weise hielten: jeden, der den
Dreifuß einmal erhalten. Jch schlage nun vor, ein
Kleinod mit ähnlicher Bestimmung einem der modernen
Menschen zu geben und abzuwarten, an wen dasselbe
kommt."

"Das würde wenig nützen," meinte Pythagoras,
"ich kenne die jetzigen Menschen besser. Lassen wir den
Dreifuß ausgraben, so werden sie die Aufschrift nicht
für ernst nehmen und nicht als giltig für die Gegen-
wart, sondern sie werden sie "historisch" auffassen und
als das aufgefundene Hochzeitsgeschenk des Hephästos
an Pelops oder auch als eine Stiftung des Thales nach
Delphi einem Museum widmen. Wir müssen die Sache
anders anfangen und selbst die Weisen aufsuchen. Wenn
es den Herrschaften gefällt, so benütze ich meine alt-
bekannte Zauberkraft, gehe unter die Menschen und
bringe Jhnen in einem halben Stündchen die sicherste
Auskunft zurück."

"Und womöglich gleich einige Weise!" rief ihm
Terpsichore nach, als Pythagoras schon verschwunden
war.

Muſen und Weiſe.
fuß an ihn, doch Solon, der ſich nicht ſelbſt für den
Weiſeſten hielt, gab ihn einem andern, dieſer ſchickte
ihn wieder weiter, und ſo kam er denn zuletzt wieder
an mich. Da weihte ich ihn dem Gotte; denn Weisheit
kommt nur den Göttern zu, weshalb ſich auch mein
Freund Pythagoras nicht einen Weiſen, ſondern einen
Philoſophen, einen Liebhaber der Weisheit nannte.
Dieſer Rundgang des Dreifußes aber zeigte uns, wen
wir zu unſerer Zeit für weiſe hielten: jeden, der den
Dreifuß einmal erhalten. Jch ſchlage nun vor, ein
Kleinod mit ähnlicher Beſtimmung einem der modernen
Menſchen zu geben und abzuwarten, an wen dasſelbe
kommt.“

„Das würde wenig nützen,“ meinte Pythagoras,
„ich kenne die jetzigen Menſchen beſſer. Laſſen wir den
Dreifuß ausgraben, ſo werden ſie die Aufſchrift nicht
für ernſt nehmen und nicht als giltig für die Gegen-
wart, ſondern ſie werden ſie „hiſtoriſch“ auffaſſen und
als das aufgefundene Hochzeitsgeſchenk des Hephäſtos
an Pelops oder auch als eine Stiftung des Thales nach
Delphi einem Muſeum widmen. Wir müſſen die Sache
anders anfangen und ſelbſt die Weiſen aufſuchen. Wenn
es den Herrſchaften gefällt, ſo benütze ich meine alt-
bekannte Zauberkraft, gehe unter die Menſchen und
bringe Jhnen in einem halben Stündchen die ſicherſte
Auskunft zurück.“

„Und womöglich gleich einige Weiſe!“ rief ihm
Terpſichore nach, als Pythagoras ſchon verſchwunden
war.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0134" n="128"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Mu&#x017F;en und Wei&#x017F;e.</hi></fw><lb/>
fuß an ihn, doch Solon, der &#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t für den<lb/>
Wei&#x017F;e&#x017F;ten hielt, gab ihn einem andern, die&#x017F;er &#x017F;chickte<lb/>
ihn wieder weiter, und &#x017F;o kam er denn zuletzt wieder<lb/>
an mich. Da weihte ich ihn dem Gotte; denn Weisheit<lb/>
kommt nur den Göttern zu, weshalb &#x017F;ich auch mein<lb/>
Freund Pythagoras nicht einen Wei&#x017F;en, &#x017F;ondern einen<lb/>
Philo&#x017F;ophen, einen Liebhaber der Weisheit nannte.<lb/>
Die&#x017F;er Rundgang des Dreifußes aber zeigte uns, wen<lb/>
wir zu un&#x017F;erer Zeit für wei&#x017F;e hielten: jeden, der den<lb/>
Dreifuß einmal erhalten. Jch &#x017F;chlage nun vor, ein<lb/>
Kleinod mit ähnlicher Be&#x017F;timmung einem der modernen<lb/>
Men&#x017F;chen zu geben und abzuwarten, an wen das&#x017F;elbe<lb/>
kommt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das würde wenig nützen,&#x201C; meinte Pythagoras,<lb/>
&#x201E;ich kenne die jetzigen Men&#x017F;chen be&#x017F;&#x017F;er. La&#x017F;&#x017F;en wir den<lb/>
Dreifuß ausgraben, &#x017F;o werden &#x017F;ie die Auf&#x017F;chrift nicht<lb/>
für ern&#x017F;t nehmen und nicht als giltig für die Gegen-<lb/>
wart, &#x017F;ondern &#x017F;ie werden &#x017F;ie &#x201E;hi&#x017F;tori&#x017F;ch&#x201C; auffa&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
als das aufgefundene Hochzeitsge&#x017F;chenk des Hephä&#x017F;tos<lb/>
an Pelops oder auch als eine Stiftung des Thales nach<lb/>
Delphi einem Mu&#x017F;eum widmen. Wir mü&#x017F;&#x017F;en die Sache<lb/>
anders anfangen und &#x017F;elb&#x017F;t die Wei&#x017F;en auf&#x017F;uchen. Wenn<lb/>
es den Herr&#x017F;chaften gefällt, &#x017F;o benütze ich meine alt-<lb/>
bekannte Zauberkraft, gehe unter die Men&#x017F;chen und<lb/>
bringe Jhnen in einem halben Stündchen die &#x017F;icher&#x017F;te<lb/>
Auskunft zurück.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und womöglich gleich einige Wei&#x017F;e!&#x201C; rief ihm<lb/>
Terp&#x017F;ichore nach, als Pythagoras &#x017F;chon ver&#x017F;chwunden<lb/>
war.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0134] Muſen und Weiſe. fuß an ihn, doch Solon, der ſich nicht ſelbſt für den Weiſeſten hielt, gab ihn einem andern, dieſer ſchickte ihn wieder weiter, und ſo kam er denn zuletzt wieder an mich. Da weihte ich ihn dem Gotte; denn Weisheit kommt nur den Göttern zu, weshalb ſich auch mein Freund Pythagoras nicht einen Weiſen, ſondern einen Philoſophen, einen Liebhaber der Weisheit nannte. Dieſer Rundgang des Dreifußes aber zeigte uns, wen wir zu unſerer Zeit für weiſe hielten: jeden, der den Dreifuß einmal erhalten. Jch ſchlage nun vor, ein Kleinod mit ähnlicher Beſtimmung einem der modernen Menſchen zu geben und abzuwarten, an wen dasſelbe kommt.“ „Das würde wenig nützen,“ meinte Pythagoras, „ich kenne die jetzigen Menſchen beſſer. Laſſen wir den Dreifuß ausgraben, ſo werden ſie die Aufſchrift nicht für ernſt nehmen und nicht als giltig für die Gegen- wart, ſondern ſie werden ſie „hiſtoriſch“ auffaſſen und als das aufgefundene Hochzeitsgeſchenk des Hephäſtos an Pelops oder auch als eine Stiftung des Thales nach Delphi einem Muſeum widmen. Wir müſſen die Sache anders anfangen und ſelbſt die Weiſen aufſuchen. Wenn es den Herrſchaften gefällt, ſo benütze ich meine alt- bekannte Zauberkraft, gehe unter die Menſchen und bringe Jhnen in einem halben Stündchen die ſicherſte Auskunft zurück.“ „Und womöglich gleich einige Weiſe!“ rief ihm Terpſichore nach, als Pythagoras ſchon verſchwunden war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/134
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/134>, abgerufen am 04.05.2024.