Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Musen und Weise.
der Töchterschule gelernt, aber das war schon einige
Jahre her, und man kann nicht alles behalten. Selbst
Klio und Urania, welche doch das Seminar besucht und
das Examen gemacht hatten, konnten sich nicht mehr mit
Sicherheit erinnern. Da fiel Klio ein, daß sie einmal
bei Tante Mnemosyne von einem Mnemotechniker
einen Merkspruch gehört hatte, durch den man sich
unweigerlich die Namen der sieben Weisen behalten
mußte. Ja, wenn sie nur den Merkspruch nicht vergessen
hätte! Aber er stand ja in ihrem Notizbuche, da konnte
sie ihn auffinden. Der Spruch lautete folgender-
maßen:

"Solon steht mit einem Fuße auf Chili, mit dem
anderen auf Peru, sieht in ein Thal voll Klee und
trinkt Bitter-Bier."

"Wie geistreich!" sagte Kalliope.

"Ja, ja," bestätigte Polyhymnia, "die Mnemonik
hat Geschmack, das muß man sagen, dafür wurde sie
auch von meinem Liebling Simonides erfunden."

"Aber wie heißen denn nun die sieben Weisen?"
fragte die naive Erato.

"Der erste heißt Solon," sagte Klio.

"So klug bin ich auch! Und der zweite Chili, nicht
wahr?"

"Bewahre, das gehört ja in die neuere Geschichte!
Jch will Jhnen den Spruch erklären, meine Damen.
Chili bedeutet Chilon, Peru Periander, Thal Tha-
les,
Klee Kleobulos und Bitter-Bier Pittakus und
Bias."

Muſen und Weiſe.
der Töchterſchule gelernt, aber das war ſchon einige
Jahre her, und man kann nicht alles behalten. Selbſt
Klio und Urania, welche doch das Seminar beſucht und
das Examen gemacht hatten, konnten ſich nicht mehr mit
Sicherheit erinnern. Da fiel Klio ein, daß ſie einmal
bei Tante Mnemoſyne von einem Mnemotechniker
einen Merkſpruch gehört hatte, durch den man ſich
unweigerlich die Namen der ſieben Weiſen behalten
mußte. Ja, wenn ſie nur den Merkſpruch nicht vergeſſen
hätte! Aber er ſtand ja in ihrem Notizbuche, da konnte
ſie ihn auffinden. Der Spruch lautete folgender-
maßen:

Solon ſteht mit einem Fuße auf Chili, mit dem
anderen auf Peru, ſieht in ein Thal voll Klee und
trinkt Bitter-Bier.

„Wie geiſtreich!“ ſagte Kalliope.

„Ja, ja,“ beſtätigte Polyhymnia, „die Mnemonik
hat Geſchmack, das muß man ſagen, dafür wurde ſie
auch von meinem Liebling Simonides erfunden.“

„Aber wie heißen denn nun die ſieben Weiſen?“
fragte die naive Erato.

„Der erſte heißt Solon,“ ſagte Klio.

„So klug bin ich auch! Und der zweite Chili, nicht
wahr?“

„Bewahre, das gehört ja in die neuere Geſchichte!
Jch will Jhnen den Spruch erklären, meine Damen.
Chili bedeutet Chilon, Peru Periander, Thal Tha-
les,
Klee Kleobulos und Bitter-Bier Pittakus und
Bias.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="121"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Mu&#x017F;en und Wei&#x017F;e.</hi></fw><lb/>
der Töchter&#x017F;chule gelernt, aber das war &#x017F;chon einige<lb/>
Jahre her, und man kann nicht alles behalten. Selb&#x017F;t<lb/>
Klio und Urania, welche doch das Seminar be&#x017F;ucht und<lb/>
das Examen gemacht hatten, konnten &#x017F;ich nicht mehr mit<lb/>
Sicherheit erinnern. Da fiel Klio ein, daß &#x017F;ie einmal<lb/>
bei Tante Mnemo&#x017F;yne von einem Mnemotechniker<lb/>
einen Merk&#x017F;pruch gehört hatte, durch den man &#x017F;ich<lb/>
unweigerlich die Namen der &#x017F;ieben Wei&#x017F;en behalten<lb/>
mußte. Ja, wenn &#x017F;ie nur den Merk&#x017F;pruch nicht verge&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hätte! Aber er &#x017F;tand ja in ihrem Notizbuche, da konnte<lb/>
&#x017F;ie ihn auffinden. Der Spruch lautete folgender-<lb/>
maßen:</p><lb/>
        <p>&#x201E;<hi rendition="#g">Solon</hi> &#x017F;teht mit einem Fuße auf <hi rendition="#g">Chili,</hi> mit dem<lb/>
anderen auf <hi rendition="#g">Peru,</hi> &#x017F;ieht in ein <hi rendition="#g">Thal</hi> voll <hi rendition="#g">Klee</hi> und<lb/>
trinkt <hi rendition="#g">Bitter-Bier.</hi>&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie gei&#x017F;treich!&#x201C; &#x017F;agte Kalliope.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, ja,&#x201C; be&#x017F;tätigte Polyhymnia, &#x201E;die Mnemonik<lb/>
hat Ge&#x017F;chmack, das muß man &#x017F;agen, dafür wurde &#x017F;ie<lb/>
auch von meinem Liebling Simonides erfunden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber wie heißen denn nun die &#x017F;ieben Wei&#x017F;en?&#x201C;<lb/>
fragte die naive Erato.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der er&#x017F;te heißt <hi rendition="#g">Solon,</hi>&#x201C; &#x017F;agte Klio.</p><lb/>
        <p>&#x201E;So klug bin ich auch! Und der zweite Chili, nicht<lb/>
wahr?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bewahre, das gehört ja in die neuere Ge&#x017F;chichte!<lb/>
Jch will Jhnen den Spruch erklären, meine Damen.<lb/>
Chili bedeutet <hi rendition="#g">Chilon,</hi> Peru <hi rendition="#g">Periander,</hi> Thal <hi rendition="#g">Tha-<lb/>
les,</hi> Klee <hi rendition="#g">Kleobulos</hi> und Bitter-Bier <hi rendition="#g">Pittakus</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Bias.</hi>&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0127] Muſen und Weiſe. der Töchterſchule gelernt, aber das war ſchon einige Jahre her, und man kann nicht alles behalten. Selbſt Klio und Urania, welche doch das Seminar beſucht und das Examen gemacht hatten, konnten ſich nicht mehr mit Sicherheit erinnern. Da fiel Klio ein, daß ſie einmal bei Tante Mnemoſyne von einem Mnemotechniker einen Merkſpruch gehört hatte, durch den man ſich unweigerlich die Namen der ſieben Weiſen behalten mußte. Ja, wenn ſie nur den Merkſpruch nicht vergeſſen hätte! Aber er ſtand ja in ihrem Notizbuche, da konnte ſie ihn auffinden. Der Spruch lautete folgender- maßen: „Solon ſteht mit einem Fuße auf Chili, mit dem anderen auf Peru, ſieht in ein Thal voll Klee und trinkt Bitter-Bier.“ „Wie geiſtreich!“ ſagte Kalliope. „Ja, ja,“ beſtätigte Polyhymnia, „die Mnemonik hat Geſchmack, das muß man ſagen, dafür wurde ſie auch von meinem Liebling Simonides erfunden.“ „Aber wie heißen denn nun die ſieben Weiſen?“ fragte die naive Erato. „Der erſte heißt Solon,“ ſagte Klio. „So klug bin ich auch! Und der zweite Chili, nicht wahr?“ „Bewahre, das gehört ja in die neuere Geſchichte! Jch will Jhnen den Spruch erklären, meine Damen. Chili bedeutet Chilon, Peru Periander, Thal Tha- les, Klee Kleobulos und Bitter-Bier Pittakus und Bias.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/127
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/127>, abgerufen am 03.05.2024.