Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Aus dem Tagebuche einer Ameise. zehn Arbeiter sollten bei der nächsten Öffnung desSchrankes den Versuch machen, sich hier hinauszuschleichen. Gelang das Wagnis, so sollten die übrigen es später ebenfalls versuchen. Sie warteten an der passenden Stelle, aber -- als die Thür aufging, wurden sie zu unserm Entsetzen durch die einwärts tretende Kante grausam zermalmt! Wir waren in Verzweiflung. Hoffnungslos untersuchten wir, was in den Schrank gelegt worden, -- neue Papiere -- was nutzten sie uns jetzt? Aber da, ein Päckchen, süß duftend -- wir zernagen das Papier -- eine dunkle, süße Masse -- wir kannten sie nicht, aber sie schmeckte herrlich! Wir waren vorläufig vor dem Hungertode gerettet! Mit erneuter Kraft ging ich an die Übersetzung der Papiere. Der Jnhalt lautet: O rede nicht mir von Verstand und Pflicht! Wer hat der Liebe dunkles Reich ermessen, Wo Wunsch und That sich selber widerspricht? Jch kann es nicht, und will nicht dein vergessen! Um einen Preis nur stand ich still zurück, -- Um deinen Frieden konnt' ich von dir lassen. Doch gönn' ich die Geliebte nur dem Glück, Und was dich elend macht, das muß ich hassen. Ertragen will ich, was dein Wink befiehlt, So lang' dein Lächeln leuchtet durch die Tage; Wenn sich die Thräne dir vom Auge stiehlt, Wie wär' es möglich, daß ich dir entsage? Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. zehn Arbeiter ſollten bei der nächſten Öffnung desSchrankes den Verſuch machen, ſich hier hinauszuſchleichen. Gelang das Wagnis, ſo ſollten die übrigen es ſpäter ebenfalls verſuchen. Sie warteten an der paſſenden Stelle, aber — als die Thür aufging, wurden ſie zu unſerm Entſetzen durch die einwärts tretende Kante grauſam zermalmt! Wir waren in Verzweiflung. Hoffnungslos unterſuchten wir, was in den Schrank gelegt worden, — neue Papiere — was nutzten ſie uns jetzt? Aber da, ein Päckchen, ſüß duftend — wir zernagen das Papier — eine dunkle, ſüße Maſſe — wir kannten ſie nicht, aber ſie ſchmeckte herrlich! Wir waren vorläufig vor dem Hungertode gerettet! Mit erneuter Kraft ging ich an die Überſetzung der Papiere. Der Jnhalt lautet: O rede nicht mir von Verſtand und Pflicht! Wer hat der Liebe dunkles Reich ermeſſen, Wo Wunſch und That ſich ſelber widerſpricht? Jch kann es nicht, und will nicht dein vergeſſen! Um einen Preis nur ſtand ich ſtill zurück, — Um deinen Frieden konnt’ ich von dir laſſen. Doch gönn’ ich die Geliebte nur dem Glück, Und was dich elend macht, das muß ich haſſen. Ertragen will ich, was dein Wink befiehlt, So lang’ dein Lächeln leuchtet durch die Tage; Wenn ſich die Thräne dir vom Auge ſtiehlt, Wie wär’ es möglich, daß ich dir entſage? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0116" n="110"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.</hi></fw><lb/> zehn Arbeiter ſollten bei der nächſten Öffnung des<lb/> Schrankes den Verſuch machen, ſich hier hinauszuſchleichen.<lb/> Gelang das Wagnis, ſo ſollten die übrigen es ſpäter<lb/> ebenfalls verſuchen. Sie warteten an der paſſenden<lb/> Stelle, aber — als die Thür aufging, wurden ſie zu<lb/> unſerm Entſetzen durch die einwärts tretende Kante grauſam<lb/> zermalmt! Wir waren in Verzweiflung. Hoffnungslos<lb/> unterſuchten wir, was in den Schrank gelegt worden, —<lb/> neue Papiere — was nutzten ſie uns jetzt? Aber da,<lb/> ein Päckchen, ſüß duftend — wir zernagen das Papier<lb/> — eine dunkle, ſüße Maſſe — wir kannten ſie nicht,<lb/> aber ſie ſchmeckte herrlich! Wir waren vorläufig vor<lb/> dem Hungertode gerettet! Mit erneuter Kraft ging ich<lb/> an die Überſetzung der Papiere. Der Jnhalt lautet:</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>O rede nicht mir von Verſtand und Pflicht!</l><lb/> <l>Wer hat der Liebe dunkles Reich ermeſſen,</l><lb/> <l>Wo Wunſch und That ſich ſelber widerſpricht?</l><lb/> <l>Jch kann es nicht, und will nicht dein vergeſſen!</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Um <hi rendition="#g">einen</hi> Preis nur ſtand ich ſtill zurück, —</l><lb/> <l>Um <hi rendition="#g">deinen Frieden</hi> konnt’ ich von dir laſſen.</l><lb/> <l>Doch gönn’ ich die Geliebte nur dem Glück,</l><lb/> <l>Und was dich elend macht, das muß ich haſſen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Ertragen will ich, was dein Wink befiehlt,</l><lb/> <l>So lang’ dein Lächeln leuchtet durch die Tage;</l><lb/> <l>Wenn ſich die Thräne dir vom Auge ſtiehlt,</l><lb/> <l>Wie wär’ es möglich, daß ich dir entſage?</l> </lg> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0116]
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
zehn Arbeiter ſollten bei der nächſten Öffnung des
Schrankes den Verſuch machen, ſich hier hinauszuſchleichen.
Gelang das Wagnis, ſo ſollten die übrigen es ſpäter
ebenfalls verſuchen. Sie warteten an der paſſenden
Stelle, aber — als die Thür aufging, wurden ſie zu
unſerm Entſetzen durch die einwärts tretende Kante grauſam
zermalmt! Wir waren in Verzweiflung. Hoffnungslos
unterſuchten wir, was in den Schrank gelegt worden, —
neue Papiere — was nutzten ſie uns jetzt? Aber da,
ein Päckchen, ſüß duftend — wir zernagen das Papier
— eine dunkle, ſüße Maſſe — wir kannten ſie nicht,
aber ſie ſchmeckte herrlich! Wir waren vorläufig vor
dem Hungertode gerettet! Mit erneuter Kraft ging ich
an die Überſetzung der Papiere. Der Jnhalt lautet:
O rede nicht mir von Verſtand und Pflicht!
Wer hat der Liebe dunkles Reich ermeſſen,
Wo Wunſch und That ſich ſelber widerſpricht?
Jch kann es nicht, und will nicht dein vergeſſen!
Um einen Preis nur ſtand ich ſtill zurück, —
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Und was dich elend macht, das muß ich haſſen.
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