stiegen immer neue Gestalten auf, ohne daß jene Bilder- welt an der Kuppel der Wölbung zunahm oder sich überfüllte. Es war nicht möglich zu verfolgen, wie dieser Uebergang in die Höhe sich vollzog, ein leben- diges Abbild des Mysteriums in der Seele des Künstlers.
"Eine symbolische Darstellung des künstlerischen Schaffens", sagte Ell.
"Aber wo kommen diese Gestalten her und wohin gehen sie?"
"Das Ganze beruht auf einer optischen Täuschung, und nach einigen Stunden würde man bemerken, daß dieselben Gruppen wiederkehren. Aber die Jllusion ist vollständig. Nun suchen Sie sich eine dieser Ueber- schriften aus."
Sie umschritten die Galerie. Die äußere Seite war ringsum von schmalen Thüren umgeben, deren Aufschriften die Abteilungen nannten, zu denen man durch jene gelangte. Aber jede Hauptgruppe hatte wieder eine große Zahl Unterabteilungen, die historisch geordnet waren. Da zählte z. B. bei der Malerei die ältere Malerei in der archaistischen Periode, d. h. vor Er- findung der selbstleuchtenden Farben, allein 30 Ab- teilungen, die jede mehrere Jahrhunderte umfaßte; die agrarische Periode zählte aus der Zeit der Handarbeit 315, aus der Zeit der Dampfkraft 56, der Elektrizität 212, der Energiestrahlung 25 Abteilungen. Die neuere Malerei begann erst seit der Erfindung der künstlichen Dar- stellung der Nahrungsmittel. Zwischen beiden lag eine Periode des Verfalls, die man den dreitausendjährigen sozialen Krieg nannte. Es war dies eine jetzt etwa
Das heimliche Frühſtück.
ſtiegen immer neue Geſtalten auf, ohne daß jene Bilder- welt an der Kuppel der Wölbung zunahm oder ſich überfüllte. Es war nicht möglich zu verfolgen, wie dieſer Uebergang in die Höhe ſich vollzog, ein leben- diges Abbild des Myſteriums in der Seele des Künſtlers.
„Eine ſymboliſche Darſtellung des künſtleriſchen Schaffens‟, ſagte Ell.
„Aber wo kommen dieſe Geſtalten her und wohin gehen ſie?‟
„Das Ganze beruht auf einer optiſchen Täuſchung, und nach einigen Stunden würde man bemerken, daß dieſelben Gruppen wiederkehren. Aber die Jlluſion iſt vollſtändig. Nun ſuchen Sie ſich eine dieſer Ueber- ſchriften aus.‟
Sie umſchritten die Galerie. Die äußere Seite war ringsum von ſchmalen Thüren umgeben, deren Aufſchriften die Abteilungen nannten, zu denen man durch jene gelangte. Aber jede Hauptgruppe hatte wieder eine große Zahl Unterabteilungen, die hiſtoriſch geordnet waren. Da zählte z. B. bei der Malerei die ältere Malerei in der archaiſtiſchen Periode, d. h. vor Er- findung der ſelbſtleuchtenden Farben, allein 30 Ab- teilungen, die jede mehrere Jahrhunderte umfaßte; die agrariſche Periode zählte aus der Zeit der Handarbeit 315, aus der Zeit der Dampfkraft 56, der Elektrizität 212, der Energieſtrahlung 25 Abteilungen. Die neuere Malerei begann erſt ſeit der Erfindung der künſtlichen Dar- ſtellung der Nahrungsmittel. Zwiſchen beiden lag eine Periode des Verfalls, die man den dreitauſendjährigen ſozialen Krieg nannte. Es war dies eine jetzt etwa
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0045"n="37"/><fwplace="top"type="header">Das heimliche Frühſtück.</fw><lb/>ſtiegen immer neue Geſtalten auf, ohne daß jene Bilder-<lb/>
welt an der Kuppel der Wölbung zunahm oder ſich<lb/>
überfüllte. Es war nicht möglich zu verfolgen, wie<lb/>
dieſer Uebergang in die Höhe ſich vollzog, ein leben-<lb/>
diges Abbild des Myſteriums in der Seele des Künſtlers.</p><lb/><p>„Eine ſymboliſche Darſtellung des künſtleriſchen<lb/>
Schaffens‟, ſagte Ell.</p><lb/><p>„Aber wo kommen dieſe Geſtalten her und wohin<lb/>
gehen ſie?‟</p><lb/><p>„Das Ganze beruht auf einer optiſchen Täuſchung,<lb/>
und nach einigen Stunden würde man bemerken, daß<lb/>
dieſelben Gruppen wiederkehren. Aber die Jlluſion<lb/>
iſt vollſtändig. Nun ſuchen Sie ſich eine dieſer Ueber-<lb/>ſchriften aus.‟</p><lb/><p>Sie umſchritten die Galerie. Die äußere Seite<lb/>
war ringsum von ſchmalen Thüren umgeben, deren<lb/>
Aufſchriften die Abteilungen nannten, zu denen man<lb/>
durch jene gelangte. Aber jede Hauptgruppe hatte<lb/>
wieder eine große Zahl Unterabteilungen, die hiſtoriſch<lb/>
geordnet waren. Da zählte z. B. bei der Malerei die<lb/>
ältere Malerei in der archaiſtiſchen Periode, d. h. vor Er-<lb/>
findung der ſelbſtleuchtenden Farben, allein 30 Ab-<lb/>
teilungen, die jede mehrere Jahrhunderte umfaßte; die<lb/>
agrariſche Periode zählte aus der Zeit der Handarbeit 315,<lb/>
aus der Zeit der Dampfkraft 56, der Elektrizität 212, der<lb/>
Energieſtrahlung 25 Abteilungen. Die neuere Malerei<lb/>
begann erſt ſeit der Erfindung der künſtlichen Dar-<lb/>ſtellung der Nahrungsmittel. Zwiſchen beiden lag eine<lb/>
Periode des Verfalls, die man den dreitauſendjährigen<lb/>ſozialen Krieg nannte. Es war dies eine jetzt etwa<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[37/0045]
Das heimliche Frühſtück.
ſtiegen immer neue Geſtalten auf, ohne daß jene Bilder-
welt an der Kuppel der Wölbung zunahm oder ſich
überfüllte. Es war nicht möglich zu verfolgen, wie
dieſer Uebergang in die Höhe ſich vollzog, ein leben-
diges Abbild des Myſteriums in der Seele des Künſtlers.
„Eine ſymboliſche Darſtellung des künſtleriſchen
Schaffens‟, ſagte Ell.
„Aber wo kommen dieſe Geſtalten her und wohin
gehen ſie?‟
„Das Ganze beruht auf einer optiſchen Täuſchung,
und nach einigen Stunden würde man bemerken, daß
dieſelben Gruppen wiederkehren. Aber die Jlluſion
iſt vollſtändig. Nun ſuchen Sie ſich eine dieſer Ueber-
ſchriften aus.‟
Sie umſchritten die Galerie. Die äußere Seite
war ringsum von ſchmalen Thüren umgeben, deren
Aufſchriften die Abteilungen nannten, zu denen man
durch jene gelangte. Aber jede Hauptgruppe hatte
wieder eine große Zahl Unterabteilungen, die hiſtoriſch
geordnet waren. Da zählte z. B. bei der Malerei die
ältere Malerei in der archaiſtiſchen Periode, d. h. vor Er-
findung der ſelbſtleuchtenden Farben, allein 30 Ab-
teilungen, die jede mehrere Jahrhunderte umfaßte; die
agrariſche Periode zählte aus der Zeit der Handarbeit 315,
aus der Zeit der Dampfkraft 56, der Elektrizität 212, der
Energieſtrahlung 25 Abteilungen. Die neuere Malerei
begann erſt ſeit der Erfindung der künſtlichen Dar-
ſtellung der Nahrungsmittel. Zwiſchen beiden lag eine
Periode des Verfalls, die man den dreitauſendjährigen
ſozialen Krieg nannte. Es war dies eine jetzt etwa
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/45>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.