Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897.

Bild:
<< vorherige Seite

Jm Erdgewitter.
"Komm, wir wollen uns auf diese Bank setzen -- der
Regen rieselt noch immer im Gebirge -- bis die Wasser
von dem Wege sich ein wenig verlaufen haben, und
Du wirst mir beichten, was Du darfst, oder wenigstens,
was Du vorhast; denn ich ahne wohl, was Du fühlst,
aber das Ganze, Ungeheure, was Du zu wollen scheinst,
vermag ich nicht zu begreifen."

"Du vermagst es wohl nicht zu begreifen", sprach
La mit kaum hörbarer Stimme, indem sie Se folgte.
"So hab' ich auch oft zu mir gesagt, und wer ver-
möcht' es wohl, der es nicht erlebt? Aber nun weiß
ich, daß es so sein muß. Glaube nicht, ich hätte ver-
gessen, daß ich eine Nume bin. Jch habe gekämpft um
meine Freiheit, um meine Würde, und mit bittern
Thränen hab' ich sie mir errungen, glaubt' ich sie mir
errungen mit jenem Abschiedskusse in Sei. Ein Mars-
jahr ist dahingegangen seitdem, zweimal hat die Erde
ihren Sonnenlauf vollbracht, aber frage nicht, wie ich
die Zeit durchlebte! -- -- Jch habe mich aufgerieben
in diesem nutzlosen Kampfe. Jch hatte ja nicht ge-
siegt, ich war geflohen vor mir selbst. Freiheit und
Würde hatte ich nicht gewonnen in meiner Seele, nur
Weltraum und Sonne, die trennenden Mächte der
Planeten, hielten mich in dem leeren Scheine, daß der
Nu meine Heimat und ich eine Nume sei. So lebt'
ich, mich selbst betrügend und verzehrend, bis der
Morgenstern wieder leuchtete. Da trieb es mich her.
Würde des Numen! Jst sie noch Würde, wenn sie
erhalten wird durch den äußeren Zwang? Nein, Se,
es wurde mir klar, Würde wie Freiheit wiedergewinnen

Jm Erdgewitter.
„Komm, wir wollen uns auf dieſe Bank ſetzen — der
Regen rieſelt noch immer im Gebirge — bis die Waſſer
von dem Wege ſich ein wenig verlaufen haben, und
Du wirſt mir beichten, was Du darfſt, oder wenigſtens,
was Du vorhaſt; denn ich ahne wohl, was Du fühlſt,
aber das Ganze, Ungeheure, was Du zu wollen ſcheinſt,
vermag ich nicht zu begreifen.‟

„Du vermagſt es wohl nicht zu begreifen‟, ſprach
La mit kaum hörbarer Stimme, indem ſie Se folgte.
„So hab’ ich auch oft zu mir geſagt, und wer ver-
möcht’ es wohl, der es nicht erlebt? Aber nun weiß
ich, daß es ſo ſein muß. Glaube nicht, ich hätte ver-
geſſen, daß ich eine Nume bin. Jch habe gekämpft um
meine Freiheit, um meine Würde, und mit bittern
Thränen hab’ ich ſie mir errungen, glaubt’ ich ſie mir
errungen mit jenem Abſchiedskuſſe in Sei. Ein Mars-
jahr iſt dahingegangen ſeitdem, zweimal hat die Erde
ihren Sonnenlauf vollbracht, aber frage nicht, wie ich
die Zeit durchlebte! — — Jch habe mich aufgerieben
in dieſem nutzloſen Kampfe. Jch hatte ja nicht ge-
ſiegt, ich war geflohen vor mir ſelbſt. Freiheit und
Würde hatte ich nicht gewonnen in meiner Seele, nur
Weltraum und Sonne, die trennenden Mächte der
Planeten, hielten mich in dem leeren Scheine, daß der
Nu meine Heimat und ich eine Nume ſei. So lebt’
ich, mich ſelbſt betrügend und verzehrend, bis der
Morgenſtern wieder leuchtete. Da trieb es mich her.
Würde des Numen! Jſt ſie noch Würde, wenn ſie
erhalten wird durch den äußeren Zwang? Nein, Se,
es wurde mir klar, Würde wie Freiheit wiedergewinnen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0415" n="407"/><fw place="top" type="header">Jm Erdgewitter.</fw><lb/>
&#x201E;Komm, wir wollen uns auf die&#x017F;e Bank &#x017F;etzen &#x2014; der<lb/>
Regen rie&#x017F;elt noch immer im Gebirge &#x2014; bis die Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
von dem Wege &#x017F;ich ein wenig verlaufen haben, und<lb/>
Du wir&#x017F;t mir beichten, was Du darf&#x017F;t, oder wenig&#x017F;tens,<lb/>
was Du vorha&#x017F;t; denn ich ahne wohl, was Du fühl&#x017F;t,<lb/>
aber das Ganze, Ungeheure, was Du zu wollen &#x017F;chein&#x017F;t,<lb/>
vermag ich nicht zu begreifen.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Du vermag&#x017F;t es wohl nicht zu begreifen&#x201F;, &#x017F;prach<lb/>
La mit kaum hörbarer Stimme, indem &#x017F;ie Se folgte.<lb/>
&#x201E;So hab&#x2019; ich auch oft zu mir ge&#x017F;agt, und wer ver-<lb/>
möcht&#x2019; es wohl, der es nicht erlebt? Aber nun weiß<lb/>
ich, daß es &#x017F;o &#x017F;ein muß. Glaube nicht, ich hätte ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en, daß ich eine Nume bin. Jch habe gekämpft um<lb/>
meine Freiheit, um meine Würde, und mit bittern<lb/>
Thränen hab&#x2019; ich &#x017F;ie mir errungen, glaubt&#x2019; ich &#x017F;ie mir<lb/>
errungen mit jenem Ab&#x017F;chiedsku&#x017F;&#x017F;e in Sei. Ein Mars-<lb/>
jahr i&#x017F;t dahingegangen &#x017F;eitdem, zweimal hat die Erde<lb/>
ihren Sonnenlauf vollbracht, aber frage nicht, wie ich<lb/>
die Zeit durchlebte! &#x2014; &#x2014; Jch habe mich aufgerieben<lb/>
in die&#x017F;em nutzlo&#x017F;en Kampfe. Jch hatte ja nicht ge-<lb/>
&#x017F;iegt, ich war geflohen vor mir &#x017F;elb&#x017F;t. Freiheit und<lb/>
Würde hatte ich nicht gewonnen in meiner Seele, nur<lb/>
Weltraum und Sonne, die trennenden Mächte der<lb/>
Planeten, hielten mich in dem leeren Scheine, daß der<lb/>
Nu meine Heimat und ich eine Nume &#x017F;ei. So lebt&#x2019;<lb/>
ich, mich &#x017F;elb&#x017F;t betrügend und verzehrend, bis der<lb/>
Morgen&#x017F;tern wieder leuchtete. Da trieb es mich her.<lb/>
Würde des Numen! J&#x017F;t &#x017F;ie noch Würde, wenn &#x017F;ie<lb/>
erhalten wird durch den äußeren Zwang? Nein, Se,<lb/>
es wurde mir klar, Würde wie Freiheit wiedergewinnen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[407/0415] Jm Erdgewitter. „Komm, wir wollen uns auf dieſe Bank ſetzen — der Regen rieſelt noch immer im Gebirge — bis die Waſſer von dem Wege ſich ein wenig verlaufen haben, und Du wirſt mir beichten, was Du darfſt, oder wenigſtens, was Du vorhaſt; denn ich ahne wohl, was Du fühlſt, aber das Ganze, Ungeheure, was Du zu wollen ſcheinſt, vermag ich nicht zu begreifen.‟ „Du vermagſt es wohl nicht zu begreifen‟, ſprach La mit kaum hörbarer Stimme, indem ſie Se folgte. „So hab’ ich auch oft zu mir geſagt, und wer ver- möcht’ es wohl, der es nicht erlebt? Aber nun weiß ich, daß es ſo ſein muß. Glaube nicht, ich hätte ver- geſſen, daß ich eine Nume bin. Jch habe gekämpft um meine Freiheit, um meine Würde, und mit bittern Thränen hab’ ich ſie mir errungen, glaubt’ ich ſie mir errungen mit jenem Abſchiedskuſſe in Sei. Ein Mars- jahr iſt dahingegangen ſeitdem, zweimal hat die Erde ihren Sonnenlauf vollbracht, aber frage nicht, wie ich die Zeit durchlebte! — — Jch habe mich aufgerieben in dieſem nutzloſen Kampfe. Jch hatte ja nicht ge- ſiegt, ich war geflohen vor mir ſelbſt. Freiheit und Würde hatte ich nicht gewonnen in meiner Seele, nur Weltraum und Sonne, die trennenden Mächte der Planeten, hielten mich in dem leeren Scheine, daß der Nu meine Heimat und ich eine Nume ſei. So lebt’ ich, mich ſelbſt betrügend und verzehrend, bis der Morgenſtern wieder leuchtete. Da trieb es mich her. Würde des Numen! Jſt ſie noch Würde, wenn ſie erhalten wird durch den äußeren Zwang? Nein, Se, es wurde mir klar, Würde wie Freiheit wiedergewinnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/415
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/415>, abgerufen am 22.11.2024.