löscht. Geräuschlos hob es sich senkrecht in die Höhe. Die Stadt lag im Schlummer, niemand bemerkte den dunkeln Körper, der in wenigen Augenblicken in der Dämmerung entschwunden war.
Ell saß stumm in seinen Pelz gehüllt und blickte durch die Robscheiben dem schnell emporsteigenden Frührot entgegen.
"Ein neuer Tag", sagte er leise, "wirklich ein Tag! Jch fliege! O heiliger Nu!"
Aber sie, Jsma, was würde sie sagen? Er vergaß seine Umgebung. Das Herz krampfte sich ihm schmerz- haft zusammen. Wie sollte er ihr das Schreckliche mitteilen? Da ihm alles geglückt, da seine höchste Sehnsucht erfüllt, seine Heimat wiedergefunden war, da sollte ihr das Lebensglück entrissen werden? Er suchte sich in ihre Seele zu versetzen und vermochte es nicht. Er trauerte um den Freund, und inniges Mit- gefühl mit der Freundin drängte die Thränen in sein Auge. Er sah sie die schmalen Hände ringen, er sah, wie ihre großen dunkelblauen Augen starr wurden. Er hätte sein Leben dafür gegeben, diesen Schmerz ihr abzunehmen, ihr den Verlorenen zu retten und wiederzubringen. Es war aussichtslos. Was vermochte er für sie zu thun? Und in allem Schmerze konnte er es nicht hindern, daß es wie eine leise Hoffnung ihn durchzog, ob es ihm nicht möglich sei, ihr das entschwundene Glück zu ersetzen. Er drängte den Ge- danken zurück. Er dachte an seine nahen, großen Aufgaben. Aber die nächste war ja doch -- sie zu benachrichtigen.
Zweiundzwanzigſtes Kapitel.
löſcht. Geräuſchlos hob es ſich ſenkrecht in die Höhe. Die Stadt lag im Schlummer, niemand bemerkte den dunkeln Körper, der in wenigen Augenblicken in der Dämmerung entſchwunden war.
Ell ſaß ſtumm in ſeinen Pelz gehüllt und blickte durch die Robſcheiben dem ſchnell emporſteigenden Frührot entgegen.
„Ein neuer Tag‟, ſagte er leiſe, „wirklich ein Tag! Jch fliege! O heiliger Nu!‟
Aber ſie, Jsma, was würde ſie ſagen? Er vergaß ſeine Umgebung. Das Herz krampfte ſich ihm ſchmerz- haft zuſammen. Wie ſollte er ihr das Schreckliche mitteilen? Da ihm alles geglückt, da ſeine höchſte Sehnſucht erfüllt, ſeine Heimat wiedergefunden war, da ſollte ihr das Lebensglück entriſſen werden? Er ſuchte ſich in ihre Seele zu verſetzen und vermochte es nicht. Er trauerte um den Freund, und inniges Mit- gefühl mit der Freundin drängte die Thränen in ſein Auge. Er ſah ſie die ſchmalen Hände ringen, er ſah, wie ihre großen dunkelblauen Augen ſtarr wurden. Er hätte ſein Leben dafür gegeben, dieſen Schmerz ihr abzunehmen, ihr den Verlorenen zu retten und wiederzubringen. Es war ausſichtslos. Was vermochte er für ſie zu thun? Und in allem Schmerze konnte er es nicht hindern, daß es wie eine leiſe Hoffnung ihn durchzog, ob es ihm nicht möglich ſei, ihr das entſchwundene Glück zu erſetzen. Er drängte den Ge- danken zurück. Er dachte an ſeine nahen, großen Aufgaben. Aber die nächſte war ja doch — ſie zu benachrichtigen.
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Zweiundzwanzigſtes Kapitel.
löſcht. Geräuſchlos hob es ſich ſenkrecht in die Höhe.
Die Stadt lag im Schlummer, niemand bemerkte den
dunkeln Körper, der in wenigen Augenblicken in der
Dämmerung entſchwunden war.
Ell ſaß ſtumm in ſeinen Pelz gehüllt und blickte
durch die Robſcheiben dem ſchnell emporſteigenden
Frührot entgegen.
„Ein neuer Tag‟, ſagte er leiſe, „wirklich ein
Tag! Jch fliege! O heiliger Nu!‟
Aber ſie, Jsma, was würde ſie ſagen? Er vergaß
ſeine Umgebung. Das Herz krampfte ſich ihm ſchmerz-
haft zuſammen. Wie ſollte er ihr das Schreckliche
mitteilen? Da ihm alles geglückt, da ſeine höchſte
Sehnſucht erfüllt, ſeine Heimat wiedergefunden war,
da ſollte ihr das Lebensglück entriſſen werden? Er
ſuchte ſich in ihre Seele zu verſetzen und vermochte es
nicht. Er trauerte um den Freund, und inniges Mit-
gefühl mit der Freundin drängte die Thränen in ſein
Auge. Er ſah ſie die ſchmalen Hände ringen, er ſah,
wie ihre großen dunkelblauen Augen ſtarr wurden.
Er hätte ſein Leben dafür gegeben, dieſen Schmerz
ihr abzunehmen, ihr den Verlorenen zu retten und
wiederzubringen. Es war ausſichtslos. Was vermochte
er für ſie zu thun? Und in allem Schmerze konnte
er es nicht hindern, daß es wie eine leiſe Hoffnung
ihn durchzog, ob es ihm nicht möglich ſei, ihr das
entſchwundene Glück zu erſetzen. Er drängte den Ge-
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897/358>, abgerufen am 24.11.2024.
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