Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünfzehntes Kapitel.
helle Lichtpunkte den Untergang der Sonne für die
Schneegipfel des Tianschan und des Altai.

Jn tiefem Schweigen standen die Deutschen, völlig
versunken in den Anblick, der noch keinem Menschen-
auge bisher vergönnt gewesen war. Noch niemals
war es ihnen so klar zum Bewußtsein gekommen, was
es heißt, im Weltraum auf dem Körnchen hingewir-
belt zu werden, das man Erde nennt; noch niemals
hatten sie den Himmel unter sich erblickt. Die Martier
ehrten ihre Stimmung. Auch sie, denen die Wunder
des Weltraums vertraut waren, verstummten vor der
Gegenwart des Unendlichen. Die machtvollen Be-
wohner des Mars und die schwachen Geschöpfe der
Erde, im Gefühle des Erhabenen beugten sich ihre
Herzen in gleicher Demut der Allmacht, die durch die
Himmel waltet. Aus der Stille des Alls sprach die
Stimme des einen Vaters zu seinen Kindern und
füllte ihre Seelen mit andächtigem Vertrauen.

La hatte Saltners Hand ergriffen, sanft lehnte sie
sich an seine Schulter und mit der Rechten auf den
hellsten der Sterne weisend, der unterhalb des Hori-
zonts des Poles leuchtete, sagte sie leise:

"Dort ist meine Heimat."

Saltner zog sie an sich und sprach:

"Und dort meine Erde, ist sie nicht schön?"

Grunthe holte sein Relieffernrohr hervor und trat
dicht an den inneren Rand der Galerie, welcher den
Blick auf den Nordpol gestattete. Auch ihn hatte die
Erinnerung an die so greifbar nahe vor ihm ausge-
breiteten und doch so unerreichbaren fernen Lande

Fünfzehntes Kapitel.
helle Lichtpunkte den Untergang der Sonne für die
Schneegipfel des Tianſchan und des Altai.

Jn tiefem Schweigen ſtanden die Deutſchen, völlig
verſunken in den Anblick, der noch keinem Menſchen-
auge bisher vergönnt geweſen war. Noch niemals
war es ihnen ſo klar zum Bewußtſein gekommen, was
es heißt, im Weltraum auf dem Körnchen hingewir-
belt zu werden, das man Erde nennt; noch niemals
hatten ſie den Himmel unter ſich erblickt. Die Martier
ehrten ihre Stimmung. Auch ſie, denen die Wunder
des Weltraums vertraut waren, verſtummten vor der
Gegenwart des Unendlichen. Die machtvollen Be-
wohner des Mars und die ſchwachen Geſchöpfe der
Erde, im Gefühle des Erhabenen beugten ſich ihre
Herzen in gleicher Demut der Allmacht, die durch die
Himmel waltet. Aus der Stille des Alls ſprach die
Stimme des einen Vaters zu ſeinen Kindern und
füllte ihre Seelen mit andächtigem Vertrauen.

La hatte Saltners Hand ergriffen, ſanft lehnte ſie
ſich an ſeine Schulter und mit der Rechten auf den
hellſten der Sterne weiſend, der unterhalb des Hori-
zonts des Poles leuchtete, ſagte ſie leiſe:

„Dort iſt meine Heimat.‟

Saltner zog ſie an ſich und ſprach:

„Und dort meine Erde, iſt ſie nicht ſchön?‟

Grunthe holte ſein Relieffernrohr hervor und trat
dicht an den inneren Rand der Galerie, welcher den
Blick auf den Nordpol geſtattete. Auch ihn hatte die
Erinnerung an die ſo greifbar nahe vor ihm ausge-
breiteten und doch ſo unerreichbaren fernen Lande

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0240" n="232"/><fw place="top" type="header">Fünfzehntes Kapitel.</fw><lb/>
helle Lichtpunkte den Untergang der Sonne für die<lb/>
Schneegipfel des Tian&#x017F;chan und des Altai.</p><lb/>
          <p>Jn tiefem Schweigen &#x017F;tanden die Deut&#x017F;chen, völlig<lb/>
ver&#x017F;unken in den Anblick, der noch keinem Men&#x017F;chen-<lb/>
auge bisher vergönnt gewe&#x017F;en war. Noch niemals<lb/>
war es ihnen &#x017F;o klar zum Bewußt&#x017F;ein gekommen, was<lb/>
es heißt, im Weltraum auf dem Körnchen hingewir-<lb/>
belt zu werden, das man Erde nennt; noch niemals<lb/>
hatten &#x017F;ie den Himmel unter &#x017F;ich erblickt. Die Martier<lb/>
ehrten ihre Stimmung. Auch &#x017F;ie, denen die Wunder<lb/>
des Weltraums vertraut waren, ver&#x017F;tummten vor der<lb/>
Gegenwart des Unendlichen. Die machtvollen Be-<lb/>
wohner des Mars und die &#x017F;chwachen Ge&#x017F;chöpfe der<lb/>
Erde, im Gefühle des Erhabenen beugten &#x017F;ich ihre<lb/>
Herzen in gleicher Demut der Allmacht, die durch die<lb/>
Himmel waltet. Aus der Stille des Alls &#x017F;prach die<lb/>
Stimme des einen Vaters zu &#x017F;einen Kindern und<lb/>
füllte ihre Seelen mit andächtigem Vertrauen.</p><lb/>
          <p>La hatte Saltners Hand ergriffen, &#x017F;anft lehnte &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich an &#x017F;eine Schulter und mit der Rechten auf den<lb/>
hell&#x017F;ten der Sterne wei&#x017F;end, der unterhalb des Hori-<lb/>
zonts des Poles leuchtete, &#x017F;agte &#x017F;ie lei&#x017F;e:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Dort i&#x017F;t meine Heimat.&#x201F;</p><lb/>
          <p>Saltner zog &#x017F;ie an &#x017F;ich und &#x017F;prach:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und dort meine Erde, i&#x017F;t &#x017F;ie nicht &#x017F;chön?&#x201F;</p><lb/>
          <p>Grunthe holte &#x017F;ein Relieffernrohr hervor und trat<lb/>
dicht an den inneren Rand der Galerie, welcher den<lb/>
Blick auf den Nordpol ge&#x017F;tattete. Auch ihn hatte die<lb/>
Erinnerung an die &#x017F;o greifbar nahe vor ihm ausge-<lb/>
breiteten und doch &#x017F;o unerreichbaren fernen Lande<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0240] Fünfzehntes Kapitel. helle Lichtpunkte den Untergang der Sonne für die Schneegipfel des Tianſchan und des Altai. Jn tiefem Schweigen ſtanden die Deutſchen, völlig verſunken in den Anblick, der noch keinem Menſchen- auge bisher vergönnt geweſen war. Noch niemals war es ihnen ſo klar zum Bewußtſein gekommen, was es heißt, im Weltraum auf dem Körnchen hingewir- belt zu werden, das man Erde nennt; noch niemals hatten ſie den Himmel unter ſich erblickt. Die Martier ehrten ihre Stimmung. Auch ſie, denen die Wunder des Weltraums vertraut waren, verſtummten vor der Gegenwart des Unendlichen. Die machtvollen Be- wohner des Mars und die ſchwachen Geſchöpfe der Erde, im Gefühle des Erhabenen beugten ſich ihre Herzen in gleicher Demut der Allmacht, die durch die Himmel waltet. Aus der Stille des Alls ſprach die Stimme des einen Vaters zu ſeinen Kindern und füllte ihre Seelen mit andächtigem Vertrauen. La hatte Saltners Hand ergriffen, ſanft lehnte ſie ſich an ſeine Schulter und mit der Rechten auf den hellſten der Sterne weiſend, der unterhalb des Hori- zonts des Poles leuchtete, ſagte ſie leiſe: „Dort iſt meine Heimat.‟ Saltner zog ſie an ſich und ſprach: „Und dort meine Erde, iſt ſie nicht ſchön?‟ Grunthe holte ſein Relieffernrohr hervor und trat dicht an den inneren Rand der Galerie, welcher den Blick auf den Nordpol geſtattete. Auch ihn hatte die Erinnerung an die ſo greifbar nahe vor ihm ausge- breiteten und doch ſo unerreichbaren fernen Lande

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897/240
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897/240>, abgerufen am 05.05.2024.