Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Erkenntnis durch Kausalität.
ermöglicht eine Einsicht in den Zusammenhang und die Ein-
wirkung der Einzeldinge, sie erfordert eine bestimmte Wirkung
auf eine bestimmte Ursache und gestattet aus dem Eintreffen
oder Ausbleiben der erwarteten Wirkung auf die Richtigkeit
der Erklärungsweise zu schließen oder die Voraussetzungen
zu korrigieren. Demnach eröffnet sie der Erfahrung und ins-
besondere dem Experiment jenen Einfluß, welcher die Umwäl-
zung der Wissenschaften in der Neuzeit nicht zum wenigsten
hervorgerufen hat. Wir sind daher gewohnt, nur in der kau-
salen Erklärungsweise das Zeichen einer wissenschaftlichen
Behandlung zu sehen. Und in der That führt erst die Er-
kenntnis des Kausalzusammenhangs durch die theoretische Be-
gründung zu einer praktischen Beherrschung der Natur. Die
Theorie vermag ihre innere Wahrheit und Berechtigung nur
nachzuweisen, indem sie bis zum einzelnen Ereignis herabsteigt
und den Einzelverlauf der Erscheinung gesetzlich garantiert, so
daß keine Unbestimmtheit über die Wirkung des Allgemeinen
mehr statthat. Das Gesetz der allgemeinen Gravitation gälte
uns als keine wissenschaftliche Entdeckung, wenn es nur die
Bahnen der Planeten als geschlossene Kurven oder die Rich-
tung des fallenden Steines nach der Erde hin erschließen
ließe; es hat seine Berechtigung in der Individualisierung, der
es zugänglich ist, so daß die genaue Lage des Weltkörpers zu
gegebener Zeit, die Geschwindigkeit des Steines im gegebenen
Momente bestimmt werden kann. Inwieweit die Anwendbarkeit
der Mathematik hierbei eine Rolle spielt, ist eine andre Frage.
Es handelt sich jetzt nur darum zu betonen, daß allein die Kau-
salität als Grundgesetz gestattet, bis in den Einzelverlauf der
individuellen Ereignisse zu dringen, und thatsächliche, beob-
achtbare Wirklichkeit im gesetzlichen Zusammenhange erkennen
lehrt. Dagegen birgt die kausale Erklärungsweise die Gefahr in
sich, daß die Wissenschaft zu sehr im einzelnen sich verliere
und den Forscher nur in den individuellen Dingen die Realität
suchen läßt. Sie leitet zu einer atomistischen und mechani-
schen Weltansicht, bei welcher die Dinge sich äußerlich
stoßen und drängen und der innere und allgemeine Zusammen-
hang verloren geht. Eine solche atomistisch-mechanische Er-
klärungsweise hat aber nur in einzelnen Wissensgebieten ihre
Berechtigung, sie ist nicht mehr anwendbar in denjenigen

Erkenntnis durch Kausalität.
ermöglicht eine Einsicht in den Zusammenhang und die Ein-
wirkung der Einzeldinge, sie erfordert eine bestimmte Wirkung
auf eine bestimmte Ursache und gestattet aus dem Eintreffen
oder Ausbleiben der erwarteten Wirkung auf die Richtigkeit
der Erklärungsweise zu schließen oder die Voraussetzungen
zu korrigieren. Demnach eröffnet sie der Erfahrung und ins-
besondere dem Experiment jenen Einfluß, welcher die Umwäl-
zung der Wissenschaften in der Neuzeit nicht zum wenigsten
hervorgerufen hat. Wir sind daher gewohnt, nur in der kau-
salen Erklärungsweise das Zeichen einer wissenschaftlichen
Behandlung zu sehen. Und in der That führt erst die Er-
kenntnis des Kausalzusammenhangs durch die theoretische Be-
gründung zu einer praktischen Beherrschung der Natur. Die
Theorie vermag ihre innere Wahrheit und Berechtigung nur
nachzuweisen, indem sie bis zum einzelnen Ereignis herabsteigt
und den Einzelverlauf der Erscheinung gesetzlich garantiert, so
daß keine Unbestimmtheit über die Wirkung des Allgemeinen
mehr statthat. Das Gesetz der allgemeinen Gravitation gälte
uns als keine wissenschaftliche Entdeckung, wenn es nur die
Bahnen der Planeten als geschlossene Kurven oder die Rich-
tung des fallenden Steines nach der Erde hin erschließen
ließe; es hat seine Berechtigung in der Individualisierung, der
es zugänglich ist, so daß die genaue Lage des Weltkörpers zu
gegebener Zeit, die Geschwindigkeit des Steines im gegebenen
Momente bestimmt werden kann. Inwieweit die Anwendbarkeit
der Mathematik hierbei eine Rolle spielt, ist eine andre Frage.
Es handelt sich jetzt nur darum zu betonen, daß allein die Kau-
salität als Grundgesetz gestattet, bis in den Einzelverlauf der
individuellen Ereignisse zu dringen, und thatsächliche, beob-
achtbare Wirklichkeit im gesetzlichen Zusammenhange erkennen
lehrt. Dagegen birgt die kausale Erklärungsweise die Gefahr in
sich, daß die Wissenschaft zu sehr im einzelnen sich verliere
und den Forscher nur in den individuellen Dingen die Realität
suchen läßt. Sie leitet zu einer atomistischen und mechani-
schen Weltansicht, bei welcher die Dinge sich äußerlich
stoßen und drängen und der innere und allgemeine Zusammen-
hang verloren geht. Eine solche atomistisch-mechanische Er-
klärungsweise hat aber nur in einzelnen Wissensgebieten ihre
Berechtigung, sie ist nicht mehr anwendbar in denjenigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0063" n="45"/><fw place="top" type="header">Erkenntnis durch Kausalität.</fw><lb/>
ermöglicht eine Einsicht in den Zusammenhang und die Ein-<lb/>
wirkung der Einzeldinge, sie erfordert eine bestimmte Wirkung<lb/>
auf eine bestimmte Ursache und gestattet aus dem Eintreffen<lb/>
oder Ausbleiben der erwarteten Wirkung auf die Richtigkeit<lb/>
der Erklärungsweise zu schließen oder die Voraussetzungen<lb/>
zu korrigieren. Demnach eröffnet sie der Erfahrung und ins-<lb/>
besondere dem Experiment jenen Einfluß, welcher die Umwäl-<lb/>
zung der Wissenschaften in der Neuzeit nicht zum wenigsten<lb/>
hervorgerufen hat. Wir sind daher gewohnt, nur in der kau-<lb/>
salen Erklärungsweise das Zeichen einer wissenschaftlichen<lb/>
Behandlung zu sehen. Und in der That führt erst die Er-<lb/>
kenntnis des Kausalzusammenhangs durch die theoretische Be-<lb/>
gründung zu einer praktischen Beherrschung der Natur. Die<lb/>
Theorie vermag ihre innere Wahrheit und Berechtigung nur<lb/>
nachzuweisen, indem sie bis zum einzelnen Ereignis herabsteigt<lb/>
und den Einzelverlauf der Erscheinung gesetzlich garantiert, so<lb/>
daß keine Unbestimmtheit über die Wirkung des Allgemeinen<lb/>
mehr statthat. Das Gesetz der allgemeinen Gravitation gälte<lb/>
uns als keine wissenschaftliche Entdeckung, wenn es nur die<lb/>
Bahnen der Planeten als geschlossene Kurven oder die Rich-<lb/>
tung des fallenden Steines nach der Erde hin erschließen<lb/>
ließe; es hat seine Berechtigung in der Individualisierung, der<lb/>
es zugänglich ist, so daß die genaue Lage des Weltkörpers zu<lb/>
gegebener Zeit, die Geschwindigkeit des Steines im gegebenen<lb/>
Momente bestimmt werden kann. Inwieweit die Anwendbarkeit<lb/>
der Mathematik hierbei eine Rolle spielt, ist eine andre Frage.<lb/>
Es handelt sich jetzt nur darum zu betonen, daß allein die Kau-<lb/>
salität als Grundgesetz gestattet, bis in den Einzelverlauf der<lb/>
individuellen Ereignisse zu dringen, und thatsächliche, beob-<lb/>
achtbare Wirklichkeit im gesetzlichen Zusammenhange erkennen<lb/>
lehrt. Dagegen birgt die kausale Erklärungsweise die Gefahr in<lb/>
sich, daß die Wissenschaft zu sehr im einzelnen sich verliere<lb/>
und den Forscher nur in den individuellen Dingen die Realität<lb/>
suchen läßt. Sie leitet zu einer atomistischen und mechani-<lb/>
schen Weltansicht, bei welcher die Dinge sich äußerlich<lb/>
stoßen und drängen und der innere und allgemeine Zusammen-<lb/>
hang verloren geht. Eine solche atomistisch-mechanische Er-<lb/>
klärungsweise hat aber nur in einzelnen Wissensgebieten ihre<lb/>
Berechtigung, sie ist nicht mehr anwendbar in denjenigen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0063] Erkenntnis durch Kausalität. ermöglicht eine Einsicht in den Zusammenhang und die Ein- wirkung der Einzeldinge, sie erfordert eine bestimmte Wirkung auf eine bestimmte Ursache und gestattet aus dem Eintreffen oder Ausbleiben der erwarteten Wirkung auf die Richtigkeit der Erklärungsweise zu schließen oder die Voraussetzungen zu korrigieren. Demnach eröffnet sie der Erfahrung und ins- besondere dem Experiment jenen Einfluß, welcher die Umwäl- zung der Wissenschaften in der Neuzeit nicht zum wenigsten hervorgerufen hat. Wir sind daher gewohnt, nur in der kau- salen Erklärungsweise das Zeichen einer wissenschaftlichen Behandlung zu sehen. Und in der That führt erst die Er- kenntnis des Kausalzusammenhangs durch die theoretische Be- gründung zu einer praktischen Beherrschung der Natur. Die Theorie vermag ihre innere Wahrheit und Berechtigung nur nachzuweisen, indem sie bis zum einzelnen Ereignis herabsteigt und den Einzelverlauf der Erscheinung gesetzlich garantiert, so daß keine Unbestimmtheit über die Wirkung des Allgemeinen mehr statthat. Das Gesetz der allgemeinen Gravitation gälte uns als keine wissenschaftliche Entdeckung, wenn es nur die Bahnen der Planeten als geschlossene Kurven oder die Rich- tung des fallenden Steines nach der Erde hin erschließen ließe; es hat seine Berechtigung in der Individualisierung, der es zugänglich ist, so daß die genaue Lage des Weltkörpers zu gegebener Zeit, die Geschwindigkeit des Steines im gegebenen Momente bestimmt werden kann. Inwieweit die Anwendbarkeit der Mathematik hierbei eine Rolle spielt, ist eine andre Frage. Es handelt sich jetzt nur darum zu betonen, daß allein die Kau- salität als Grundgesetz gestattet, bis in den Einzelverlauf der individuellen Ereignisse zu dringen, und thatsächliche, beob- achtbare Wirklichkeit im gesetzlichen Zusammenhange erkennen lehrt. Dagegen birgt die kausale Erklärungsweise die Gefahr in sich, daß die Wissenschaft zu sehr im einzelnen sich verliere und den Forscher nur in den individuellen Dingen die Realität suchen läßt. Sie leitet zu einer atomistischen und mechani- schen Weltansicht, bei welcher die Dinge sich äußerlich stoßen und drängen und der innere und allgemeine Zusammen- hang verloren geht. Eine solche atomistisch-mechanische Er- klärungsweise hat aber nur in einzelnen Wissensgebieten ihre Berechtigung, sie ist nicht mehr anwendbar in denjenigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/63
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/63>, abgerufen am 22.11.2024.