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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Denkmittel als Einheitsbeziehungen.
Wissenschaft treten hauptsächlich zwei solcher Grundgesetze
der Relation hervor, auf denen die Möglickeit einer Welt-
erklärung zu beruhen scheint; es sind die Substanzialität
und die Kausalität. Das Nachdenken findet die Dinge einer-
seits als einen Komplex von Eigenschaften, welche einen be-
harrenden Zusammenhang aufzeigen und damit die Identität
des Dinges erkennen lassen; es findet sie andrerseits in einer
gegenseitigen Beeinflussung, wodurch sie Veränderungen ihres
Zustandes erleiden, somit eine Wirkungsfähigkeit besitzen. Die
erste Thatsache führt auf den Begriff der Substanz und Inhä-
renz, die zweite auf den Begriff der Ursache und Wirkung.

Die Erkenntniskritik entdeckt in diesen Gesetzen der Zu-
sammenordnung Verfahrungsweisen des Bewußtseins, durch
welche es Einheitsbeziehungen in der Fülle des Erlebnisses
herstellt, synthetische Grundsätze, welche Bedingungen zur
Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind. Sie erkennt damit
die Grenzen, innerhalb deren diese Funktionen des Bewußtseins
ausreichen, Erkenntnis zu erzeugen, und weiß, daß sie inner-
halb dieser Grenzen der Erfahrung wirkliche Gesetze der Er-
scheinungen, Garantien ihrer Objektivität sind. Wir nennen
diese Einheitsbeziehungen Denkmittel, nicht im logischen
oder psychologischen Sinne, sondern um Verbindungsarten der
sinnlichen Data zu objektiven Einheiten zu bezeichnen. Die
Erkenntniskritik lehrt, daß die Anwendbarkeit dieser Denk-
mittel Grenzen findet und die Fülle des Erlebnisses nicht
erschöpft, sondern -- unter Beihilfe weiterer Denkmittel --
nur die eine Seite des vollen Gemütslebens in derjenigen
systematischen Form darzustellen gestattet, welche Wissen-
schaft
heißt.

Bevor aber die erkenntniskritische Analyse den Charakter
des Seins enthüllte, welcher durch die verschiedenen Einheits-
beziehungen des Bewußtseins dem unmittelbaren Erlebnisse
zukommt, galten Substanzialität und Kausalität für Gesetze des
Seienden ohne Einschränkung.

Das Denkmittel der Substanzialität beherrscht die gesamte
Metaphysik, insoweit sie vom Gedankenkreise Platons abhängig
ist; das Denkmittel der Kausalität hat in der modernen
Wissenschaft seine Triumphe gefeiert.

Die kausale Erfassung und Erklärung der Erscheinungen

Denkmittel als Einheitsbeziehungen.
Wissenschaft treten hauptsächlich zwei solcher Grundgesetze
der Relation hervor, auf denen die Möglickeit einer Welt-
erklärung zu beruhen scheint; es sind die Substanzialität
und die Kausalität. Das Nachdenken findet die Dinge einer-
seits als einen Komplex von Eigenschaften, welche einen be-
harrenden Zusammenhang aufzeigen und damit die Identität
des Dinges erkennen lassen; es findet sie andrerseits in einer
gegenseitigen Beeinflussung, wodurch sie Veränderungen ihres
Zustandes erleiden, somit eine Wirkungsfähigkeit besitzen. Die
erste Thatsache führt auf den Begriff der Substanz und Inhä-
renz, die zweite auf den Begriff der Ursache und Wirkung.

Die Erkenntniskritik entdeckt in diesen Gesetzen der Zu-
sammenordnung Verfahrungsweisen des Bewußtseins, durch
welche es Einheitsbeziehungen in der Fülle des Erlebnisses
herstellt, synthetische Grundsätze, welche Bedingungen zur
Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind. Sie erkennt damit
die Grenzen, innerhalb deren diese Funktionen des Bewußtseins
ausreichen, Erkenntnis zu erzeugen, und weiß, daß sie inner-
halb dieser Grenzen der Erfahrung wirkliche Gesetze der Er-
scheinungen, Garantien ihrer Objektivität sind. Wir nennen
diese Einheitsbeziehungen Denkmittel, nicht im logischen
oder psychologischen Sinne, sondern um Verbindungsarten der
sinnlichen Data zu objektiven Einheiten zu bezeichnen. Die
Erkenntniskritik lehrt, daß die Anwendbarkeit dieser Denk-
mittel Grenzen findet und die Fülle des Erlebnisses nicht
erschöpft, sondern — unter Beihilfe weiterer Denkmittel —
nur die eine Seite des vollen Gemütslebens in derjenigen
systematischen Form darzustellen gestattet, welche Wissen-
schaft
heißt.

Bevor aber die erkenntniskritische Analyse den Charakter
des Seins enthüllte, welcher durch die verschiedenen Einheits-
beziehungen des Bewußtseins dem unmittelbaren Erlebnisse
zukommt, galten Substanzialität und Kausalität für Gesetze des
Seienden ohne Einschränkung.

Das Denkmittel der Substanzialität beherrscht die gesamte
Metaphysik, insoweit sie vom Gedankenkreise Platons abhängig
ist; das Denkmittel der Kausalität hat in der modernen
Wissenschaft seine Triumphe gefeiert.

Die kausale Erfassung und Erklärung der Erscheinungen

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[44/0062] Denkmittel als Einheitsbeziehungen. Wissenschaft treten hauptsächlich zwei solcher Grundgesetze der Relation hervor, auf denen die Möglickeit einer Welt- erklärung zu beruhen scheint; es sind die Substanzialität und die Kausalität. Das Nachdenken findet die Dinge einer- seits als einen Komplex von Eigenschaften, welche einen be- harrenden Zusammenhang aufzeigen und damit die Identität des Dinges erkennen lassen; es findet sie andrerseits in einer gegenseitigen Beeinflussung, wodurch sie Veränderungen ihres Zustandes erleiden, somit eine Wirkungsfähigkeit besitzen. Die erste Thatsache führt auf den Begriff der Substanz und Inhä- renz, die zweite auf den Begriff der Ursache und Wirkung. Die Erkenntniskritik entdeckt in diesen Gesetzen der Zu- sammenordnung Verfahrungsweisen des Bewußtseins, durch welche es Einheitsbeziehungen in der Fülle des Erlebnisses herstellt, synthetische Grundsätze, welche Bedingungen zur Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind. Sie erkennt damit die Grenzen, innerhalb deren diese Funktionen des Bewußtseins ausreichen, Erkenntnis zu erzeugen, und weiß, daß sie inner- halb dieser Grenzen der Erfahrung wirkliche Gesetze der Er- scheinungen, Garantien ihrer Objektivität sind. Wir nennen diese Einheitsbeziehungen Denkmittel, nicht im logischen oder psychologischen Sinne, sondern um Verbindungsarten der sinnlichen Data zu objektiven Einheiten zu bezeichnen. Die Erkenntniskritik lehrt, daß die Anwendbarkeit dieser Denk- mittel Grenzen findet und die Fülle des Erlebnisses nicht erschöpft, sondern — unter Beihilfe weiterer Denkmittel — nur die eine Seite des vollen Gemütslebens in derjenigen systematischen Form darzustellen gestattet, welche Wissen- schaft heißt. Bevor aber die erkenntniskritische Analyse den Charakter des Seins enthüllte, welcher durch die verschiedenen Einheits- beziehungen des Bewußtseins dem unmittelbaren Erlebnisse zukommt, galten Substanzialität und Kausalität für Gesetze des Seienden ohne Einschränkung. Das Denkmittel der Substanzialität beherrscht die gesamte Metaphysik, insoweit sie vom Gedankenkreise Platons abhängig ist; das Denkmittel der Kausalität hat in der modernen Wissenschaft seine Triumphe gefeiert. Die kausale Erfassung und Erklärung der Erscheinungen

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/62>, abgerufen am 22.11.2024.