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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Erigena: Geometrischer und physischer Körper.
da er ohne die Wesenheit nicht wirklich entstehen könnte,
während dagegen die Wesenheit, um zu bestehen, keineswegs
eines Körpers bedarf, da sie ja durch sich selbst besteht."1

Jetzt läßt sich die Konstitution des Körpers erkennen.
Die zufälligen Bestimmungen (Accidentien) der Quantität (nach
Breite, Höhe, Länge) treten mit denjenigen der Qualität zu-
sammen und liefern dadurch den Stoff des Körpers, wie er in
den Elementen gegeben ist; die Form des Körpers, durch
welchen er essentiellen Bestand hat, wird dagegen durch die
Wesenheit geliefert.2 Die Vereinigung von Wärme und Trocken-
heit bildet das Feuer, die Vereinigung von Wärme und Feuchte
die Luft, die Vereinigung von Feuchte und Kälte das Wasser,
die Vereinigung von Kälte und Trockenheit die Erde. Aber
diese Qualitäten für sich machen noch keinen sinnlich wahr-
nehmbaren Körper aus; ein solcher kommt erst dadurch zu-
stande, daß ein neues Accidens aus der Kategorie der Quan-
tität,
eine Größenbestimmtheit, hinzutritt. Realität als sin-
licher, physikalischer Körper erhält jedoch diese Vereinigung
von Qualität und Quantität nicht aus diesen Kategorien, son-
dern durch die Beteiligung dieser Kategorien an derjenigen
der Wesenheit (Essentia, auch Substanz); Eigenschaft und Größe
haben ihren Bestand erst an der Wesenheit. Erst durch die
Vereinigung der intelligiblen Begriffe kann das Sinnlich-Räum-
liche, was wir Körper nennen, entstehen. Darum besteht die
ganze Welt aus Rein-Geistigem und kann sich wieder in dieses
ohne Rest auflösen. Zwar die Accidentien selbst bleiben ewig
unverändert, aber die sinnliche Welt, in welcher wir leben,
ist für uns als Sinnenwesen nur von Bestand, insofern sie an
die Wesenheit unsres Geistes als Zustand geknüpft ist. "Wir
sind
unsre eigene Wesenheit (Substanz), welche lebenskräftig
und denkend ist und den Körper und alle Sinne, sowie jede
sichtbare Form derselben überragt. Unser ist, ohne daß er
doch wir selber wäre, unser Leib, der an uns haftet, zusammen-
gesetzt aus zufälligen Bestimmungen der Größe, der Qualität
und andren; und dieser ist sinnlich, veränderlich, auflösbar,
vergänglich." "Um uns endlich ist alles Sinnenfällige, das uns
zu Gebote steht, wie z. B. die vier Grundstoffe dieser Welt

1 I, 53. p. 29. Noack S. 76.
2 I, 54. p. 30, 31.

Erigena: Geometrischer und physischer Körper.
da er ohne die Wesenheit nicht wirklich entstehen könnte,
während dagegen die Wesenheit, um zu bestehen, keineswegs
eines Körpers bedarf, da sie ja durch sich selbst besteht.‟1

Jetzt läßt sich die Konstitution des Körpers erkennen.
Die zufälligen Bestimmungen (Accidentien) der Quantität (nach
Breite, Höhe, Länge) treten mit denjenigen der Qualität zu-
sammen und liefern dadurch den Stoff des Körpers, wie er in
den Elementen gegeben ist; die Form des Körpers, durch
welchen er essentiellen Bestand hat, wird dagegen durch die
Wesenheit geliefert.2 Die Vereinigung von Wärme und Trocken-
heit bildet das Feuer, die Vereinigung von Wärme und Feuchte
die Luft, die Vereinigung von Feuchte und Kälte das Wasser,
die Vereinigung von Kälte und Trockenheit die Erde. Aber
diese Qualitäten für sich machen noch keinen sinnlich wahr-
nehmbaren Körper aus; ein solcher kommt erst dadurch zu-
stande, daß ein neues Accidens aus der Kategorie der Quan-
tität,
eine Größenbestimmtheit, hinzutritt. Realität als sin-
licher, physikalischer Körper erhält jedoch diese Vereinigung
von Qualität und Quantität nicht aus diesen Kategorien, son-
dern durch die Beteiligung dieser Kategorien an derjenigen
der Wesenheit (Essentia, auch Substanz); Eigenschaft und Größe
haben ihren Bestand erst an der Wesenheit. Erst durch die
Vereinigung der intelligiblen Begriffe kann das Sinnlich-Räum-
liche, was wir Körper nennen, entstehen. Darum besteht die
ganze Welt aus Rein-Geistigem und kann sich wieder in dieses
ohne Rest auflösen. Zwar die Accidentien selbst bleiben ewig
unverändert, aber die sinnliche Welt, in welcher wir leben,
ist für uns als Sinnenwesen nur von Bestand, insofern sie an
die Wesenheit unsres Geistes als Zustand geknüpft ist. „Wir
sind
unsre eigene Wesenheit (Substanz), welche lebenskräftig
und denkend ist und den Körper und alle Sinne, sowie jede
sichtbare Form derselben überragt. Unser ist, ohne daß er
doch wir selber wäre, unser Leib, der an uns haftet, zusammen-
gesetzt aus zufälligen Bestimmungen der Größe, der Qualität
und andren; und dieser ist sinnlich, veränderlich, auflösbar,
vergänglich.‟ „Um uns endlich ist alles Sinnenfällige, das uns
zu Gebote steht, wie z. B. die vier Grundstoffe dieser Welt

1 I, 53. p. 29. Noack S. 76.
2 I, 54. p. 30, 31.
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[42/0060] Erigena: Geometrischer und physischer Körper. da er ohne die Wesenheit nicht wirklich entstehen könnte, während dagegen die Wesenheit, um zu bestehen, keineswegs eines Körpers bedarf, da sie ja durch sich selbst besteht.‟ 1 Jetzt läßt sich die Konstitution des Körpers erkennen. Die zufälligen Bestimmungen (Accidentien) der Quantität (nach Breite, Höhe, Länge) treten mit denjenigen der Qualität zu- sammen und liefern dadurch den Stoff des Körpers, wie er in den Elementen gegeben ist; die Form des Körpers, durch welchen er essentiellen Bestand hat, wird dagegen durch die Wesenheit geliefert. 2 Die Vereinigung von Wärme und Trocken- heit bildet das Feuer, die Vereinigung von Wärme und Feuchte die Luft, die Vereinigung von Feuchte und Kälte das Wasser, die Vereinigung von Kälte und Trockenheit die Erde. Aber diese Qualitäten für sich machen noch keinen sinnlich wahr- nehmbaren Körper aus; ein solcher kommt erst dadurch zu- stande, daß ein neues Accidens aus der Kategorie der Quan- tität, eine Größenbestimmtheit, hinzutritt. Realität als sin- licher, physikalischer Körper erhält jedoch diese Vereinigung von Qualität und Quantität nicht aus diesen Kategorien, son- dern durch die Beteiligung dieser Kategorien an derjenigen der Wesenheit (Essentia, auch Substanz); Eigenschaft und Größe haben ihren Bestand erst an der Wesenheit. Erst durch die Vereinigung der intelligiblen Begriffe kann das Sinnlich-Räum- liche, was wir Körper nennen, entstehen. Darum besteht die ganze Welt aus Rein-Geistigem und kann sich wieder in dieses ohne Rest auflösen. Zwar die Accidentien selbst bleiben ewig unverändert, aber die sinnliche Welt, in welcher wir leben, ist für uns als Sinnenwesen nur von Bestand, insofern sie an die Wesenheit unsres Geistes als Zustand geknüpft ist. „Wir sind unsre eigene Wesenheit (Substanz), welche lebenskräftig und denkend ist und den Körper und alle Sinne, sowie jede sichtbare Form derselben überragt. Unser ist, ohne daß er doch wir selber wäre, unser Leib, der an uns haftet, zusammen- gesetzt aus zufälligen Bestimmungen der Größe, der Qualität und andren; und dieser ist sinnlich, veränderlich, auflösbar, vergänglich.‟ „Um uns endlich ist alles Sinnenfällige, das uns zu Gebote steht, wie z. B. die vier Grundstoffe dieser Welt 1 I, 53. p. 29. Noack S. 76. 2 I, 54. p. 30, 31.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/60>, abgerufen am 23.11.2024.