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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Die neuen Probleme der Korpuskulartheorie.
änderung in der Körperwelt erzeugen? Was ist das verbin-
dende oder treibende Agens? Gibt es ein solches? Oder
kann das substanzielle Korpuskel selbst als variabel gedacht
werden? Wie sind kausale Wirkungen unter den Substanzen
möglich? Mit andern Worten: Wodurch ist die Bewegung der
Atome gesetzlich bestimmt und gewährleistet?

Es sind die Fragen, wie die Realität und wie die Kausa-
lität mit der Substanzialität der Korpuskeln zu verbinden sind,
und beide sind nur lösbar mit Hilfe eines neuen Denkmittels,
der Variabilität, welches den Begriff der kontinuierlichen Ver-
änderung selbst zu fassen und dadurch dem Wechsel der Em-
pfindung die rationale Unterlage, dem Flusse der Erscheinung
den Halt des Gedankens zu geben vermag. Die antike Ato-
mistik war an diesen Fragen gescheitert; die erneute Korpus-
kularphysik wird sie zu lösen haben.

Vorläufig freilich ist die Bedeutung dieser Probleme von
den im Voranstehenden erwähnten Denkern noch nicht erkannt.
Nur Bruno hatte sich dem Problem genähert und die Grund-
frage nach dem Unterschied zwischen dem geometrischen und
physischen Körper wenigstens bearbeitet. Gegenüber seinen
Grundbestimmungen bleibt die Korpuskulartheorie vorläufig
zurück, weil das physikalische Interesse zunächst so vorwiegt,
daß nur der Gesichtspunkt praktisch-empirischer Verwendung
in Betracht kommt. Die ersten Erneuerer der Korpuskular-
theorie begnügen sich damit, die Korpuskeln als qualitativ
verschiedene Grundsubstanzen einfach vorauszusetzen; die ein-
zelnen Teile des Raumes sind durch sinnliche Qualitäten von-
einander verschieden und dadurch als Körper abgegrenzt.
Daher bedarf es zur Trennung der Atome keines leeren Raumes;
und da das Atom sinnliche Qualitäten hat, so entsteht gar
nicht die Frage, was das räumliche Korpuskel vom Leeren
unterscheidet, was den Körper zum Körper macht. Zwar wird
die zweite Frage, wie die Korpuskeln untereinander zu ver-
binden sind, damit sie den sinnlichen Körper ausmachen, der
Erörterung unterzogen, aber auch hier zeigen die Beantwor-
tungsversuche, daß die innere Schwierigkeit und der Kern-
punkt des Problems nicht erfaßt ist. So lange man nicht er-
kennt, daß die von qualitativen Korpuskeln freien Räume auf
keinen Fall wieder als Körper behandelt werden dürfen, so

Die neuen Probleme der Korpuskulartheorie.
änderung in der Körperwelt erzeugen? Was ist das verbin-
dende oder treibende Agens? Gibt es ein solches? Oder
kann das substanzielle Korpuskel selbst als variabel gedacht
werden? Wie sind kausale Wirkungen unter den Substanzen
möglich? Mit andern Worten: Wodurch ist die Bewegung der
Atome gesetzlich bestimmt und gewährleistet?

Es sind die Fragen, wie die Realität und wie die Kausa-
lität mit der Substanzialität der Korpuskeln zu verbinden sind,
und beide sind nur lösbar mit Hilfe eines neuen Denkmittels,
der Variabilität, welches den Begriff der kontinuierlichen Ver-
änderung selbst zu fassen und dadurch dem Wechsel der Em-
pfindung die rationale Unterlage, dem Flusse der Erscheinung
den Halt des Gedankens zu geben vermag. Die antike Ato-
mistik war an diesen Fragen gescheitert; die erneute Korpus-
kularphysik wird sie zu lösen haben.

Vorläufig freilich ist die Bedeutung dieser Probleme von
den im Voranstehenden erwähnten Denkern noch nicht erkannt.
Nur Bruno hatte sich dem Problem genähert und die Grund-
frage nach dem Unterschied zwischen dem geometrischen und
physischen Körper wenigstens bearbeitet. Gegenüber seinen
Grundbestimmungen bleibt die Korpuskulartheorie vorläufig
zurück, weil das physikalische Interesse zunächst so vorwiegt,
daß nur der Gesichtspunkt praktisch-empirischer Verwendung
in Betracht kommt. Die ersten Erneuerer der Korpuskular-
theorie begnügen sich damit, die Korpuskeln als qualitativ
verschiedene Grundsubstanzen einfach vorauszusetzen; die ein-
zelnen Teile des Raumes sind durch sinnliche Qualitäten von-
einander verschieden und dadurch als Körper abgegrenzt.
Daher bedarf es zur Trennung der Atome keines leeren Raumes;
und da das Atom sinnliche Qualitäten hat, so entsteht gar
nicht die Frage, was das räumliche Korpuskel vom Leeren
unterscheidet, was den Körper zum Körper macht. Zwar wird
die zweite Frage, wie die Korpuskeln untereinander zu ver-
binden sind, damit sie den sinnlichen Körper ausmachen, der
Erörterung unterzogen, aber auch hier zeigen die Beantwor-
tungsversuche, daß die innere Schwierigkeit und der Kern-
punkt des Problems nicht erfaßt ist. So lange man nicht er-
kennt, daß die von qualitativen Korpuskeln freien Räume auf
keinen Fall wieder als Körper behandelt werden dürfen, so

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[516/0534] Die neuen Probleme der Korpuskulartheorie. änderung in der Körperwelt erzeugen? Was ist das verbin- dende oder treibende Agens? Gibt es ein solches? Oder kann das substanzielle Korpuskel selbst als variabel gedacht werden? Wie sind kausale Wirkungen unter den Substanzen möglich? Mit andern Worten: Wodurch ist die Bewegung der Atome gesetzlich bestimmt und gewährleistet? Es sind die Fragen, wie die Realität und wie die Kausa- lität mit der Substanzialität der Korpuskeln zu verbinden sind, und beide sind nur lösbar mit Hilfe eines neuen Denkmittels, der Variabilität, welches den Begriff der kontinuierlichen Ver- änderung selbst zu fassen und dadurch dem Wechsel der Em- pfindung die rationale Unterlage, dem Flusse der Erscheinung den Halt des Gedankens zu geben vermag. Die antike Ato- mistik war an diesen Fragen gescheitert; die erneute Korpus- kularphysik wird sie zu lösen haben. Vorläufig freilich ist die Bedeutung dieser Probleme von den im Voranstehenden erwähnten Denkern noch nicht erkannt. Nur Bruno hatte sich dem Problem genähert und die Grund- frage nach dem Unterschied zwischen dem geometrischen und physischen Körper wenigstens bearbeitet. Gegenüber seinen Grundbestimmungen bleibt die Korpuskulartheorie vorläufig zurück, weil das physikalische Interesse zunächst so vorwiegt, daß nur der Gesichtspunkt praktisch-empirischer Verwendung in Betracht kommt. Die ersten Erneuerer der Korpuskular- theorie begnügen sich damit, die Korpuskeln als qualitativ verschiedene Grundsubstanzen einfach vorauszusetzen; die ein- zelnen Teile des Raumes sind durch sinnliche Qualitäten von- einander verschieden und dadurch als Körper abgegrenzt. Daher bedarf es zur Trennung der Atome keines leeren Raumes; und da das Atom sinnliche Qualitäten hat, so entsteht gar nicht die Frage, was das räumliche Korpuskel vom Leeren unterscheidet, was den Körper zum Körper macht. Zwar wird die zweite Frage, wie die Korpuskeln untereinander zu ver- binden sind, damit sie den sinnlichen Körper ausmachen, der Erörterung unterzogen, aber auch hier zeigen die Beantwor- tungsversuche, daß die innere Schwierigkeit und der Kern- punkt des Problems nicht erfaßt ist. So lange man nicht er- kennt, daß die von qualitativen Korpuskeln freien Räume auf keinen Fall wieder als Körper behandelt werden dürfen, so

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/534>, abgerufen am 26.11.2024.