Andrerseits aber war es notwendig, vor allem dem Sub- stanzbegriff eine Grundlage zu geben, wodurch ein Raum- teilchen als mit sich selbst identisch und als ein im Wechsel der Erscheinung unveränderliches Substrat der Be- wegung herausgelöst und zugleich als eine feste Quantität bestimmt werden konnte. Da die wahrnehmbaren Körper selbst ihrer Größe, Gestalt und Qualität nach veränderlich sind, da sie geteilt, aufgelöst und umgewandelt werden können, so war die Anwendung der zur Analyse des Körperbegriffs notwendigen Abstraktion auf die sinnlichen Körper selbst nicht möglich. Der sinnlich wahrnehmbare Körper als Ganzes konnte nicht Substanz sein; die Substanzialität konnte, wenn man nicht auf die substanziellen Formen zurückfallen wollte, nur in den kleinsten Teilen der Körper gesucht werden. Der be- grifflichen Analyse mußte die räumliche Trennung der Körper in Korpuskeln vorausgehen, und erst an diesen vermochte das Problem von neuem anzusetzen. Die Korpuskeln konnten klein genug angenommen werden, um als substanzielles Element zu dienen, welches in der Veränderung der Körper beharrt und nunmehr Subjekt neuer Eigenschaften wird. Nun erst stellt es sich heraus, daß hier neue Probleme zu Tage treten.
Um an diesem entscheidenden Wendepunkt der physika- lischen Erkenntnis darzulegen, worauf die Anstrengungen der Forscher gerichtet waren und was sie im nächsten Vierteljahr- hundert mit größerer oder geringerer Klarheit über ihre eigenen Versuche anstrebten, haben wir jene Probleme, welche gleich- sam in der wissenschaftlichen Luft lagen, vorausgreifend zu formulieren. Dieselben lassen sich der Hauptsache nach in zwei Fragen zusammenfassen.
Erstens: Wie ist es möglich, daß die ausgedehnten, quan- titativen, substanziellen Korpuskeln den Raum undurchdring- lich und intensiv erfüllen und daß sie in ihrem Zusammen die sinnlichen Qualitäten der Erscheinungswelt zeigen? Oder mit andern Worten: Was unterscheidet den physischen Körper vom geometrischen, den erfüllten Raum der Empfindung von der räumlichen Ausdehnung? Kann der Substanzbegriff allein hierzu ausreichen? Oder bedarf es noch andrer Denkmittel?
Zweitens: Wie ist es möglich, daß die substanziellen Kor- puskeln in Wechselwirkung treten und eine gesetzmäßige Ver-
33*
Notwendigkeit der Korpuskeln. Neue Probleme.
Andrerseits aber war es notwendig, vor allem dem Sub- stanzbegriff eine Grundlage zu geben, wodurch ein Raum- teilchen als mit sich selbst identisch und als ein im Wechsel der Erscheinung unveränderliches Substrat der Be- wegung herausgelöst und zugleich als eine feste Quantität bestimmt werden konnte. Da die wahrnehmbaren Körper selbst ihrer Größe, Gestalt und Qualität nach veränderlich sind, da sie geteilt, aufgelöst und umgewandelt werden können, so war die Anwendung der zur Analyse des Körperbegriffs notwendigen Abstraktion auf die sinnlichen Körper selbst nicht möglich. Der sinnlich wahrnehmbare Körper als Ganzes konnte nicht Substanz sein; die Substanzialität konnte, wenn man nicht auf die substanziellen Formen zurückfallen wollte, nur in den kleinsten Teilen der Körper gesucht werden. Der be- grifflichen Analyse mußte die räumliche Trennung der Körper in Korpuskeln vorausgehen, und erst an diesen vermochte das Problem von neuem anzusetzen. Die Korpuskeln konnten klein genug angenommen werden, um als substanzielles Element zu dienen, welches in der Veränderung der Körper beharrt und nunmehr Subjekt neuer Eigenschaften wird. Nun erst stellt es sich heraus, daß hier neue Probleme zu Tage treten.
Um an diesem entscheidenden Wendepunkt der physika- lischen Erkenntnis darzulegen, worauf die Anstrengungen der Forscher gerichtet waren und was sie im nächsten Vierteljahr- hundert mit größerer oder geringerer Klarheit über ihre eigenen Versuche anstrebten, haben wir jene Probleme, welche gleich- sam in der wissenschaftlichen Luft lagen, vorausgreifend zu formulieren. Dieselben lassen sich der Hauptsache nach in zwei Fragen zusammenfassen.
Erstens: Wie ist es möglich, daß die ausgedehnten, quan- titativen, substanziellen Korpuskeln den Raum undurchdring- lich und intensiv erfüllen und daß sie in ihrem Zusammen die sinnlichen Qualitäten der Erscheinungswelt zeigen? Oder mit andern Worten: Was unterscheidet den physischen Körper vom geometrischen, den erfüllten Raum der Empfindung von der räumlichen Ausdehnung? Kann der Substanzbegriff allein hierzu ausreichen? Oder bedarf es noch andrer Denkmittel?
Zweitens: Wie ist es möglich, daß die substanziellen Kor- puskeln in Wechselwirkung treten und eine gesetzmäßige Ver-
33*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0533"n="515"/><fwplace="top"type="header">Notwendigkeit der Korpuskeln. Neue Probleme.</fw><lb/><p>Andrerseits aber war es notwendig, vor allem dem Sub-<lb/>
stanzbegriff eine Grundlage zu geben, wodurch ein Raum-<lb/>
teilchen als mit sich selbst identisch und als ein im<lb/>
Wechsel der Erscheinung unveränderliches Substrat der Be-<lb/>
wegung herausgelöst und zugleich als eine feste Quantität<lb/>
bestimmt werden konnte. Da die wahrnehmbaren Körper<lb/>
selbst ihrer Größe, Gestalt und Qualität nach veränderlich<lb/>
sind, da sie geteilt, aufgelöst und umgewandelt werden können,<lb/>
so war die Anwendung der zur Analyse des Körperbegriffs<lb/>
notwendigen Abstraktion auf die sinnlichen Körper selbst nicht<lb/>
möglich. Der sinnlich wahrnehmbare Körper als Ganzes konnte<lb/>
nicht Substanz sein; die Substanzialität konnte, wenn man<lb/>
nicht auf die substanziellen Formen zurückfallen wollte, nur<lb/>
in den kleinsten Teilen der Körper gesucht werden. Der be-<lb/>
grifflichen Analyse mußte die räumliche Trennung der Körper<lb/>
in Korpuskeln vorausgehen, und erst an diesen vermochte das<lb/>
Problem von neuem anzusetzen. Die Korpuskeln konnten klein<lb/>
genug angenommen werden, um als substanzielles Element<lb/>
zu dienen, welches in der Veränderung der Körper beharrt<lb/>
und nunmehr Subjekt neuer Eigenschaften wird. Nun erst<lb/>
stellt es sich heraus, daß hier neue Probleme zu Tage treten.</p><lb/><p>Um an diesem entscheidenden Wendepunkt der physika-<lb/>
lischen Erkenntnis darzulegen, worauf die Anstrengungen der<lb/>
Forscher gerichtet waren und was sie im nächsten Vierteljahr-<lb/>
hundert mit größerer oder geringerer Klarheit über ihre eigenen<lb/>
Versuche anstrebten, haben wir jene Probleme, welche gleich-<lb/>
sam in der wissenschaftlichen Luft lagen, vorausgreifend zu<lb/>
formulieren. Dieselben lassen sich der Hauptsache nach in<lb/>
zwei Fragen zusammenfassen.</p><lb/><p>Erstens: Wie ist es möglich, daß die ausgedehnten, quan-<lb/>
titativen, substanziellen Korpuskeln den Raum undurchdring-<lb/>
lich und intensiv erfüllen und daß sie in ihrem Zusammen die<lb/>
sinnlichen Qualitäten der Erscheinungswelt zeigen? Oder mit<lb/>
andern Worten: Was unterscheidet den physischen Körper<lb/>
vom geometrischen, den erfüllten Raum der Empfindung von<lb/>
der räumlichen Ausdehnung? Kann der Substanzbegriff allein<lb/>
hierzu ausreichen? Oder bedarf es noch andrer Denkmittel?</p><lb/><p>Zweitens: Wie ist es möglich, daß die substanziellen Kor-<lb/>
puskeln in Wechselwirkung treten und eine gesetzmäßige Ver-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">33*</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[515/0533]
Notwendigkeit der Korpuskeln. Neue Probleme.
Andrerseits aber war es notwendig, vor allem dem Sub-
stanzbegriff eine Grundlage zu geben, wodurch ein Raum-
teilchen als mit sich selbst identisch und als ein im
Wechsel der Erscheinung unveränderliches Substrat der Be-
wegung herausgelöst und zugleich als eine feste Quantität
bestimmt werden konnte. Da die wahrnehmbaren Körper
selbst ihrer Größe, Gestalt und Qualität nach veränderlich
sind, da sie geteilt, aufgelöst und umgewandelt werden können,
so war die Anwendung der zur Analyse des Körperbegriffs
notwendigen Abstraktion auf die sinnlichen Körper selbst nicht
möglich. Der sinnlich wahrnehmbare Körper als Ganzes konnte
nicht Substanz sein; die Substanzialität konnte, wenn man
nicht auf die substanziellen Formen zurückfallen wollte, nur
in den kleinsten Teilen der Körper gesucht werden. Der be-
grifflichen Analyse mußte die räumliche Trennung der Körper
in Korpuskeln vorausgehen, und erst an diesen vermochte das
Problem von neuem anzusetzen. Die Korpuskeln konnten klein
genug angenommen werden, um als substanzielles Element
zu dienen, welches in der Veränderung der Körper beharrt
und nunmehr Subjekt neuer Eigenschaften wird. Nun erst
stellt es sich heraus, daß hier neue Probleme zu Tage treten.
Um an diesem entscheidenden Wendepunkt der physika-
lischen Erkenntnis darzulegen, worauf die Anstrengungen der
Forscher gerichtet waren und was sie im nächsten Vierteljahr-
hundert mit größerer oder geringerer Klarheit über ihre eigenen
Versuche anstrebten, haben wir jene Probleme, welche gleich-
sam in der wissenschaftlichen Luft lagen, vorausgreifend zu
formulieren. Dieselben lassen sich der Hauptsache nach in
zwei Fragen zusammenfassen.
Erstens: Wie ist es möglich, daß die ausgedehnten, quan-
titativen, substanziellen Korpuskeln den Raum undurchdring-
lich und intensiv erfüllen und daß sie in ihrem Zusammen die
sinnlichen Qualitäten der Erscheinungswelt zeigen? Oder mit
andern Worten: Was unterscheidet den physischen Körper
vom geometrischen, den erfüllten Raum der Empfindung von
der räumlichen Ausdehnung? Kann der Substanzbegriff allein
hierzu ausreichen? Oder bedarf es noch andrer Denkmittel?
Zweitens: Wie ist es möglich, daß die substanziellen Kor-
puskeln in Wechselwirkung treten und eine gesetzmäßige Ver-
33*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/533>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.