Berigard: Gestalt d. Atome. Demokrit und Anaxagoras.
dem Aristoteles näher stehende Ansicht habe vorbringen wollen. "Aber," läßt Berigard den Vertreter seiner Über- zeugung fortfahren, "wenn durch eine Erfahrung das Vacuum in ausreichender Weise nachgewiesen wäre (denn was ich bisher gesehen habe, halte ich noch nicht für wirkungsvoll genug), dann hätte ich die Atome des Demokrit der prima materia des Aristoteles gegenübergestellt. Zwar berücksichtige ich nicht, was Demokrit, Leukipp, Mnesitheus, Epicurus, Asklepiades von Bithynien, Heraklides Ponticus und Lucretius von denselben gemeint haben, sondern was man von ihnen passend meinen soll, und damit diese andre Hypothese von der vorangehenden weniger abweiche, nehme ich an unendlich viele Arten von einander der ganzen Substanz nach verschiedenen Atomen, und in jeder Spezies wieder unendlich viele Atome."1
Alle Atome sollen Kugelgestalt besitzen, jedoch von ver- schiedener Größe sein; die Kugel ist nämlich die vollkommenste aller Figuren und für ewige Körper angemessener als eine eckige Gestalt. Die Verschiedenartigkeit der Atomgestalten braucht keine so große zu sein, wenn man mit Anaxagoras die Arten der Atome als verschiedene ansieht. Da sich diese Atome ihrer Kugelgestalt wegen nur in Punkten berühren, so erfordern sie ein Vacuum zwischen sich. Berigard nimmt also nicht an, daß die Atome sich frei im Leeren bewegen, sondern sie hängen unmittelbar aneinander.
Unter dieser Annahme fällt es Demokrit leichter als Anaxagoras, die Teilung des Kontinuums zu erklären, weil nun schon feste und gänzlich unteilbare Korpuskeln vorhanden sind. Allerdings bestehen auch diese Atome aus Punkten, aber aus solchen, die durch keine Gewalt trennbar sind. Daß Gott diese Punkte actu einzeln zu sehen vermag, ist gerade ein Beweis, daß sie unteilbar und getrennt actu existieren, sonst sähe er sie nicht alle einzeln.2 Die unendlich vielen Korpuskeln ein und derselben Natur sind nur ihrer Zahl nach unterschieden und es bedarf keines andren Unterscheidungs- grundes, als zu sagen, daß eben die eine Partikel nicht die andre ist. Der Zusammenhang der einzelnen aber besteht darin,
1 A. a. O. Circ. VIII p. 61.
2 A. a. O. p. 63.
Berigard: Gestalt d. Atome. Demokrit und Anaxagoras.
dem Aristoteles näher stehende Ansicht habe vorbringen wollen. „Aber,‟ läßt Berigard den Vertreter seiner Über- zeugung fortfahren, „wenn durch eine Erfahrung das Vacuum in ausreichender Weise nachgewiesen wäre (denn was ich bisher gesehen habe, halte ich noch nicht für wirkungsvoll genug), dann hätte ich die Atome des Demokrit der prima materia des Aristoteles gegenübergestellt. Zwar berücksichtige ich nicht, was Demokrit, Leukipp, Mnesitheus, Epicurus, Asklepiades von Bithynien, Heraklides Ponticus und Lucretius von denselben gemeint haben, sondern was man von ihnen passend meinen soll, und damit diese andre Hypothese von der vorangehenden weniger abweiche, nehme ich an unendlich viele Arten von einander der ganzen Substanz nach verschiedenen Atomen, und in jeder Spezies wieder unendlich viele Atome.‟1
Alle Atome sollen Kugelgestalt besitzen, jedoch von ver- schiedener Größe sein; die Kugel ist nämlich die vollkommenste aller Figuren und für ewige Körper angemessener als eine eckige Gestalt. Die Verschiedenartigkeit der Atomgestalten braucht keine so große zu sein, wenn man mit Anaxagoras die Arten der Atome als verschiedene ansieht. Da sich diese Atome ihrer Kugelgestalt wegen nur in Punkten berühren, so erfordern sie ein Vacuum zwischen sich. Berigard nimmt also nicht an, daß die Atome sich frei im Leeren bewegen, sondern sie hängen unmittelbar aneinander.
Unter dieser Annahme fällt es Demokrit leichter als Anaxagoras, die Teilung des Kontinuums zu erklären, weil nun schon feste und gänzlich unteilbare Korpuskeln vorhanden sind. Allerdings bestehen auch diese Atome aus Punkten, aber aus solchen, die durch keine Gewalt trennbar sind. Daß Gott diese Punkte actu einzeln zu sehen vermag, ist gerade ein Beweis, daß sie unteilbar und getrennt actu existieren, sonst sähe er sie nicht alle einzeln.2 Die unendlich vielen Korpuskeln ein und derselben Natur sind nur ihrer Zahl nach unterschieden und es bedarf keines andren Unterscheidungs- grundes, als zu sagen, daß eben die eine Partikel nicht die andre ist. Der Zusammenhang der einzelnen aber besteht darin,
1 A. a. O. Circ. VIII p. 61.
2 A. a. O. p. 63.
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Berigard: Gestalt d. Atome. Demokrit und Anaxagoras.
dem Aristoteles näher stehende Ansicht habe vorbringen
wollen. „Aber,‟ läßt Berigard den Vertreter seiner Über-
zeugung fortfahren, „wenn durch eine Erfahrung das Vacuum
in ausreichender Weise nachgewiesen wäre (denn was ich bisher
gesehen habe, halte ich noch nicht für wirkungsvoll genug),
dann hätte ich die Atome des Demokrit der prima materia des
Aristoteles gegenübergestellt. Zwar berücksichtige ich nicht,
was Demokrit, Leukipp, Mnesitheus, Epicurus, Asklepiades von
Bithynien, Heraklides Ponticus und Lucretius von denselben
gemeint haben, sondern was man von ihnen passend meinen
soll, und damit diese andre Hypothese von der vorangehenden
weniger abweiche, nehme ich an unendlich viele Arten von
einander der ganzen Substanz nach verschiedenen Atomen, und
in jeder Spezies wieder unendlich viele Atome.‟ 1
Alle Atome sollen Kugelgestalt besitzen, jedoch von ver-
schiedener Größe sein; die Kugel ist nämlich die vollkommenste
aller Figuren und für ewige Körper angemessener als eine
eckige Gestalt. Die Verschiedenartigkeit der Atomgestalten
braucht keine so große zu sein, wenn man mit Anaxagoras
die Arten der Atome als verschiedene ansieht. Da sich diese
Atome ihrer Kugelgestalt wegen nur in Punkten berühren, so
erfordern sie ein Vacuum zwischen sich. Berigard nimmt also
nicht an, daß die Atome sich frei im Leeren bewegen, sondern
sie hängen unmittelbar aneinander.
Unter dieser Annahme fällt es Demokrit leichter als
Anaxagoras, die Teilung des Kontinuums zu erklären, weil nun
schon feste und gänzlich unteilbare Korpuskeln vorhanden
sind. Allerdings bestehen auch diese Atome aus Punkten,
aber aus solchen, die durch keine Gewalt trennbar sind. Daß
Gott diese Punkte actu einzeln zu sehen vermag, ist gerade
ein Beweis, daß sie unteilbar und getrennt actu existieren,
sonst sähe er sie nicht alle einzeln. 2 Die unendlich vielen
Korpuskeln ein und derselben Natur sind nur ihrer Zahl nach
unterschieden und es bedarf keines andren Unterscheidungs-
grundes, als zu sagen, daß eben die eine Partikel nicht die
andre ist. Der Zusammenhang der einzelnen aber besteht darin,
1 A. a. O. Circ. VIII p. 61.
2 A. a. O. p. 63.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/511>, abgerufen am 15.08.2024.
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