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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Bitault etc. für die Atomistik.
der vierten wird die von den Peripatetikern aufgestellte Zahl
der Elemente bestritten; wenn man nämlich unter "Element"
die ursprünglichen Bestandteile (partes integrantes) der sublu-
narischen Welt verstehe, so würde diese aus weniger als aus
vier Elementen gebildet: bezeichne man aber mit "Element"
die Körper, aus denen die Verbindungen zusammengesetzt und
in welche sie aufgelöst werden, so enthielten die Mixta mehr
als vier Elemente; beides stimme mit der Erfahrung, der Ver-
nunft und der Zerlegung aller Verbindungen durchaus überein.
Das Mixtum bestehe nämlich, wie die fünfte These angibt,
aus fünf einfachen Körpern oder Elementen (vgl. S. 339 f.), Terra,
aqua, sal, sulfur
(s. oleum), mercurius (s. spiritus acidus), welche
für die wahren und einzig natürlichen Prinzipien zu halten
sind, so daß sie weder wechselweise auseinander noch aus an-
dern sich bilden, sondern alle Komposita werden aus ihnen
selbst zusammengesetzt. Alle Verschiedenheit der Dinge ent-
steht nur aus der quantitativen Mischung dieser fünf Prinzipien
(Th. 7), und aus der Verschiedenheit der Mischung entsteht
alle Wirkung und körperliche Bewegung, nicht aus jenem
Agens und universalem Spiritus (d. h. Feuer), wie von gewisser
Seite behauptet wird. Die nächsten Thesen beschäftigen sich
weiter mit den Elementen, ihr Inhalt wurde im Wesentlichen
schon früher (S. 340) mitgeteilt. Die vierzehnte These aber ist
nun diejenige, welche für die Atomistik eintritt. Aus Un-
wissenheit, heißt es da, oder vielmehr aus Bosheit sind zwei
Sätze der Alten von Aristoteles ungebührlich verspottet wor-
den, nämlich erstens, daß alles in allem enthalten sei, und
zweitens, daß alles aus Atomen oder Unteilbaren zusammen-
gesetzt werde. Beides entspricht dem vernünftigen Begriffe
der wahren Philosophie und der Zerlegung der Körper und
wird daher mit aller Entschiedenheit und Unerschrockenheit
von den Verfassern verteidigt und aufrecht erhalten.1 Diese
These wurde von der theologischen Fakultät als falsa, temeraria
et in fide erronea
bezeichnet.

Die Disputation, welche im Palais der hochseligen Königin

1 Launoy a. a. O. Omnia esse in omnibus et omnia componi ex atomis
seu indivisibilibus. Quod utrumque, quia ratione verae Philosophiae et corporum
anatomiae conforme est, mordicus defendimus, et intrepidi sustinemus.
31*

Bitault etc. für die Atomistik.
der vierten wird die von den Peripatetikern aufgestellte Zahl
der Elemente bestritten; wenn man nämlich unter „Element‟
die ursprünglichen Bestandteile (partes integrantes) der sublu-
narischen Welt verstehe, so würde diese aus weniger als aus
vier Elementen gebildet: bezeichne man aber mit „Element‟
die Körper, aus denen die Verbindungen zusammengesetzt und
in welche sie aufgelöst werden, so enthielten die Mixta mehr
als vier Elemente; beides stimme mit der Erfahrung, der Ver-
nunft und der Zerlegung aller Verbindungen durchaus überein.
Das Mixtum bestehe nämlich, wie die fünfte These angibt,
aus fünf einfachen Körpern oder Elementen (vgl. S. 339 f.), Terra,
aqua, sal, sulfur
(s. oleum), mercurius (s. spiritus acidus), welche
für die wahren und einzig natürlichen Prinzipien zu halten
sind, so daß sie weder wechselweise auseinander noch aus an-
dern sich bilden, sondern alle Komposita werden aus ihnen
selbst zusammengesetzt. Alle Verschiedenheit der Dinge ent-
steht nur aus der quantitativen Mischung dieser fünf Prinzipien
(Th. 7), und aus der Verschiedenheit der Mischung entsteht
alle Wirkung und körperliche Bewegung, nicht aus jenem
Agens und universalem Spiritus (d. h. Feuer), wie von gewisser
Seite behauptet wird. Die nächsten Thesen beschäftigen sich
weiter mit den Elementen, ihr Inhalt wurde im Wesentlichen
schon früher (S. 340) mitgeteilt. Die vierzehnte These aber ist
nun diejenige, welche für die Atomistik eintritt. Aus Un-
wissenheit, heißt es da, oder vielmehr aus Bosheit sind zwei
Sätze der Alten von Aristoteles ungebührlich verspottet wor-
den, nämlich erstens, daß alles in allem enthalten sei, und
zweitens, daß alles aus Atomen oder Unteilbaren zusammen-
gesetzt werde. Beides entspricht dem vernünftigen Begriffe
der wahren Philosophie und der Zerlegung der Körper und
wird daher mit aller Entschiedenheit und Unerschrockenheit
von den Verfassern verteidigt und aufrecht erhalten.1 Diese
These wurde von der theologischen Fakultät als falsa, temeraria
et in fide erronea
bezeichnet.

Die Disputation, welche im Palais der hochseligen Königin

1 Launoy a. a. O. Omnia esse in omnibus et omnia componi ex atomis
seu indivisibilibus. Quod utrumque, quia ratione verae Philosophiae et corporum
anatomiae conforme est, mordicus defendimus, et intrepidi sustinemus.
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[483/0501] Bitault etc. für die Atomistik. der vierten wird die von den Peripatetikern aufgestellte Zahl der Elemente bestritten; wenn man nämlich unter „Element‟ die ursprünglichen Bestandteile (partes integrantes) der sublu- narischen Welt verstehe, so würde diese aus weniger als aus vier Elementen gebildet: bezeichne man aber mit „Element‟ die Körper, aus denen die Verbindungen zusammengesetzt und in welche sie aufgelöst werden, so enthielten die Mixta mehr als vier Elemente; beides stimme mit der Erfahrung, der Ver- nunft und der Zerlegung aller Verbindungen durchaus überein. Das Mixtum bestehe nämlich, wie die fünfte These angibt, aus fünf einfachen Körpern oder Elementen (vgl. S. 339 f.), Terra, aqua, sal, sulfur (s. oleum), mercurius (s. spiritus acidus), welche für die wahren und einzig natürlichen Prinzipien zu halten sind, so daß sie weder wechselweise auseinander noch aus an- dern sich bilden, sondern alle Komposita werden aus ihnen selbst zusammengesetzt. Alle Verschiedenheit der Dinge ent- steht nur aus der quantitativen Mischung dieser fünf Prinzipien (Th. 7), und aus der Verschiedenheit der Mischung entsteht alle Wirkung und körperliche Bewegung, nicht aus jenem Agens und universalem Spiritus (d. h. Feuer), wie von gewisser Seite behauptet wird. Die nächsten Thesen beschäftigen sich weiter mit den Elementen, ihr Inhalt wurde im Wesentlichen schon früher (S. 340) mitgeteilt. Die vierzehnte These aber ist nun diejenige, welche für die Atomistik eintritt. Aus Un- wissenheit, heißt es da, oder vielmehr aus Bosheit sind zwei Sätze der Alten von Aristoteles ungebührlich verspottet wor- den, nämlich erstens, daß alles in allem enthalten sei, und zweitens, daß alles aus Atomen oder Unteilbaren zusammen- gesetzt werde. Beides entspricht dem vernünftigen Begriffe der wahren Philosophie und der Zerlegung der Körper und wird daher mit aller Entschiedenheit und Unerschrockenheit von den Verfassern verteidigt und aufrecht erhalten. 1 Diese These wurde von der theologischen Fakultät als falsa, temeraria et in fide erronea bezeichnet. Die Disputation, welche im Palais der hochseligen Königin 1 Launoy a. a. O. Omnia esse in omnibus et omnia componi ex atomis seu indivisibilibus. Quod utrumque, quia ratione verae Philosophiae et corporum anatomiae conforme est, mordicus defendimus, et intrepidi sustinemus. 31*

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/501>, abgerufen am 04.05.2024.