Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.Ramus. Pariser Universität. Beachtung. Die Erschütterung der Autorität des Aristotelesmacht sich in einer großen Reihe von "Disputationes" und "Exercitationes" im Beginn des 17. Jahrhunderts bemerkbar, und in dieser formalen Hinsicht darf man wohl auch in den anti- peripatetischen Übungen eines Gorlaeus und Gassendi noch die Nachwirkung der ramistischen Angriffe auf Aristoteles sehen. Von des Ramus positiven Behauptungen verdient hier angeführt zu werden, daß er die Gleichsetzung des geome- trischen und physischen Kontinuums durch Aristoteles bekämpft und fordert, daß es der Physiker nicht mit ins Unendliche teilbaren, sondern nur mit endlichen und endlich-teilbaren Kör- pern zu thun habe; allerdings bestreitet er auch, daß die Teil- barkeit ins Unendliche auf die Bewegung übertragen werden müsse, die vielmehr ebenfalls diskontinuierlich sein könne.1 Zu diesen Angriffen auf die Hauptgegner der Atomistik Im Anfange des 17. Jahrhunderts sehen wir an der Uni- 1 Schol. phys. l. VI in c. 2. p. 149, 150. -- Auch in der Elementenlehre scheint ramistischer Einfluß die früher erwähnten Neuerungen (s. S. 325 ff.) befördert zu haben. So lehrt z. B. der dem Ramismus geneigte Rudolf Goc- lenius in Marburg (1547--1628), daß Feuer nichts anderes sei als die feinste Luft, und Luft Feuer in potentia (Physicae completae Speculum, 1604, p. 557). 2 Nicolaus Hill (+ 1601) schrieb ein Buch De philosophia epicurea, democritica, theophrastica, proposita simpliciter, non edocta, Paris 1601, das ich jedoch bisher nirgends erhalten konnte. Eine eingehende Besprechung der Atomistik Demokrits enthielt auch das 1612 erschienene Werk des römischen Gelehrten Julius Caesar Lagalla De phaenomenis in orbe lunae, welches auf Jungius einwirkte. Vgl. Wohlwill, Jungius S. 15. 3 Bruno, Acrotismus etc. -- Dsgl. Bulaeus, Hist. univ. Par. VI. p. 787. Laßwitz. 30
Ramus. Pariser Universität. Beachtung. Die Erschütterung der Autorität des Aristotelesmacht sich in einer großen Reihe von „Disputationes‟ und „Exercitationes‟ im Beginn des 17. Jahrhunderts bemerkbar, und in dieser formalen Hinsicht darf man wohl auch in den anti- peripatetischen Übungen eines Gorlaeus und Gassendi noch die Nachwirkung der ramistischen Angriffe auf Aristoteles sehen. Von des Ramus positiven Behauptungen verdient hier angeführt zu werden, daß er die Gleichsetzung des geome- trischen und physischen Kontinuums durch Aristoteles bekämpft und fordert, daß es der Physiker nicht mit ins Unendliche teilbaren, sondern nur mit endlichen und endlich-teilbaren Kör- pern zu thun habe; allerdings bestreitet er auch, daß die Teil- barkeit ins Unendliche auf die Bewegung übertragen werden müsse, die vielmehr ebenfalls diskontinuierlich sein könne.1 Zu diesen Angriffen auf die Hauptgegner der Atomistik Im Anfange des 17. Jahrhunderts sehen wir an der Uni- 1 Schol. phys. l. VI in c. 2. p. 149, 150. — Auch in der Elementenlehre scheint ramistischer Einfluß die früher erwähnten Neuerungen (s. S. 325 ff.) befördert zu haben. So lehrt z. B. der dem Ramismus geneigte Rudolf Goc- lenius in Marburg (1547—1628), daß Feuer nichts anderes sei als die feinste Luft, und Luft Feuer in potentia (Physicae completae Speculum, 1604, p. 557). 2 Nicolaus Hill († 1601) schrieb ein Buch De philosophia epicurea, democritica, theophrastica, proposita simpliciter, non edocta, Paris 1601, das ich jedoch bisher nirgends erhalten konnte. Eine eingehende Besprechung der Atomistik Demokrits enthielt auch das 1612 erschienene Werk des römischen Gelehrten Julius Caesar Lagalla De phaenomenis in orbe lunae, welches auf Jungius einwirkte. Vgl. Wohlwill, Jungius S. 15. 3 Bruno, Acrotismus etc. — Dsgl. Bulaeus, Hist. univ. Par. VI. p. 787. Laßwitz. 30
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0483" n="465"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Ramus</hi>. Pariser Universität.</fw><lb/> Beachtung. Die Erschütterung der Autorität des <hi rendition="#k">Aristoteles</hi><lb/> macht sich in einer großen Reihe von „<hi rendition="#i">Disputationes</hi>‟ und<lb/> „<hi rendition="#i">Exercitationes</hi>‟ im Beginn des 17. Jahrhunderts bemerkbar, und<lb/> in dieser formalen Hinsicht darf man wohl auch in den anti-<lb/> peripatetischen Übungen eines <hi rendition="#k">Gorlaeus</hi> und <hi rendition="#k">Gassendi</hi> noch<lb/> die Nachwirkung der ramistischen Angriffe auf <hi rendition="#k">Aristoteles</hi><lb/> sehen. Von des <hi rendition="#k">Ramus</hi> positiven Behauptungen verdient hier<lb/> angeführt zu werden, daß er die Gleichsetzung des geome-<lb/> trischen und physischen Kontinuums durch <hi rendition="#k">Aristoteles</hi> bekämpft<lb/> und fordert, daß es der Physiker nicht mit ins Unendliche<lb/> teilbaren, sondern nur mit endlichen und endlich-teilbaren Kör-<lb/> pern zu thun habe; allerdings bestreitet er auch, daß die Teil-<lb/> barkeit ins Unendliche auf die Bewegung übertragen werden<lb/> müsse, die vielmehr ebenfalls diskontinuierlich sein könne.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">Schol. phys.</hi> l. VI in c. 2. p. 149, 150. — Auch in der Elementenlehre<lb/> scheint ramistischer Einfluß die früher erwähnten Neuerungen (s. S. 325 ff.)<lb/> befördert zu haben. So lehrt z. B. der dem Ramismus geneigte <hi rendition="#k">Rudolf Goc-<lb/> lenius</hi> in Marburg (1547—1628), daß Feuer nichts anderes sei als die feinste<lb/> Luft, und Luft Feuer <hi rendition="#i">in potentia</hi> (<hi rendition="#i">Physicae completae Speculum</hi>, 1604, p. 557).</note></p><lb/> <p>Zu diesen Angriffen auf die Hauptgegner der Atomistik<lb/> kamen direkte Anregungen zu Gunsten der Korpuskulartheorie,<note place="foot" n="2"><hi rendition="#k">Nicolaus Hill</hi> († 1601) schrieb ein Buch <hi rendition="#i">De philosophia epicurea,<lb/> democritica, theophrastica, proposita simpliciter, non edocta</hi>, Paris 1601, das ich<lb/> jedoch bisher nirgends erhalten konnte. Eine eingehende Besprechung der<lb/> Atomistik <hi rendition="#k">Demokrits</hi> enthielt auch das 1612 erschienene Werk des römischen<lb/> Gelehrten <hi rendition="#k">Julius Caesar Lagalla</hi> <hi rendition="#i">De phaenomenis in orbe lunae</hi>, welches auf<lb/><hi rendition="#k">Jungius</hi> einwirkte. Vgl. <hi rendition="#k">Wohlwill</hi>, <hi rendition="#i">Jungius</hi> S. 15.</note><lb/> wie wir sie namentlich in <hi rendition="#k">Bodins</hi> Schriften kennen gelernt<lb/> haben. Im Jahre 1586 verteidigte <hi rendition="#k">Hennequin</hi> in Paris energisch<lb/> die Thesen G. <hi rendition="#k">Brunos</hi>.<note place="foot" n="3"><hi rendition="#k">Bruno</hi>, <hi rendition="#i">Acrotismus</hi> etc. — Dsgl. <hi rendition="#k">Bulaeus</hi>, <hi rendition="#i">Hist. univ. Par.</hi> VI. p. 787.</note></p><lb/> <p>Im Anfange des 17. Jahrhunderts sehen wir an der Uni-<lb/> versität selbst einen Versuch zur Kritik an der hergebrachten<lb/> Physik des <hi rendition="#k">Aristoteles</hi>, wenn auch nur im Sinne eines reineren<lb/> Aristotelismus; aber diese Kritik mußte zugleich dem Zweifel<lb/> zu gute kommen. Im Jahre 1601 wurde in einer neuen<lb/> Verordnung über die Vorlesungen bestimmt, daß, nach-<lb/> dem im ersten Jahre die logischen Schriften des <hi rendition="#k">Aristoteles</hi><lb/> erklärt worden, im zweiten vormittags die Physik, nach-<lb/> mittags die Metaphysik behandelt werden solle. Dabei solle<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Laßwitz. 30</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [465/0483]
Ramus. Pariser Universität.
Beachtung. Die Erschütterung der Autorität des Aristoteles
macht sich in einer großen Reihe von „Disputationes‟ und
„Exercitationes‟ im Beginn des 17. Jahrhunderts bemerkbar, und
in dieser formalen Hinsicht darf man wohl auch in den anti-
peripatetischen Übungen eines Gorlaeus und Gassendi noch
die Nachwirkung der ramistischen Angriffe auf Aristoteles
sehen. Von des Ramus positiven Behauptungen verdient hier
angeführt zu werden, daß er die Gleichsetzung des geome-
trischen und physischen Kontinuums durch Aristoteles bekämpft
und fordert, daß es der Physiker nicht mit ins Unendliche
teilbaren, sondern nur mit endlichen und endlich-teilbaren Kör-
pern zu thun habe; allerdings bestreitet er auch, daß die Teil-
barkeit ins Unendliche auf die Bewegung übertragen werden
müsse, die vielmehr ebenfalls diskontinuierlich sein könne. 1
Zu diesen Angriffen auf die Hauptgegner der Atomistik
kamen direkte Anregungen zu Gunsten der Korpuskulartheorie, 2
wie wir sie namentlich in Bodins Schriften kennen gelernt
haben. Im Jahre 1586 verteidigte Hennequin in Paris energisch
die Thesen G. Brunos. 3
Im Anfange des 17. Jahrhunderts sehen wir an der Uni-
versität selbst einen Versuch zur Kritik an der hergebrachten
Physik des Aristoteles, wenn auch nur im Sinne eines reineren
Aristotelismus; aber diese Kritik mußte zugleich dem Zweifel
zu gute kommen. Im Jahre 1601 wurde in einer neuen
Verordnung über die Vorlesungen bestimmt, daß, nach-
dem im ersten Jahre die logischen Schriften des Aristoteles
erklärt worden, im zweiten vormittags die Physik, nach-
mittags die Metaphysik behandelt werden solle. Dabei solle
1 Schol. phys. l. VI in c. 2. p. 149, 150. — Auch in der Elementenlehre
scheint ramistischer Einfluß die früher erwähnten Neuerungen (s. S. 325 ff.)
befördert zu haben. So lehrt z. B. der dem Ramismus geneigte Rudolf Goc-
lenius in Marburg (1547—1628), daß Feuer nichts anderes sei als die feinste
Luft, und Luft Feuer in potentia (Physicae completae Speculum, 1604, p. 557).
2 Nicolaus Hill († 1601) schrieb ein Buch De philosophia epicurea,
democritica, theophrastica, proposita simpliciter, non edocta, Paris 1601, das ich
jedoch bisher nirgends erhalten konnte. Eine eingehende Besprechung der
Atomistik Demokrits enthielt auch das 1612 erschienene Werk des römischen
Gelehrten Julius Caesar Lagalla De phaenomenis in orbe lunae, welches auf
Jungius einwirkte. Vgl. Wohlwill, Jungius S. 15.
3 Bruno, Acrotismus etc. — Dsgl. Bulaeus, Hist. univ. Par. VI. p. 787.
Laßwitz. 30
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |