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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Gorlaeus: Veränderung.
diese gelöst werden kann, wenn einmal Materie und Form und
der Übergang von der Potentia zum Actus geleugnet werden.
Denn allein durch diesen Übergang war es möglich, die offen-
bare Vermehrung und Verminderung an körperlichem Volumen
auf einen Begriff zu bringen. Sobald jener Übergang aufge-
hoben wird und die Körper ein bestimmtes aktuelles Volumen
erhalten, ist, falls man nicht Atome und ein dazwischen tre-
tendes Vacuum oder Fluidum annimmt, die Veränderung der
Dichtigkeit nur als eine Durchdringung der Körper zu ver-
stehen. Daß dies aber ein in sich widersprechender Gedanke
ist, welcher den Körperbegriff aufhebt, sieht Gorlaeus sehr
wohl ein.1

Die Veränderungen der Körper werden nach Gorlaeus'
atomistischen Ansichten in der Hauptsache auf Mischung und
Entmischung der Atome zurückgeführt, doch hindert seine
Annahme von Qualitäten noch eine reine Ausgestaltung der
mechanischen Auffassung. Eine Substanz kann allerdings nur
durch Gott aus nichts geschaffen werden und die Körper ver-
wandeln sich nur scheinbar durch Umlagerung der Atome.2 In
diesem Sinne kann Gorlaeus, indem er unter Körper die Atome
selbst versteht, auch sagen, daß ein Körper überhaupt nicht
in einen andern verwandelt werden könne. Und dies ist auch
der Sinn, welchen sein paradoxer Ausspruch hat, daß alles,
was auch immer wird, aus nichts wird, und was vergeht, in
nichts vergehe.3 Dies bezieht sich nämlich nur auf die Schö-
pfung und Tilgung von Substanzen durch Gottes Allmacht,
nicht aber auf die Composita innerhalb des geregelten Welt-
laufs. Daß es aber in diesem nur mechanische Änderungen
gibt, vermag doch Gorlaeus noch nicht auszusprechen. Die
Mischung kann er ganz mit den Worten der Schule definieren
als "Bewegung der kleinsten Teile zur gegenseitigen Berüh-
rung, so daß Vereinigung (unio, nicht unitas) entsteht."4 Denn
er nimmt dabei, da seine Atome Qualitäten besitzen, noch
einen Ausgleich dieser Qualitäten an.5 Aber er hebt hervor,
daß es dazu keiner besondern "Form der Mischung" bedürfe.
Zwischen den Elementen bestehe keine Feindschaft, so daß

1 Exerc. p. 249.
2 A. a. O. p. 255.
3 A. a. O. p. 277.
4 Exer. philos. p. 248.
5 Id. phys. p. 42.

Gorlaeus: Veränderung.
diese gelöst werden kann, wenn einmal Materie und Form und
der Übergang von der Potentia zum Actus geleugnet werden.
Denn allein durch diesen Übergang war es möglich, die offen-
bare Vermehrung und Verminderung an körperlichem Volumen
auf einen Begriff zu bringen. Sobald jener Übergang aufge-
hoben wird und die Körper ein bestimmtes aktuelles Volumen
erhalten, ist, falls man nicht Atome und ein dazwischen tre-
tendes Vacuum oder Fluidum annimmt, die Veränderung der
Dichtigkeit nur als eine Durchdringung der Körper zu ver-
stehen. Daß dies aber ein in sich widersprechender Gedanke
ist, welcher den Körperbegriff aufhebt, sieht Gorlaeus sehr
wohl ein.1

Die Veränderungen der Körper werden nach Gorlaeus
atomistischen Ansichten in der Hauptsache auf Mischung und
Entmischung der Atome zurückgeführt, doch hindert seine
Annahme von Qualitäten noch eine reine Ausgestaltung der
mechanischen Auffassung. Eine Substanz kann allerdings nur
durch Gott aus nichts geschaffen werden und die Körper ver-
wandeln sich nur scheinbar durch Umlagerung der Atome.2 In
diesem Sinne kann Gorlaeus, indem er unter Körper die Atome
selbst versteht, auch sagen, daß ein Körper überhaupt nicht
in einen andern verwandelt werden könne. Und dies ist auch
der Sinn, welchen sein paradoxer Ausspruch hat, daß alles,
was auch immer wird, aus nichts wird, und was vergeht, in
nichts vergehe.3 Dies bezieht sich nämlich nur auf die Schö-
pfung und Tilgung von Substanzen durch Gottes Allmacht,
nicht aber auf die Composita innerhalb des geregelten Welt-
laufs. Daß es aber in diesem nur mechanische Änderungen
gibt, vermag doch Gorlaeus noch nicht auszusprechen. Die
Mischung kann er ganz mit den Worten der Schule definieren
als „Bewegung der kleinsten Teile zur gegenseitigen Berüh-
rung, so daß Vereinigung (unio, nicht unitas) entsteht.‟4 Denn
er nimmt dabei, da seine Atome Qualitäten besitzen, noch
einen Ausgleich dieser Qualitäten an.5 Aber er hebt hervor,
daß es dazu keiner besondern „Form der Mischung‟ bedürfe.
Zwischen den Elementen bestehe keine Feindschaft, so daß

1 Exerc. p. 249.
2 A. a. O. p. 255.
3 A. a. O. p. 277.
4 Exer. philos. p. 248.
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[462/0480] Gorlaeus: Veränderung. diese gelöst werden kann, wenn einmal Materie und Form und der Übergang von der Potentia zum Actus geleugnet werden. Denn allein durch diesen Übergang war es möglich, die offen- bare Vermehrung und Verminderung an körperlichem Volumen auf einen Begriff zu bringen. Sobald jener Übergang aufge- hoben wird und die Körper ein bestimmtes aktuelles Volumen erhalten, ist, falls man nicht Atome und ein dazwischen tre- tendes Vacuum oder Fluidum annimmt, die Veränderung der Dichtigkeit nur als eine Durchdringung der Körper zu ver- stehen. Daß dies aber ein in sich widersprechender Gedanke ist, welcher den Körperbegriff aufhebt, sieht Gorlaeus sehr wohl ein. 1 Die Veränderungen der Körper werden nach Gorlaeus’ atomistischen Ansichten in der Hauptsache auf Mischung und Entmischung der Atome zurückgeführt, doch hindert seine Annahme von Qualitäten noch eine reine Ausgestaltung der mechanischen Auffassung. Eine Substanz kann allerdings nur durch Gott aus nichts geschaffen werden und die Körper ver- wandeln sich nur scheinbar durch Umlagerung der Atome. 2 In diesem Sinne kann Gorlaeus, indem er unter Körper die Atome selbst versteht, auch sagen, daß ein Körper überhaupt nicht in einen andern verwandelt werden könne. Und dies ist auch der Sinn, welchen sein paradoxer Ausspruch hat, daß alles, was auch immer wird, aus nichts wird, und was vergeht, in nichts vergehe. 3 Dies bezieht sich nämlich nur auf die Schö- pfung und Tilgung von Substanzen durch Gottes Allmacht, nicht aber auf die Composita innerhalb des geregelten Welt- laufs. Daß es aber in diesem nur mechanische Änderungen gibt, vermag doch Gorlaeus noch nicht auszusprechen. Die Mischung kann er ganz mit den Worten der Schule definieren als „Bewegung der kleinsten Teile zur gegenseitigen Berüh- rung, so daß Vereinigung (unio, nicht unitas) entsteht.‟ 4 Denn er nimmt dabei, da seine Atome Qualitäten besitzen, noch einen Ausgleich dieser Qualitäten an. 5 Aber er hebt hervor, daß es dazu keiner besondern „Form der Mischung‟ bedürfe. Zwischen den Elementen bestehe keine Feindschaft, so daß 1 Exerc. p. 249. 2 A. a. O. p. 255. 3 A. a. O. p. 277. 4 Exer. philos. p. 248. 5 Id. phys. p. 42.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/480>, abgerufen am 23.05.2024.