Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Gorlaeus: Raum, Vacuum, Zeit, Atome.
actu gegenwärtig.1 Die Zeit ist jedoch ein Kontinuum, die
Zerlegung in unteilbare Momente ist nur in dem Sinne aufzu-
fassen, wie bei Gorlaeus jedes Kontinuum aus actu unteilbaren
Einheiten besteht. Wirken und Leiden (actio und passio) sind
das Werden und Vergehen selbst, das nur im beständigen
Flusse besteht und daher thatsächlich niemals ist.2 Das Werden
und Vergehen der Körper beruht nicht auf den Begriffen der
Materie und Form, gegen welche sich Gorlaeus sehr ent-
schieden erklärt,3 sondern allein auf der Zusammensetzung und
Auflösung in die Prinzipien;4 diese Prinzipien aber sind die
Atome.

Den Atomen widmet Gorlaeus die dreizehnte seiner philo-
sophischen Übungen.5 Wenn es Wesenheiten (entia) gibt und
die Körper reale Teile haben, so müssen diese Teile unteilbar
sein. Sonst würden die Körper nicht reale Wesen durch Ag-
gregation sein. Wenn es aber indivisible Teile gibt, so ist
auch der Körper in sie zerlegbar. Denn was realiter unter-
schieden wird, kann auch getrennt werden. Die Grenze der
Teilung ist nicht die Nichtexistenz, sondern nur die Trennung
der Dinge von einander. Dasjenige, wovon Gattung und Art
prädiciert werden, muß auch die vollkommene Wesenheit von
Gattung und Art in sich besitzen. Damit also ist erwiesen,
daß es unteilbare Teile gibt und der Körper in sie zerlegt
werden kann. Dies folge auch aus der Unmöglichkeit einer
unendlichen Zahl. Hierbei zeigen sich die Ansichten van Goorles
vom Unendlichen wenig stichhaltig, er nimmt an, daß ein Un-
endlich nicht größer sein könne als ein andres. Da die Atome
die Körper zusammensetzen, so haben sie auch Quantität und
Dicke (s. o.). Allerdings besitzt das Atom zwei durch das
Denken unterschiedene Seiten, welche dennoch nicht trennbar
und in re dasselbe sind. Deshalb heben wir jedoch im Atom die
Natur der Quantität nicht auf, weil die Möglichkeit der realen
Teilung nicht dem Begriff der Quantität als solcher, sondern

1 A. a. O. p. 31.
2 Exerc. p. 189.
3 A. a. O. p. 250.
4 A. a. O. p. 256.
5 Exerc. VIII. De atomis. Sect. I. Dari in corporibus atomos. p. 235
bis 249. Daselbst das Folgende. (Im Text und Index steht bei Gorlaeus
durch einen Druckfehler die Seitenzahl 225 statt 235.)

Gorlaeus: Raum, Vacuum, Zeit, Atome.
actu gegenwärtig.1 Die Zeit ist jedoch ein Kontinuum, die
Zerlegung in unteilbare Momente ist nur in dem Sinne aufzu-
fassen, wie bei Gorlaeus jedes Kontinuum aus actu unteilbaren
Einheiten besteht. Wirken und Leiden (actio und passio) sind
das Werden und Vergehen selbst, das nur im beständigen
Flusse besteht und daher thatsächlich niemals ist.2 Das Werden
und Vergehen der Körper beruht nicht auf den Begriffen der
Materie und Form, gegen welche sich Gorlaeus sehr ent-
schieden erklärt,3 sondern allein auf der Zusammensetzung und
Auflösung in die Prinzipien;4 diese Prinzipien aber sind die
Atome.

Den Atomen widmet Gorlaeus die dreizehnte seiner philo-
sophischen Übungen.5 Wenn es Wesenheiten (entia) gibt und
die Körper reale Teile haben, so müssen diese Teile unteilbar
sein. Sonst würden die Körper nicht reale Wesen durch Ag-
gregation sein. Wenn es aber indivisible Teile gibt, so ist
auch der Körper in sie zerlegbar. Denn was realiter unter-
schieden wird, kann auch getrennt werden. Die Grenze der
Teilung ist nicht die Nichtexistenz, sondern nur die Trennung
der Dinge von einander. Dasjenige, wovon Gattung und Art
prädiciert werden, muß auch die vollkommene Wesenheit von
Gattung und Art in sich besitzen. Damit also ist erwiesen,
daß es unteilbare Teile gibt und der Körper in sie zerlegt
werden kann. Dies folge auch aus der Unmöglichkeit einer
unendlichen Zahl. Hierbei zeigen sich die Ansichten van Goorles
vom Unendlichen wenig stichhaltig, er nimmt an, daß ein Un-
endlich nicht größer sein könne als ein andres. Da die Atome
die Körper zusammensetzen, so haben sie auch Quantität und
Dicke (s. o.). Allerdings besitzt das Atom zwei durch das
Denken unterschiedene Seiten, welche dennoch nicht trennbar
und in re dasselbe sind. Deshalb heben wir jedoch im Atom die
Natur der Quantität nicht auf, weil die Möglichkeit der realen
Teilung nicht dem Begriff der Quantität als solcher, sondern

1 A. a. O. p. 31.
2 Exerc. p. 189.
3 A. a. O. p. 250.
4 A. a. O. p. 256.
5 Exerc. VIII. De atomis. Sect. I. Dari in corporibus atomos. p. 235
bis 249. Daselbst das Folgende. (Im Text und Index steht bei Gorlaeus
durch einen Druckfehler die Seitenzahl 225 statt 235.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0477" n="459"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Gorlaeus</hi>: Raum, Vacuum, Zeit, Atome.</fw><lb/><hi rendition="#i">actu</hi> gegenwärtig.<note place="foot" n="1">A. a. O. p. 31.</note> Die Zeit ist jedoch ein Kontinuum, die<lb/>
Zerlegung in unteilbare Momente ist nur in dem Sinne aufzu-<lb/>
fassen, wie bei <hi rendition="#k">Gorlaeus</hi> jedes Kontinuum aus <hi rendition="#i">actu</hi> unteilbaren<lb/>
Einheiten besteht. Wirken und Leiden (actio und passio) sind<lb/>
das Werden und Vergehen selbst, das nur im beständigen<lb/>
Flusse besteht und daher thatsächlich niemals ist.<note place="foot" n="2"><hi rendition="#i">Exerc.</hi> p. 189.</note> Das Werden<lb/>
und Vergehen der Körper beruht nicht auf den Begriffen der<lb/>
Materie und Form, gegen welche sich <hi rendition="#k">Gorlaeus</hi> sehr ent-<lb/>
schieden erklärt,<note place="foot" n="3">A. a. O. p. 250.</note> sondern allein auf der Zusammensetzung und<lb/>
Auflösung in die Prinzipien;<note place="foot" n="4">A. a. O. p. 256.</note> diese Prinzipien aber sind die<lb/>
Atome.</p><lb/>
          <p>Den Atomen widmet <hi rendition="#k">Gorlaeus</hi> die dreizehnte seiner philo-<lb/>
sophischen Übungen.<note place="foot" n="5"><hi rendition="#i">Exerc.</hi> VIII. <hi rendition="#i">De atomis.</hi> Sect. I. Dari in corporibus atomos. p. 235<lb/>
bis 249. Daselbst das Folgende. (Im Text und Index steht bei <hi rendition="#k">Gorlaeus</hi><lb/>
durch einen Druckfehler die Seitenzahl 225 statt 235.)</note> Wenn es Wesenheiten (entia) gibt und<lb/>
die Körper reale Teile haben, so müssen diese Teile unteilbar<lb/>
sein. Sonst würden die Körper nicht reale Wesen durch Ag-<lb/>
gregation sein. Wenn es aber indivisible Teile gibt, so ist<lb/>
auch der Körper in sie zerlegbar. Denn was realiter unter-<lb/>
schieden wird, kann auch getrennt werden. Die Grenze der<lb/>
Teilung ist nicht die Nichtexistenz, sondern nur die Trennung<lb/>
der Dinge von einander. Dasjenige, wovon Gattung und Art<lb/>
prädiciert werden, muß auch die vollkommene Wesenheit von<lb/>
Gattung und Art in sich besitzen. Damit also ist erwiesen,<lb/>
daß es unteilbare Teile gibt und der Körper in sie zerlegt<lb/>
werden kann. Dies folge auch aus der Unmöglichkeit einer<lb/>
unendlichen Zahl. Hierbei zeigen sich die Ansichten <hi rendition="#k">van Goorles</hi><lb/>
vom Unendlichen wenig stichhaltig, er nimmt an, daß ein Un-<lb/>
endlich nicht größer sein könne als ein andres. Da die Atome<lb/>
die Körper zusammensetzen, so haben sie auch Quantität und<lb/>
Dicke (s. o.). Allerdings besitzt das Atom zwei durch das<lb/>
Denken unterschiedene Seiten, welche dennoch nicht trennbar<lb/>
und <hi rendition="#i">in re</hi> dasselbe sind. Deshalb heben wir jedoch im Atom die<lb/>
Natur der Quantität nicht auf, weil die Möglichkeit der realen<lb/>
Teilung nicht dem Begriff der Quantität als solcher, sondern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[459/0477] Gorlaeus: Raum, Vacuum, Zeit, Atome. actu gegenwärtig. 1 Die Zeit ist jedoch ein Kontinuum, die Zerlegung in unteilbare Momente ist nur in dem Sinne aufzu- fassen, wie bei Gorlaeus jedes Kontinuum aus actu unteilbaren Einheiten besteht. Wirken und Leiden (actio und passio) sind das Werden und Vergehen selbst, das nur im beständigen Flusse besteht und daher thatsächlich niemals ist. 2 Das Werden und Vergehen der Körper beruht nicht auf den Begriffen der Materie und Form, gegen welche sich Gorlaeus sehr ent- schieden erklärt, 3 sondern allein auf der Zusammensetzung und Auflösung in die Prinzipien; 4 diese Prinzipien aber sind die Atome. Den Atomen widmet Gorlaeus die dreizehnte seiner philo- sophischen Übungen. 5 Wenn es Wesenheiten (entia) gibt und die Körper reale Teile haben, so müssen diese Teile unteilbar sein. Sonst würden die Körper nicht reale Wesen durch Ag- gregation sein. Wenn es aber indivisible Teile gibt, so ist auch der Körper in sie zerlegbar. Denn was realiter unter- schieden wird, kann auch getrennt werden. Die Grenze der Teilung ist nicht die Nichtexistenz, sondern nur die Trennung der Dinge von einander. Dasjenige, wovon Gattung und Art prädiciert werden, muß auch die vollkommene Wesenheit von Gattung und Art in sich besitzen. Damit also ist erwiesen, daß es unteilbare Teile gibt und der Körper in sie zerlegt werden kann. Dies folge auch aus der Unmöglichkeit einer unendlichen Zahl. Hierbei zeigen sich die Ansichten van Goorles vom Unendlichen wenig stichhaltig, er nimmt an, daß ein Un- endlich nicht größer sein könne als ein andres. Da die Atome die Körper zusammensetzen, so haben sie auch Quantität und Dicke (s. o.). Allerdings besitzt das Atom zwei durch das Denken unterschiedene Seiten, welche dennoch nicht trennbar und in re dasselbe sind. Deshalb heben wir jedoch im Atom die Natur der Quantität nicht auf, weil die Möglichkeit der realen Teilung nicht dem Begriff der Quantität als solcher, sondern 1 A. a. O. p. 31. 2 Exerc. p. 189. 3 A. a. O. p. 250. 4 A. a. O. p. 256. 5 Exerc. VIII. De atomis. Sect. I. Dari in corporibus atomos. p. 235 bis 249. Daselbst das Folgende. (Im Text und Index steht bei Gorlaeus durch einen Druckfehler die Seitenzahl 225 statt 235.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/477
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/477>, abgerufen am 24.05.2024.