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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Gorlaeus: Nominalismus.
Siebenter Abschnitt.
David van Goorle.


In demselben Jahre mit Bacons Novum Organum erschien
das posthume Buch Davids van Goorle, in welchem dieser
energische Gegner der traditionellen Physik für die Atomistik
eintritt.1 Man darf die Bestrebungen von Sennert, Gorlaeus
und Basso für die Erneuerung der Korpuskulartheorie als von-
einander unabhängig und gleichzeitig betrachten, und die Jahres-
zahlen des Erscheinens ihrer Werke können nur zu einem
Mittel der äußern Anordnung dienen.

Die Atomistik des Gorlaeus weist so deutlich, wie kaum
bei einem andren Forscher,2 auf ihren Ursprung aus dem
Nominalismus zurück. Gorlaeus geht davon aus, daß es
keine Universalien gibt.3 Was existiert, sind nur die Indivi-
duen, daher bedarf es gar keines besondern Individuations-
prinzips.4 Was ein Ding als solches bestimmt, das unterscheidet
es auch von den andern als Einzelwesen.5 Die Wesenheit
(essentia) eines Dinges und seine Existenz sind in der Sache
selbst nicht verschieden, sondern werden nur im Denken aus-
einandergehalten; die Existenz ist das, wodurch ein Ding actu
vom Nichtseienden unterschieden ist; ein reales Ding (Ens
reale) aber ist dasjenige, dessen Essenz durch sich selbst exi-
stiert.6 Die Attribute können weder realiter noch modaliter,
sondern allein durch das Denken (ratione) vom Dinge unter-
schieden werden.7

Die peripatetische Lehre von Potenz und Actus ist zu ver-
werfen. Der Actus wird nicht aus der Potentia educiert, er

1 Vgl. über Gorlaeus und seine Schriften oben S. 333.
2 Für Jungius hat Wohlwill diesen Einfluß nachgewiesen, vgl. d. Ab-
schnitt über Jungius im 4. Buche.
3 Exerc. phil. p. 40. p. 77 ff.
4 A. a. O. p. 84 ff.
5 A. a. O. p. 85.
6 Exerc. philos. p. 39.
7 A. a. O. p. 52. Gorlaeus unterscheidet 6 Attribute: Unitas, veritas
bonitas, existentia, localitas, durabilitas.
Gorlaeus: Nominalismus.
Siebenter Abschnitt.
David van Goorle.


In demselben Jahre mit Bacons Novum Organum erschien
das posthume Buch Davids van Goorle, in welchem dieser
energische Gegner der traditionellen Physik für die Atomistik
eintritt.1 Man darf die Bestrebungen von Sennert, Gorlaeus
und Basso für die Erneuerung der Korpuskulartheorie als von-
einander unabhängig und gleichzeitig betrachten, und die Jahres-
zahlen des Erscheinens ihrer Werke können nur zu einem
Mittel der äußern Anordnung dienen.

Die Atomistik des Gorlaeus weist so deutlich, wie kaum
bei einem andren Forscher,2 auf ihren Ursprung aus dem
Nominalismus zurück. Gorlaeus geht davon aus, daß es
keine Universalien gibt.3 Was existiert, sind nur die Indivi-
duen, daher bedarf es gar keines besondern Individuations-
prinzips.4 Was ein Ding als solches bestimmt, das unterscheidet
es auch von den andern als Einzelwesen.5 Die Wesenheit
(essentia) eines Dinges und seine Existenz sind in der Sache
selbst nicht verschieden, sondern werden nur im Denken aus-
einandergehalten; die Existenz ist das, wodurch ein Ding actu
vom Nichtseienden unterschieden ist; ein reales Ding (Ens
reale) aber ist dasjenige, dessen Essenz durch sich selbst exi-
stiert.6 Die Attribute können weder realiter noch modaliter,
sondern allein durch das Denken (ratione) vom Dinge unter-
schieden werden.7

Die peripatetische Lehre von Potenz und Actus ist zu ver-
werfen. Der Actus wird nicht aus der Potentia educiert, er

1 Vgl. über Gorlaeus und seine Schriften oben S. 333.
2 Für Jungius hat Wohlwill diesen Einfluß nachgewiesen, vgl. d. Ab-
schnitt über Jungius im 4. Buche.
3 Exerc. phil. p. 40. p. 77 ff.
4 A. a. O. p. 84 ff.
5 A. a. O. p. 85.
6 Exerc. philos. p. 39.
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[455/0473] Gorlaeus: Nominalismus. Siebenter Abschnitt. David van Goorle. In demselben Jahre mit Bacons Novum Organum erschien das posthume Buch Davids van Goorle, in welchem dieser energische Gegner der traditionellen Physik für die Atomistik eintritt. 1 Man darf die Bestrebungen von Sennert, Gorlaeus und Basso für die Erneuerung der Korpuskulartheorie als von- einander unabhängig und gleichzeitig betrachten, und die Jahres- zahlen des Erscheinens ihrer Werke können nur zu einem Mittel der äußern Anordnung dienen. Die Atomistik des Gorlaeus weist so deutlich, wie kaum bei einem andren Forscher, 2 auf ihren Ursprung aus dem Nominalismus zurück. Gorlaeus geht davon aus, daß es keine Universalien gibt. 3 Was existiert, sind nur die Indivi- duen, daher bedarf es gar keines besondern Individuations- prinzips. 4 Was ein Ding als solches bestimmt, das unterscheidet es auch von den andern als Einzelwesen. 5 Die Wesenheit (essentia) eines Dinges und seine Existenz sind in der Sache selbst nicht verschieden, sondern werden nur im Denken aus- einandergehalten; die Existenz ist das, wodurch ein Ding actu vom Nichtseienden unterschieden ist; ein reales Ding (Ens reale) aber ist dasjenige, dessen Essenz durch sich selbst exi- stiert. 6 Die Attribute können weder realiter noch modaliter, sondern allein durch das Denken (ratione) vom Dinge unter- schieden werden. 7 Die peripatetische Lehre von Potenz und Actus ist zu ver- werfen. Der Actus wird nicht aus der Potentia educiert, er 1 Vgl. über Gorlaeus und seine Schriften oben S. 333. 2 Für Jungius hat Wohlwill diesen Einfluß nachgewiesen, vgl. d. Ab- schnitt über Jungius im 4. Buche. 3 Exerc. phil. p. 40. p. 77 ff. 4 A. a. O. p. 84 ff. 5 A. a. O. p. 85. 6 Exerc. philos. p. 39. 7 A. a. O. p. 52. Gorlaeus unterscheidet 6 Attribute: Unitas, veritas bonitas, existentia, localitas, durabilitas.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/473>, abgerufen am 18.05.2024.