durch die zahlreichen Fälle äußerer Verschiedenheit von Körpern erläutert, welche doch stofflich dieselben sind und sich ineinander überführen lassen, wie vorzüglich beim Queck- silber, das als Flüssigkeit, als Pulver etc. erhalten werden kann, zu erkennen sei.
In diesen Ausführungen ist die Korpuskulartheorie so be- wußt ausgesprochen, daß wir vom Jahre 1619 ab die Er- neuerung der physikalischen Atomistik datieren müssen.1 Hier zuerst wird eingegangen auf die Erklärung chemischer Prozesse aus unveränderlichen Elementarteilchen und hier wird zugleich der Begriff des chemischen Stoffes als des in allen Verbin- dungen und Umwandlungen Beharrenden hervorgehoben.
Das Bestreben Sennerts, die aristotelische Physik und ins- besondere die averroistische Richtung derselben dadurch zu einem Fortschritte zu bringen, daß er aus den gegnerischen Systemen, dem atomistischen sowohl als dem paracelsischen, das für die praktische Naturerklärung Brauchbare herausnahm und mit dem traditionellen Standpunkte zu vereinigen suchte, dieses Bestreben erweckte ihm heftige Gegner, unter denen Freitag in Gröningen und Zeisold in Jena sich durch beson- ders maßlose Angriffe auszeichneten. Infolgedessen wurde er selbst schwankend, ob er seine in Vorbereitung begriffenen Hypomnemata physica herausgeben sollte.2 Doch entschliefst er sich zu der Veröffentlichung, weil er die Notwendigkeit ein- sieht, seine Ansichten, welche von andern falsch berichtet und verdreht worden sind, vor der Welt zu erläutern und zu ver- teidigen.3 Er werde fälschlich ein Neuerer und Gründer einer neuen "Sennert-Paracelsischen" Sekte4 genannt; denn es gäbe berühmte Professoren, die ihm beistimmten, und die doch mit Paracelsus durchaus keine Gemeinschaft hätten. Die unbe- dingte Autorität des Aristoteles könne er freilich nicht an- erkennen; denn Wahrheit sei die Übereinstimmung der Be- griffe, nicht mit denen eines andern Menschen, sondern mit den Dingen.
1 Der Widmungbrief ist vom Ende des Jahres 1618 datiert.
2Epistolarum Centur. II. Ep. 87. Brief an Döring vom 31. Dez. 1635.
3Hypomn. Praef.
4Joh. Freitag, Novae sectae Sennerto-Paracelsicae etc. detectio et solida refutatio. Amst. 1636.
Sennert: Erneuerung der Korpuskulartheorie.
durch die zahlreichen Fälle äußerer Verschiedenheit von Körpern erläutert, welche doch stofflich dieselben sind und sich ineinander überführen lassen, wie vorzüglich beim Queck- silber, das als Flüssigkeit, als Pulver etc. erhalten werden kann, zu erkennen sei.
In diesen Ausführungen ist die Korpuskulartheorie so be- wußt ausgesprochen, daß wir vom Jahre 1619 ab die Er- neuerung der physikalischen Atomistik datieren müssen.1 Hier zuerst wird eingegangen auf die Erklärung chemischer Prozesse aus unveränderlichen Elementarteilchen und hier wird zugleich der Begriff des chemischen Stoffes als des in allen Verbin- dungen und Umwandlungen Beharrenden hervorgehoben.
Das Bestreben Sennerts, die aristotelische Physik und ins- besondere die averroistische Richtung derselben dadurch zu einem Fortschritte zu bringen, daß er aus den gegnerischen Systemen, dem atomistischen sowohl als dem paracelsischen, das für die praktische Naturerklärung Brauchbare herausnahm und mit dem traditionellen Standpunkte zu vereinigen suchte, dieses Bestreben erweckte ihm heftige Gegner, unter denen Freitag in Gröningen und Zeisold in Jena sich durch beson- ders maßlose Angriffe auszeichneten. Infolgedessen wurde er selbst schwankend, ob er seine in Vorbereitung begriffenen Hypomnemata physica herausgeben sollte.2 Doch entschliefst er sich zu der Veröffentlichung, weil er die Notwendigkeit ein- sieht, seine Ansichten, welche von andern falsch berichtet und verdreht worden sind, vor der Welt zu erläutern und zu ver- teidigen.3 Er werde fälschlich ein Neuerer und Gründer einer neuen „Sennert-Paracelsischen‟ Sekte4 genannt; denn es gäbe berühmte Professoren, die ihm beistimmten, und die doch mit Paracelsus durchaus keine Gemeinschaft hätten. Die unbe- dingte Autorität des Aristoteles könne er freilich nicht an- erkennen; denn Wahrheit sei die Übereinstimmung der Be- griffe, nicht mit denen eines andern Menschen, sondern mit den Dingen.
1 Der Widmungbrief ist vom Ende des Jahres 1618 datiert.
2Epistolarum Centur. II. Ep. 87. Brief an Döring vom 31. Dez. 1635.
3Hypomn. Praef.
4Joh. Freitag, Novae sectae Sennerto-Paracelsicae etc. detectio et solida refutatio. Amst. 1636.
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[441/0459]
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Körpern erläutert, welche doch stofflich dieselben sind und
sich ineinander überführen lassen, wie vorzüglich beim Queck-
silber, das als Flüssigkeit, als Pulver etc. erhalten werden kann,
zu erkennen sei.
In diesen Ausführungen ist die Korpuskulartheorie so be-
wußt ausgesprochen, daß wir vom Jahre 1619 ab die Er-
neuerung der physikalischen Atomistik datieren müssen. 1 Hier
zuerst wird eingegangen auf die Erklärung chemischer Prozesse
aus unveränderlichen Elementarteilchen und hier wird zugleich
der Begriff des chemischen Stoffes als des in allen Verbin-
dungen und Umwandlungen Beharrenden hervorgehoben.
Das Bestreben Sennerts, die aristotelische Physik und ins-
besondere die averroistische Richtung derselben dadurch zu
einem Fortschritte zu bringen, daß er aus den gegnerischen
Systemen, dem atomistischen sowohl als dem paracelsischen,
das für die praktische Naturerklärung Brauchbare herausnahm
und mit dem traditionellen Standpunkte zu vereinigen suchte,
dieses Bestreben erweckte ihm heftige Gegner, unter denen
Freitag in Gröningen und Zeisold in Jena sich durch beson-
ders maßlose Angriffe auszeichneten. Infolgedessen wurde er
selbst schwankend, ob er seine in Vorbereitung begriffenen
Hypomnemata physica herausgeben sollte. 2 Doch entschliefst er
sich zu der Veröffentlichung, weil er die Notwendigkeit ein-
sieht, seine Ansichten, welche von andern falsch berichtet und
verdreht worden sind, vor der Welt zu erläutern und zu ver-
teidigen. 3 Er werde fälschlich ein Neuerer und Gründer einer
neuen „Sennert-Paracelsischen‟ Sekte 4 genannt; denn es gäbe
berühmte Professoren, die ihm beistimmten, und die doch mit
Paracelsus durchaus keine Gemeinschaft hätten. Die unbe-
dingte Autorität des Aristoteles könne er freilich nicht an-
erkennen; denn Wahrheit sei die Übereinstimmung der Be-
griffe, nicht mit denen eines andern Menschen, sondern mit
den Dingen.
1 Der Widmungbrief ist vom Ende des Jahres 1618 datiert.
2 Epistolarum Centur. II. Ep. 87. Brief an Döring vom 31. Dez. 1635.
3 Hypomn. Praef.
4 Joh. Freitag, Novae sectae Sennerto-Paracelsicae etc. detectio et solida
refutatio. Amst. 1636.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/459>, abgerufen am 16.08.2024.
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