Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Bacon: Übergang zur Fluiditätstheorie. Spiritus.
haben mag, die Materie nicht atomistisch, sondern fluid (fluxa)
und plikabel aufzufassen, dürfte die Ausbildung seiner Theorie
der Spiritus sein, von welchen sogleich die Rede sein wird.
Er konnte sich dadurch in den Stand gesetzt glauben, die Vor-
teile der Atomistik in Gestalt des korpuskularen Schematismus
und Metaschematismus beizubehalten, ohne ein Vacuum an-
nehmen zu müssen. Die Frage bleibt freilich offen, wie eine
solche Fluidität und Dehnbarkeit der Materie denkbar sein soll.

Man wird aber überhaupt gut thun, dem materialen Teil der
baconischen Naturwissenschaft kein zu großes Gewicht beizu-
legen. Nicht nur sind seine thatsächlichen Annahmen häufig
unrichtiger, als es dem wissenschaftlichen Zustande seiner Zeit
entspricht, sondern vor allem ist ihm auch die inhaltliche Er-
kenntnis bei seinen Darlegungen gar nicht die Hauptsache,
weil er sie für noch in keiner Weise sicher und abgeschlossen
ansieht. Was er anführt und an Naturerklärungen versucht,
soll ihm zur Demonstration seiner Methode dienen. Er will
daher meist nur mögliche Erklärungen geben und über-
läßt es andern, die richtige auszuwählen und die vorgeschla-
genen Experimente auszuführen. "Es könnte wohl so sein"
oder "es ist vielleicht so" sind Formeln, die seine physikalischen
Angaben nicht selten begleiten. Er wollte gar kein fertiges
Natursystem liefern, und daher ist es nicht zu verwundern,
daß wir unvereinbare Widersprüche bei ihm finden.

C. Spiritus und Bewegung.

Das Hauptgewicht seiner Theorie der Materie legt Bacon
in die Thätigkeit der Spiritus, welche nichts andres sind, als
Spezialisierungen des Weltäthers, Effluvien, wie sie als gas-
artige Ausströmungen sich bei fast allen Physikern jener Zeit
finden. Er unterscheidet von den greifbaren Körpern (tangi-
bilia) die Pneumatica, welche kein Gewicht besitzen.1 Sie sind
dreifacher Natur: inchoata, devincta, pura. Zu der ersten Klasse
gehören die Fumi, die wieder in verschiedene Abteilungen zer-
legt werden.2 Die zweite Klasse, die Pneumatica devincta, kom-

1 N. O. II, 40. T. II p. 260.
2 Hist. densi et rari. T. VI. p. 48--50.

Bacon: Übergang zur Fluiditätstheorie. Spiritus.
haben mag, die Materie nicht atomistisch, sondern fluid (fluxa)
und plikabel aufzufassen, dürfte die Ausbildung seiner Theorie
der Spiritus sein, von welchen sogleich die Rede sein wird.
Er konnte sich dadurch in den Stand gesetzt glauben, die Vor-
teile der Atomistik in Gestalt des korpuskularen Schematismus
und Metaschematismus beizubehalten, ohne ein Vacuum an-
nehmen zu müssen. Die Frage bleibt freilich offen, wie eine
solche Fluidität und Dehnbarkeit der Materie denkbar sein soll.

Man wird aber überhaupt gut thun, dem materialen Teil der
baconischen Naturwissenschaft kein zu großes Gewicht beizu-
legen. Nicht nur sind seine thatsächlichen Annahmen häufig
unrichtiger, als es dem wissenschaftlichen Zustande seiner Zeit
entspricht, sondern vor allem ist ihm auch die inhaltliche Er-
kenntnis bei seinen Darlegungen gar nicht die Hauptsache,
weil er sie für noch in keiner Weise sicher und abgeschlossen
ansieht. Was er anführt und an Naturerklärungen versucht,
soll ihm zur Demonstration seiner Methode dienen. Er will
daher meist nur mögliche Erklärungen geben und über-
läßt es andern, die richtige auszuwählen und die vorgeschla-
genen Experimente auszuführen. „Es könnte wohl so sein‟
oder „es ist vielleicht so‟ sind Formeln, die seine physikalischen
Angaben nicht selten begleiten. Er wollte gar kein fertiges
Natursystem liefern, und daher ist es nicht zu verwundern,
daß wir unvereinbare Widersprüche bei ihm finden.

C. Spiritus und Bewegung.

Das Hauptgewicht seiner Theorie der Materie legt Bacon
in die Thätigkeit der Spiritus, welche nichts andres sind, als
Spezialisierungen des Weltäthers, Effluvien, wie sie als gas-
artige Ausströmungen sich bei fast allen Physikern jener Zeit
finden. Er unterscheidet von den greifbaren Körpern (tangi-
bilia) die Pneumatica, welche kein Gewicht besitzen.1 Sie sind
dreifacher Natur: inchoata, devincta, pura. Zu der ersten Klasse
gehören die Fumi, die wieder in verschiedene Abteilungen zer-
legt werden.2 Die zweite Klasse, die Pneumatica devincta, kom-

1 N. O. II, 40. T. II p. 260.
2 Hist. densi et rari. T. VI. p. 48—50.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0449" n="431"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Bacon</hi>: Übergang zur Fluiditätstheorie. Spiritus.</fw><lb/>
haben mag, die Materie nicht atomistisch, sondern fluid (fluxa)<lb/>
und plikabel aufzufassen, dürfte die Ausbildung seiner Theorie<lb/>
der <hi rendition="#i">Spiritus</hi> sein, von welchen sogleich die Rede sein wird.<lb/>
Er konnte sich dadurch in den Stand gesetzt glauben, die Vor-<lb/>
teile der Atomistik in Gestalt des korpuskularen Schematismus<lb/>
und Metaschematismus beizubehalten, ohne ein Vacuum an-<lb/>
nehmen zu müssen. Die Frage bleibt freilich offen, wie eine<lb/>
solche Fluidität und Dehnbarkeit der Materie denkbar sein soll.</p><lb/>
              <p>Man wird aber überhaupt gut thun, dem materialen Teil der<lb/>
baconischen Naturwissenschaft kein zu großes Gewicht beizu-<lb/>
legen. Nicht nur sind seine thatsächlichen Annahmen häufig<lb/>
unrichtiger, als es dem wissenschaftlichen Zustande seiner Zeit<lb/>
entspricht, sondern vor allem ist ihm auch die inhaltliche Er-<lb/>
kenntnis bei seinen Darlegungen gar nicht die Hauptsache,<lb/>
weil er sie für noch in keiner Weise sicher und abgeschlossen<lb/>
ansieht. Was er anführt und an Naturerklärungen versucht,<lb/>
soll ihm zur Demonstration seiner Methode dienen. Er will<lb/>
daher meist nur <hi rendition="#g">mögliche Erklärungen</hi> geben und über-<lb/>
läßt es andern, die richtige auszuwählen und die vorgeschla-<lb/>
genen Experimente auszuführen. &#x201E;Es könnte wohl so sein&#x201F;<lb/>
oder &#x201E;es ist vielleicht so&#x201F; sind Formeln, die seine physikalischen<lb/>
Angaben nicht selten begleiten. Er wollte gar kein fertiges<lb/>
Natursystem liefern, und daher ist es nicht zu verwundern,<lb/>
daß wir unvereinbare Widersprüche bei ihm finden.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>C. <hi rendition="#g">Spiritus und Bewegung</hi>.</head><lb/>
              <p>Das Hauptgewicht seiner Theorie der Materie legt <hi rendition="#k">Bacon</hi><lb/>
in die Thätigkeit der <hi rendition="#i">Spiritus</hi>, welche nichts andres sind, als<lb/>
Spezialisierungen des Weltäthers, Effluvien, wie sie als gas-<lb/>
artige Ausströmungen sich bei fast allen Physikern jener Zeit<lb/>
finden. Er unterscheidet von den greifbaren Körpern (tangi-<lb/>
bilia) die <hi rendition="#i">Pneumatica</hi>, welche kein Gewicht besitzen.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">N. O.</hi> II, 40. T. II p. 260.</note> Sie sind<lb/>
dreifacher Natur: <hi rendition="#i">inchoata, devincta, pura.</hi> Zu der ersten Klasse<lb/>
gehören die <hi rendition="#i">Fumi</hi>, die wieder in verschiedene Abteilungen zer-<lb/>
legt werden.<note place="foot" n="2"><hi rendition="#i">Hist. densi et rari.</hi> T. VI. p. 48&#x2014;50.</note> Die zweite Klasse, die <hi rendition="#i">Pneumatica devincta</hi>, kom-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[431/0449] Bacon: Übergang zur Fluiditätstheorie. Spiritus. haben mag, die Materie nicht atomistisch, sondern fluid (fluxa) und plikabel aufzufassen, dürfte die Ausbildung seiner Theorie der Spiritus sein, von welchen sogleich die Rede sein wird. Er konnte sich dadurch in den Stand gesetzt glauben, die Vor- teile der Atomistik in Gestalt des korpuskularen Schematismus und Metaschematismus beizubehalten, ohne ein Vacuum an- nehmen zu müssen. Die Frage bleibt freilich offen, wie eine solche Fluidität und Dehnbarkeit der Materie denkbar sein soll. Man wird aber überhaupt gut thun, dem materialen Teil der baconischen Naturwissenschaft kein zu großes Gewicht beizu- legen. Nicht nur sind seine thatsächlichen Annahmen häufig unrichtiger, als es dem wissenschaftlichen Zustande seiner Zeit entspricht, sondern vor allem ist ihm auch die inhaltliche Er- kenntnis bei seinen Darlegungen gar nicht die Hauptsache, weil er sie für noch in keiner Weise sicher und abgeschlossen ansieht. Was er anführt und an Naturerklärungen versucht, soll ihm zur Demonstration seiner Methode dienen. Er will daher meist nur mögliche Erklärungen geben und über- läßt es andern, die richtige auszuwählen und die vorgeschla- genen Experimente auszuführen. „Es könnte wohl so sein‟ oder „es ist vielleicht so‟ sind Formeln, die seine physikalischen Angaben nicht selten begleiten. Er wollte gar kein fertiges Natursystem liefern, und daher ist es nicht zu verwundern, daß wir unvereinbare Widersprüche bei ihm finden. C. Spiritus und Bewegung. Das Hauptgewicht seiner Theorie der Materie legt Bacon in die Thätigkeit der Spiritus, welche nichts andres sind, als Spezialisierungen des Weltäthers, Effluvien, wie sie als gas- artige Ausströmungen sich bei fast allen Physikern jener Zeit finden. Er unterscheidet von den greifbaren Körpern (tangi- bilia) die Pneumatica, welche kein Gewicht besitzen. 1 Sie sind dreifacher Natur: inchoata, devincta, pura. Zu der ersten Klasse gehören die Fumi, die wieder in verschiedene Abteilungen zer- legt werden. 2 Die zweite Klasse, die Pneumatica devincta, kom- 1 N. O. II, 40. T. II p. 260. 2 Hist. densi et rari. T. VI. p. 48—50.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/449
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/449>, abgerufen am 22.11.2024.